Donnerstag, 5. Mai 2011

Belem, 2.Mai









Osama Bin Laden sei erschossen worden, endlich, antwortet mir die Serviererin auf meine Frage, ob es gefährlich sei in Belem. Ich solle das dann in den Nachrichten schauen heute Abend.
Die Sicherheit. Ich fühle mich in Belem nicht wohl, weil hier alle Leute sagen, es sei gefährlich. Auch diejenigen, die hier wohnen und das ist neu. Gestern Nacht um zwölf Uhr, ich bin mit ein paar Backpackern, die ich auf dem Schiff kennen gelernt habe im Hotel Amazônia gelandet, unser Schiff erreichte die Stadt am Abend, eine schlechte Zeit um zu suchen, insbesondere an einem Sonntag Abend, wo sowieso keine Menschen in den Strassen sind. Ein junger Engländer und eine Genferin, wollten noch Musik hören gehen und fragten mich, ob ich mitkommen. Die Gelegenheit, dachte ich, alleine würde ich mich sowieso nie zu solch einem Ausgang aufraffen. Wir nehmen ein Taxi zu einem ersten Ort, den man uns angegeben hat, am Wasser, neben Schiffen, die laute Punkrockmusik zerschlägt mir bereits am Eingang fast die Trommelfelle, zum Glück wollen meine Begleiter auch nicht hinein gehen. Wir lassen uns an einen weiteren Ort chauffieren, dort geht es zu Ende, 11Uhr nachts scheint in Belem nicht mehr viel los zu sein. Zu Fuss sind wir schliesslich vom Hotel aus unterwegs auf der Suche nach einer Bar, die Strassen sind bereits menschenleer. Als wir einem Mann mit einem riesigen Basketballschläger begegnen ist mir nicht mehr wohl, Blaulicht etwas weiter entfernt, ich will umkehren und kann meine Begleiter schliesslich davon überzeugen. Nur knapp entkommen wir einem offensichtlich unter Drogen stehenden Typ, der ziemlich aggressiv auf uns einschwatzt. Die Türen selbst im Backpackerhotel sind auch tagsüber verschlossen, überall muss man erst läuten, im Hotel Massilia, wo ich jetzt wohne, eine Klasse besser, wird die Strasse sogar mit Video überwacht, gefährlich meint man, selbst wenn nachts in der Strasse ein Wachtmann zirkuliert. Die Häuser haben alle Gittertüren vor den eigentlichen Türen und elektrische Drähte über den Mauern, selbst im Reisebüro in der Strasse kann man nicht einfach eintreten, sondern muss erst läuten. Das gibt mir merkwürdigerweise nicht ein Gefühl der Sicherheit sondern ganz im Gegenteil.
Trotzdem bereue ich es bereits fast wieder, für Morgen ein Flugticket nach Sao Luis gebucht zu haben. Vielleicht hätte ich der Stadt doch mehr Zeit geben müssen, die Leute sind alle so freundlich zu mir. Die Serviertochter, der Kokosnussverkäufer, alle gesprächig und erstaunt, wie gut ich Portugiesisch spräche. Viele Leute sprechen hier übrigens auch Französisch, französisch Guayana ist nicht weit entfernt, Belem ein beliebtes Ausflugsziel.
An der Grenze zu Frankreich, meint der pensionierte Franzose, als er von der Grenze zu Guayana spricht. Seine Frau, auch Französin, ist Lehrerin und arbeitet dort. Er sei früher Buschpilot gewesen, Urwald, den habe er genügend gesehen. Ich kenne die beiden vom Schiff, das uns von Santarem nach Belem bringt. Sie haben eine Kabine gebucht, ich hause im Frachtdeck.

Weil Brasilien so gefährlich sei – nur deswegen – wolle sie mich mit diesem netten jungen Mann verkuppeln. Das sei ein Seriöser und allein reisen für mich gefährlich. Nur deswegen möchte sie, dass ich mit ihm zusammen sei, er habe doch so von meinen blauen Augen geschwärmt, das sei ein Scheuer, meint Senhora Grace, die extrem voluminöse blondierte Brasilianerin in meinem Alter. Nein, kein Problem, die Männer hier würden ältere Frauen sehr mögen. Sie selber mindestens, hat immer einen ganzen Trupp junger Männer um sich, allerdings bin ich nicht ganz sicher, um was es denen genau geht. Grace ist eine charmante Frau und eine gute Unterhalterin und grosszügig und lebensfroh, trotz all ihrer Fettwülste die sie freizügig zeigt - wie das in Brasilien normal ist. Da hat der deutsche Hotelbesitzer von Novo Airao schon recht: Nirgendwo tragen die Leute ihr Übergewicht mit mehr Lust und Selbstverständlichkeit wie in Brasilien. Grace ist meine Hängemattennachbarin im Unterdeck. Erst weiche ich ihr aus, sie spricht viel und die ganze Zeit, doch später merke ich, dass sie durchaus eine intelligente und humorvolle etwas verrückte Frau ist. Pensioniert mit 53 Jahren, das kann man hier, für den Staat gearbeitet, aus Brasilia und gutem Haus, geschieden, vier Kinder, das jüngste 12-jährig, bei ihren Eltern, denen mache das Spass und erhalte sie jung. Der Vater sei 83 und bei bester Gesundheit. Sie reise nun in Brasilien herum, das gefalle ihr.

Das letzte Stück meiner Reise den Amazonas hinunter ist wiederum sehr angenehm, ich glaube, ich bin wirklich für diese Art von Reisen gemacht. Hängemattensüchtig und süchtig auf den Blick in diese Weite, all das Wasser, der riesige Himmel, die Farben, ein Gefühl, das man nicht wirklich beschreiben kann. Ein Gefühl von Freiheit, ein Aufgehen in der Weite, fast löst man sich auf, verliert an Gewicht, ich finde keine passenden Worte dafür.
Das Frachtdeck war übrigens perfekt. Gute Nachbarn, die übrigen Ausländer hausen einen Stock weiter oben, der Motor des Schiffes ist zum Glück recht leise, das Stampfen des Schiffes nicht lauter als die Geräusche in einem Flugzeug. Das Schiff ist überhaupt das modernste und luxuriöseste meiner Reise, schade nur, dass dafür das Personal unsympathisch ist und das Schiff schmutzig. Im Restaurant müssen die Speisen bezahlt werden - bis Manaus war das im Preis inbegriffen. Hier ist das Essen zusätzlich noch schlecht und den Gringos werden 10 Reals dafür abgezwackt. Etwas beruhigt bin ich hingegen, als ich sehe, dass der Kassier dafür bei den Müttern, die mit grossen Plastikgefässen kommen und das Essen für all ihre Kinder abholen, meist nichts einkassiert. Robin Hood, immerhin - vor allem wenn die Mütter jung sind und gut aussehen.
Das sind hier einige, erstaunlich jung und erstaunlich hübsch und erstaunlich nackt und die meisten ohne Mann. Eine andere Hängemattennachbarin hat drei Kinder zwischen drei und fünf, den Jüngsten trägt sie praktisch den ganzen Tag mit sich herum, viele Gefahren auf einem Schiff, um die beiden Älteren kümmert sie sich nicht mehr, die werden zwischendurch von den Müttern auf dem Oberdeck weggejagt oder ihr zurückgebracht. In der Nacht weint der jüngste Knabe erbärmlich und angstvoll, der älteste Sohn kann ihn nicht trösten. Die Mutter ist weg. Erst eine Stunde später taucht sie wieder auf. Frisch geduscht und neu eingekleidet.
Die Austauschstudenten aus Rio, die ich auf dem letzten Schiff getroffen habe, haben ebenfalls festgestellt, dass die Brasilianer zwei- bis dreimal täglich duschen. Ihr Lehrer habe dazu gemeint, weil sie dreimal täglich Sex hätten. Das sei doch nicht ernst gemeint, werfe ich ein - doch die drei sind da anderer Meinung. Sie würden die Brasilianer unterdessen kennen. Das glaubten sie dem schon.

Mühsam an dieser zweitägigen Fahrt war eigentlich nur, dass ich meinen Computer nicht benutzen konnte, denn wenn man keine Kabine hat, tut man gut daran, nicht zu zeigen, was man alles an Wertsachen im Gepäck mitführt. - Obwohl ich ja nur gute Erfahrungen gemacht habe. Kein einziges Mal wurde mein Gepäck berührt und ich bin häufig im Schiff unterwegs gewesen und manchmal stundenlang nicht bei meiner Hängematte aufgetaucht. – Da habe ich bei Backpackern ein weit unbehaglicheres Gefühl. Gestern Abend meinte doch der junge Engländer ohne mit der Wimper zu zucken auf die Frage, wie viel er für seinen Vakuumbag bezahlt habe – offensichtlich ein beliebtes Gepäckstück bei Travellern, man kann seine Kleidung auf ein Minimalvolumen zusammen pressen – also gekauft habe er den nicht, den Preis kenne er nicht, den habe er jemandem geklaut. Ich habe darauf in unserem Viererzimmer – es war wirklich billig – all meine Wertsachen auch beim Schlafen auf dem Körper getragen.

Auf dem Kopf tragen die Leute, die etwas mit Gastronomie zu tun haben, hier immer kleine Häubchen, welche die Haare abdecken, Männer wie Frauen. Der Hygiene halber, man scheint das sehr ernst zu nehmen. Weshalb zum Teufel, finde ich trotzdem immer wieder Haare in meiner Suppe? - Manchmal sogar einen Mundschutz. Für die Hygiene sorgt ebenfalls Toilettenpapier, das nur ganz selten fehlt, da mögen die Toiletten noch so schmutzig sein. Auch Trinkwasserautomaten gibt es auf allen Schiffen in Brasilien und in den meisten billigen Hotels. In teureren Hotels muss man das Wasser hingegen kaufen.

Um 3 Uhr fahre das Schiff, doch ich müsse um 12 Uhr im Hafen sein, meint die Frau, die mir das Ticket von Santarem nach Belem verkauft. Das ist mir bekannt und war bereits in Peru so, die Passagiere kommen alle Stunden im voraus um sich einen guten Platz für ihre Hängematte zu erobern. Ich finde meinen Platz zwischen einer Gruppe junger Mütter und Grace, das scheint mir eine sichere Wahl. Wie gut sie ist, merke ich erst später, denn die Mütter bewachen ihr Territorium wie Löwinnen und lassen niemanden herein, den sie nicht wollen, da habe ich Glück gehabt. Und genügend Platz um meine Hängematte schwingen zu lassen.

Ich beobachte die Leute, wie sie ihre Hängematte aufhängen. Es gibt ganz verschiedene Methoden. Manche wählen zwei nahe beieinander liegende Punkte, ihre Matte hängt stark durch, eher ein Sitzen als ein Liegen. Ich persönlich bevorzuge zwei weit auseinander liegende Punkte. Die Hängematte wird viel flacher und die Haltung eher die des Liegens. Auch die Knoten werden ganz unterschiedlich geknüpft. Ich beobachte einen Mann, der ein rundes Hölzchen in den Knoten schiebt. Eine gute Idee, denn vom Gewicht werden die Knoten stark zusammengezogen, das Lösen ist oft schwierig. - Ich selber lobe immer noch meine Kletterhacken, eine geniale und sehr schnelle Lösung.

Ich inspiziere das Schiff, nicht schlecht, etwas wenige Sitzgelegenheiten draussen, das Bardeck ist winzig und die Musik dort unerträglich laut. Einen Frachtraum hat es nicht wirklich. Riesige Gummipneus reisen auf unserem Deck mit und auch ein paar Motorräder, keine neuen. Der Rest der Ladung muss durch Luken aus dem Schiffsbauch empor geholt werden, nicht wirklich eine elegante Lösung, die bei jedem Stopp viel Zeit braucht. Ich entdecke ein Verbotsschild: Nicht mit nacktem Oberkörper herumlaufen, das tun viele Männer, nicht rauchen, auch das, keine Tiere an Bord, ich sehe ausser Insekten auch keine, kein Alkohol, der wird allerdings oben in der Bar verkauft. Ein freundlicher Mann kommt auf das Schiff und verteilt kleine Traktate mit Sprüchen aus der Bibel, etwas von Paradies steht da. Das brauche ich nicht, sage ich ihm, ich sei bereits dort angelangt. Als eva.

Der Weg ist das Ziel. Und offensichtlich immer mit viel Warten verbunden.
Um drei Uhr nachmittags fährt das Schiff nicht los, um fünf Uhr steht es immer noch im Hafen und jetzt frage ich eine Nachbarin, ob sie denn wisse weshalb. Kein Treibstoff meint sie. Der Preis sei zu teuer, man sei am Verhandeln. Um 17:45 verkündet sie mir dann freudig, der Treibstoff sei nun gekommen, man sei sich einig geworden. Um sieben Uhr abends verlassen wir Santarem mit dem letzten Tageslicht, die bereits angezündeten Lampen der Stadt verschwinden langsam im Abendrot.

Nicht warum, meint Jobao, sei die Frage im Leben, sondern für wen. Kein mail von ihm in Santarem, schon beginnt sein Bild zu verblassen. Unter der Sonne der Tropen, in der schwülen Trägheit des Tages löst sich alles in Luft auf. Schweben über dem Wasser, wie die am weitesten entfernten Inseln am Horizont. Scheinbar.
Es soll Leute geben, die tagelang auf die Abfahrt ihres Schiffes warten.

Der älteste Knabe einer 5-köpfigen Familie – auch hier reist kein Mann mit, der Knabe ist etwa 12-jährig – ist Koch und Träger, Aufpasser und Beschützer gleichzeitig. Ich schaue ihm zu, wie er eine Trinkflasche für das Baby zubereitet. Heisses Wasser holt er und schmeisst dann löffelweise Milchpulver hinein und zwischendurch einen Löffel in seinen Mund. Er scheint das zu mögen, seine pummelige Gestalt lässt darauf schliessen. Anschliessend kommen auch noch ein paar Löffel Zucker dazu, das Baby wird es Danken, der Knabe ebenfalls, er nimmt auch einen Schluck und geht anschliessend Geschirr waschen, die Mutter ist mit ihrem Jüngsten beschäftigt, das absorbiert sie vollkommen. Um drei Uhr nachts verlässt die Familie in Prainha das Schiff, der Knabe rennt mehrmals hinaus, das ganze Gepäck schafft er alleine von Bord.

Am Morgen als ich erwache, sehe ich Berge am Horizont, ich definiere mir diese als Regenwolken, meine Brille habe ich noch nicht auf. Mit Brille stelle ich dann fest, dass es trotzdem Berge sind, die sich saftig grün bewaldet in den tiefen Wolken verlieren. Die dem Ufer am nächsten liegenden sehen etwas wie Tafelberge aus, rote Abbrüche, so hohe Erhebungen habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Die Serra Paranaquara oder die Sierra Almeirim? Die höchsten Erhebungen Brasiliens liegen übrigens im Norden des Landes in Richtung Venezuela. Etwa 1500m hoch, nichts Besonderes, Brasilien hat keinen Anteil an den Anden. Die Flussufer sind nur schwach besiedelt, einzelne Häuser, kleine Ortschaften, kein Grossgrundbesitz, viel unberührter Wald auch immer wieder. In Almeirim kaufe ich frischen Käse ein, sehr salzig, keine Lust auf dem Boot zu essen, auch ein Bündel Bananen, nur Brot finde ich keines.

Ich mache Bekanntschaft mit einem Camionchauffeur aus Chile. Sein Lastwagen sei auf einem anderen Schiff, in Belem müsse er dann etwa 6 Tage darauf warten. Er wohnt in einer Kabine und sieht – wie die 5 übrigen Fernfahrer ebenfalls – überhaupt nicht so aus, wie wir das von Europa her kennen. Drahtige gebildete Typen, nicht bullige Männer mit Tätowierungen. Wochenlang sind sie mit ihren Lastzügen unterwegs. Keine schlüssige Antwort haben sie allerdings auf meine Frage, warum auf dem Amazonas die schwimmenden, fix aneinander gekoppelten Lastflosse von einem Schiff gestossen werden, und nicht wie auf dem Land gezogen. Ein physikalisches Problem, ich kann mir da nichts zusammen reimen und die Erklärungsversuche der Chauffeure erscheinen mir auch nicht recht schlüssig.

In der zweiten Nacht fahren wir durch ein enges Gewässer, ein Netzwerk von Wasserwegen verbindet das Delta des Amazonas mit demjenigen des Tocantins, an dem Belem liegt. Beidseitig sind die Ufer nahe, Siedlungen im Wald, viele kleine Lichter deuten darauf hin.

Breves um 2 Uhr früh, der letzte Stopp vor Belem. Erstaunlich dieser Ort im Urwald, ein mehrstöckiges modernes Gebäude bei der Anlegestelle, im Erdgeschoss eine Bar, sie ist noch geöffnet, die Ankunft des Schiffes. Leute warten, ein Mann pisst mit weitem Strahl ins Wasser, daneben steht seine Freundin, wahrscheinlich, mit kürzestem Rock und höchsten Absätzen, sie unterhalten sich dabei. Viele Brasilianerinnen würden in Europa als Prostituierte angesehen. Die Art, wie sie herumlaufen, das kann leicht zu Missverständnissen führen. Auf dem Quai warten drei grosse schwarze Offroadfahrzeuge. Wozu? Ein weitläufiges Strassennetz hat es hier nicht.

Der letzte Morgen beginnt mit strahlendem Sonnenschein, das Wasser ist wieder weit geworden, doch von vielen kleinen Inseln übersät. Manche sind bewohnt, kleine bunte Holzhäuser auf Stelzen in dicht wuchernder Vegetation, als Nutzpflanzen entdecke ich vor allem die elegante Palme, die die Palmherzen liefert. Immer wieder kommen Kinder mit ihren Einbäumen sehr nahe an das Schiff heran, ich denke, sie tun das, weil sie gerne von den Wellen des Schiffes geschaukelt werden - eine Abwechslung im sonst monotonen Leben - ein paar Leute schmeissen Plastiksäcke mit Abfall ins Wasser, das ärgert mich. Später erfahre ich, dass in diesen Säcken Essmittel, manchmal auch Kleider seien für die Kinder der „Ribeirinhos“, der Uferbewohner, für die ein städtischer Brasilianer offensichtlich Mitleid empfindet. – Und ich habe mir doch eben gerade überlegt, dass jemand, der genug von unserem gehetzten Leben hat, ein Aussteiger, in Brasilien noch genügend einsame Natur findet, in der er sich niederlassen kann und von Selbstversorgung leben. Eine andere Qualität von Leben – für die Brasilianer offensichtlich wenig Verständnis haben.
Später kommt ein Kanu dem Schiff so nahe, dass ich Angst habe, dass es überfahren wird. Im letzten Moment wirft der etwa 12-jährige Knabe einen grossen Hacken in die alten Pneus, die den Schiffsrumpf schützen und bindet geschickt und rasch sein Kanu am Schiff fest. Im Boot sitzt noch ein etwas jüngeres mageres Mädchen mit Körbchen und Plastiksäcken voller Crevetten und Açai-Beeren, einer Frucht von Palmen, die von den Brasilianern ihres Nährstoffgehaltes wegen sehr geschätzt wird. Sie verkaufen all ihre Ware, die Krevetten scheinen gut zu sein, die Leute degustieren, und fahren mit etwa 40 Reals zurück, einem schönen Betrag hier sicherlich.

In den Styroporkisten auf unserem Deck müssen Fische gelagert sein, der Geruch wird immer deutlicher, anfangs habe ich das nicht wahrgenommen, zum Glück erreichen wir Belem in ein paar Stunden.

Unmerklich hat sich die Ockerfarbe des Wassers in ein Ockerolivgrün verwandelt, mit Meerwasser vermischt, salzhaltig bereits, die Bäume sind nicht mehr überflutet, die Wurzeln der Mangroven schauen jetzt aus dem Wasser, Niedrigwasser momentan, der tägliche Wechsel von Ebbe und Flut hat den Wechsel von Regen- und Trockenzeit bereits wieder verdrängt. Ich habe mir das vorzustellen versucht. Diese durchschnittlich 15m, die der Wasserstand des Amazonas - all dieser Wässer - bei der Regenzeit höher liegt. Die müssen sich im Flussdelta verlaufen, denn eine 15m hohe Wasserkante am Meeresrand, die gibt es nicht.
Die letzten Kilometer und die letzte Stunde der Reise verbringe ich mit vielen anderen auf der Spitze des Schiffes. Irgendeinmal taucht über den Bäumen der erste Turm eines Hochhauses auf, Belem. Eine euphorische Stimmung verbreitet sich unter den Leuten. Viele von ihnen arbeiten in Manaus, weil es dort mehr Arbeit gibt, und haben ihre Angehörigen seit Monaten, wenn nicht gar Jahren nicht gesehen.
Als die Stadt dann richtig am Horizont auftaucht, erschrecke ich doch etwas. Eine Silhouette wie Manhattan, so viele Hochhäuser, so habe ich mir das nicht vorgestellt. Von Nahem ist es dann aber doch nicht gleich, die Gebäude meist schmutzig verfärbt und verlottert, das Zentrum von Belem ein chaotisches Gemisch von teuren gut bewachten Hochhäusern und sehr ärmlichen Gebäuden. Alles äusserst dicht beisammen, unter der feuchten Hitze, die fast unerträglich ist. Doch zum Glück auch immer wieder üppig grüne Mangobäume und etwas heruntergekommene Parks.

Nein, dieser Weg, den ich gehen wolle, 5 Minuten zu Fuss schätze ich, der sei gefährlich. Und dort habe es nicht viele Restaurants, nur ein paar. Und am Montag sei sowieso fast alles geschlossen, meint der unfreundliche Mann an der Rezeption heute Abend. Ein Taxi solle ich nehmen und in die Docks gehen, meint er, immer Taxi, sobald es finster sei, Belem sei eine der gefährlichsten Städte Brasiliens. Taxi hin und Taxi zurück, bereits 20 Reais, das Essen in den alten, umgebauten Docks ist gut. Bereits gestern Abend haben wir dort gegessen. In meinem Reiseführer steht „Kulturzentrum“. Mir scheint es eher ein kommerzielles Zentrum, viele Restaurants direkt am Wasser, Boutiquen mit schönen und teuren Kleidern und Schmuck, alles abgetrennt durch einen hohen Zaun und Wachmänner von der eigentlichen Stadt. Und zwischendurch hängen von den hohen Decken der alten Hallen – innen gänzlich umgestaltet und klimatisiert - Plattformen herab, von denen Musiker ihre weichgespülte, konsumtempelgängige Musik herunterträllern. Ich kaufe mir zum Trost Copaiba-Öl und Duftsäcklein mit der Aufschrift „Para“, Duft der Region, die lege ich nun zwischen meine Wäsche. – Ob ich daran glaube, dass Bin Laden erschossen worden sei, fragt mich der Taxichauffeur, der mich zurück bringt?

1 Kommentar:

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