Montag, 30. Mai 2011

Fernando de Noronha, 23.Mai











Halb elf Uhr nachts. Nachdem zwei Motorräder der Polizei Richtung Praia do Cachorro, der nächsten Bucht, gestartet sind, fährt nun auch noch ein Polizeiauto mit Blaulicht, bzw. Rotlicht los. Obwohl hier keine Kriminalität bekannt ist. Der Polizeiposten von Fernando de Noronha besitzt eben zwei Einsatzwagen und ein paar Motorräder und x Männer im Einsatz. Und genügend Geld für ein gratis Internet (auch wenn das nicht so ganz überall zufrieden stellend funktioniert) und einen gepflästerten Fussweg, der mehr oder weniger der Strasse folgt, hat man auch. - Hat es wohl eine Bedeutung, dass die Polizei in Brasilien nicht mit Blaulicht, sondern mit Rotlicht fährt?

Meine Nachbarn stellen als erstes, wenn sie erwachen ihren Fernseher ein. Brasilianer haben ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Fernseher. - Ob sie denn das Schiffswrack gesehen habe? fragt mein Zimmernachbar beim Frühstück seine Partnerin. Er habe nur Steine gesehen. Doch, da sei etwas gewesen, meint sie. Die beiden haben sich gestern von einem Motorboot an einem Seil durch den Hafen ziehen lassen, eine beliebte Touristenattraktion. Ich habe dem Treiben aus der Höhe, von meinem Aquarellierplatz aus zugesehen (es gab ein wütendes Bild, düstere Wolken, kräftiges Grün, harte Kontraste). Es erstaunt mich nicht wirklich, dass die Leute, die in einem unheimlichen Tempo durch den Hafens gezogen werden, wenig sehen. Mit dem starken Wellengang und den Regenfällen ist das Meer sowieso getrübt, viele Schwebestoffe. Gestern bin ich mit einer Gruppe über die - heisst es - zwei schönsten Buchten Brasiliens geschnorchelt. Allerdings waren wir immer soweit vom Boden entfernt, dass man die Sachen am Grund nur noch schemenhaft wahrnehmen konnte. Meistens war es sowieso Sand, und somit uninteressant. Ausser der Farbe des Wassers. Die ist dunkeltürkisintensifblau leuchtend.

Heute leiste ich mir zum Abschluss noch eine auf dem Feuer gebratene Fischscheibe am Strand. Am Morgen bin ich auf den Rat des Beizers hin um zehn Uhr dort schnorcheln gegangen. Flut, die schwarzen Felsen waren um diese Zeit vom Wasser bedeckt. Nur ein einzelner Mann mit Schnorchelbrille und Fischernetz ist auch in der Bucht. Er arbeitet mit dem etwas weiter aussen liegenden Fischerboot zusammen. Erst als sie gegangen sind, tauchen plötzlich ganze Schwärme von Fischen auf. Vor allem Blaue und Zebragestreifte. Auch ein paar unauffällige grössere Dinger, die wären den Fischern sicherlich willkommen gewesen. Über dem Sand gleich am Strand riesige Schwärme von sandfarbenen kleinen Fischen, die man erst kaum sieht. Doch das Glitzern und die Schatten, wenn sie sich bewegen! Auch ganze rötliche Wolken von winzigen Fischlarven hat es im Wasser. Viele von ihnen werden von der Brandung in den Sand gedrückt und sterben dort. Was für eine Verschwendung die Natur doch immer wieder macht!
Die Fischscheibe ist sehr gut, etwas versalzen, dafür aber der Reis völlig geschmacklos. Einige Körner fallen mir zu Boden. Sofort blitzen schillernde Eidechsen mit grossen, etwas hervorstehenden Augen um meine Füsse herum und fressen die Reiskörner. Immer mehr rücken heran - doch nicht alle mögen den Reis.

Gestern Abend spricht mich ein sturzbesoffener Mann auf der Strasse an. Ob ich auch Forrò tanzen komme fragt er. Er sei ein echter Einheimischer meint er, offensichtlich stolz darauf, etwas Besonderes zu sein. - Von den 3500 Einwohnern von Fernando de Noronha, seien gerade einmal 20% ursprüngliche Bewohner der Insel, erklärt mir der Kunstmaler in dem kleinen Atelier, das der Künstlervereinigung der Insel zur Verfügung gestellt wird. 30 Künstler gäbe es hier, die eingeschrieben seien, doch habe es auch noch andere. Er selber komme aus Recife, andere aus Natal. Bereits bei den Kellnern und den Angestellten auf dem Flughafen ist mir das aufgefallen. Die meisten Leute, die hier arbeiten, kommen aus einer dieser Städte.
Ich sei eben zur falschen Zeit gekommen, meint der Kunstmaler weiter. Jetzt sei das Wasser aufgewühlt und heftig. Eine Wechselzeit eben. Normalerweise sei entweder die dem Festland abgewandte oder die dem Festland zugewandte Seite der Insel ruhig. Das mag stimmen. Doch stelle ich nun auch noch auf meiner Brasilienkarte fest, dass um Noronha herum gar keine Korallenbänke eingezeichnet sind. Die Insel besteht aus schroffe Felsbrocken vulkanischen Ursprungs, die steil in den Ozean abfallen. Einige unspektakuläre, manchmal gelbe, krustenartigen Korallen kleben darauf. Auch eine kleine weisse Hirnkoralle sehe ich, das ist bereits das Spektakulärste. Den Tauchern werden vor allem vier Sorten Haifische angepriesen, alles ungefährliche. Doch trotzdem, der Nervenkitzel - auch beim gesunkenen Wrack. Die Gäste im Gästebuch meiner Senhora mindestens scheinen alle begeistert gewesen zu sein, wenn ich die Einträge lese. Ich schreibe auch einen. In Deutsch. Und schreibe nicht, dass ich von der Unterwasserwelt enttäuscht bin, dass mich einzig die Landschaft fasziniert. Und dass das, was mit der Tourismuswerbung transportiert wird, mir ein falsches Bild gab.

Im Flughafen von Fernando de Noronha läuft ein Video über die Insel - 25 Reais kostet der Kauf wird immer wieder eingeblendet – ich verfolge aufmerksam die Unterwasserszenen, die von Tauchern gemacht wurden. Schöne Fotos von Haien und Tintenfischen, doch auch hier am Boden Stein, Sand oder Algenbewuchs. Es gibt also definitiv kein Korallenriff.

Ich bin einen Tag früher abgereist als geplant. Nicht, dass mir die Insel nicht gefallen hätte. Eigentlich ist der Mix der Gäste ganz angenehm. Keine Snobs, denn Luxushotels gibt es hier nicht. Nur Pousadas, Pensionen. Häufig im Besitz von Einheimischen und das ist ja ebenfalls schön. Die Hotelzimmer kosten zwar hier ungefähr gleich viel wie an anderen Ortes Luxuriöseres, doch locken sie natürlich nicht dieselben Gäste an. Normale Brasilianer sind im Moment hier - zeitweilig auch Europäer und Amerikaner erzählt man mir, das komme auf die Saison an. Der einzige Unterschied zu anderen Stränden ist vielleicht, dass die Leute sich dezenter und bekleideter zeigen. Keine Bikinigäste ausserhalb der Strände, da ist man schon fast auffällig prüde für Brasilien, auch kaum Tangas, „fio dental“ genannt, übersetzt Zahnseide, wie dieses Kleidungsstück hier sprechenderweise genannt wird. Vielleicht ist ja bereits dies ein Indiz für die Gesellschaftsklasse. Die Besucher kommen hauptsächlich aus Sao Paulo oder Rio oder anderen südlichen Städten. Wo die Leute allgemein wohlhabender sind. Viele Honeymooner habe ich das Gefühl. Und die haben sowieso die Tendenz, alles toll zu finden. Auch einzelne ältere Gäste, welche die Insel wie ich zu Fuss erkunden. Fernando de Noronha hat landschaftlich einiges zu bieten mit dem charakteristischen penisförmigen Felsstock in der Mitte und den zwei nebeneinander liegenden gerundeten Inselchen mit Brustwarzen, die diskreterweise, aber unlogisch „dois irmaes“, also Schwestern heissen.
Ich könnte also nicht sagen, dass irgend etwas falsch sei an dem Ort. Er ist einfach die übertriebenen Preise nicht wirklich wert.

Samstag, 28. Mai 2011

Fernando de Noronha, 21.Mai











Die letzte Nacht habe ich in einer Hotelsuite in Natal verbracht. Mindestens 50 Quadratmeter gross, die Einrichtung nicht unbedingt nach meinem Geschmack, doch auch nicht schlecht, nach meinem Lieblingszimmer in der Pousada „Aqua“, war es sowieso schwierig. Bezahlt habe ich etwa 70 Franken, ich hätte wahrscheinlich auch noch etwas günstigeres gefunden, doch für die eine Nacht, heute Morgen ging es ja bereits weiter nach Fernando de Noronha, fand ich den Aufwand nicht wert. Eine Apartementanlage, viele Familien, die Suiten gruppieren sich um einen grossen Innenhof mit Schwimmbad und Pflanzen, das Fenster auf der gegenüber liegenden Seite hinter der grosszügigen Kochnische gibt den Blick frei über ein Grasstück, dahinter Hochhäuser von Natal, links noch ein Stück Meer. Das Frühstücksbuffet ist beachtlich. – Hier in Fernado de Noronha habe ich für 100 Franken ein kleines Zimmer in einer Poussada gefunden, kleiner Sitzplatz davor und Blick ins Grün. Eigentlich auch ganz sympathisch. Aber eben erstaunlich, der Abstieg. Doch die Besitzerin ist freundlich, der Raum ist auch recht liebevoll gestaltet, wenn auch winzig, auf die Grösse kommt es nämlich nicht an, ob ich einen Raum mag oder nicht. Ich erinnere mich an ein winziges Dachzimmer in China, das ich durchaus wundervoll fand, obwohl neben dem schmalen Bett und der kleinen Schreibfläche wirklich überhaupt nichts im Raum Platz hatte.

Natal war übrigens weniger hässlich, als ich das nach der Beschreibung im Reiseführer gedacht habe. Die Bucht von Ponte Negra ist von steil abfallenden Hängen gesäumt, auf denen kleinere Häuser und älteren Pousadas stehen. Häufig mit Blick auf das Meer. Erst oben auf dem Hügel schiessen jetzt Hochhäuser empor. Hoffentlich ist das geplant und bleibt so.
Auch diese Stadt wird von Sanddünen umrahmt. Hier sind sie mit hohem Buschland bewachsen und nicht mit Gras, einzig die Steilhänge zur Küste leuchten nackt und hell aus den dunklen Wäldern hervor.

Der Flug nach Fernado de Noronha dauert eine knappe Stunde, das Flugzeug ist nicht zur Hälfte gefüllt, doch die Preise sind trotzdem nicht gefallen, auf dieser Linie gibt es kaum Konkurrenz. Dafür werden wir von einer schönen Stewardess betreut. An eine spanische Adlige erinnert mich ihr Gesicht, lange Nase, grosse stolze Augen, ein etwas strenger Mund. Nebst Getränken erhält jeder Gast einen kleinen Plastiksack mit einer Portion Nüsschen, Käse, Crackern und Süssigkeiten.

Die Notration für Fernando de Noronha, sage ich mir, nachdem ich die Preise hier sehe. Selbst Kokosnusssaft, Kokospalmen stehen viele auf der Insel herum, kostet hier doppelt soviel wie auf dem Festland. Und die Händler wollen alle Kleingeld. Denn dies, so erklärt mir einer, das müssten sie auch extra bezahlen, denn die Bank verlange eine Gebühr dafür. Wie dem auch sei, ob sich die Preise wirklich rechtfertigen lassen durch die Transportwege, den Leuten hier geht es gut. Keine Slums und was mich vollends erstaunt, die Hauptstrasse, die der Länge nach über die Insel führt, ist geteert und in einem guten Zustand und wird von einem Trottoir gesäumt. Und wird selbst zwischen den Ortschaften von Strassenlampen beleuchtet, stelle ich fest, als ich heute Abend im Finsteren vom Hafen zurück in den Hauptort laufe. Welch ein Luxus! Bin ich doch praktisch die einzige, die hier zu Fuss herumgeht. Die Brasilianer mieten alle Strandbuggys, damit sie auch hier genügend motorisiert sind. Selbst wenn diese Insel mit Ökotourismus wirbt. Und es jede halbe Stunde einen Bus hat, der die 10km lange Strecke abfährt.
Bereits der gute Zustand der Strassen macht, dass ich mich überhaupt nicht auf einer Tropeninsel wähne. Doch auch die Küste hat für mich nichts Tropisches. Heute war ich zwar erst an der, dem Festland zugekehrten Seite. Von schroffen Felsen wird sie gesäumt, an denen die Brandung empor schiesst und zerstiebt. Das erinnert mich an die Bretagne. Zumal heute der Wind wirklich stürmisch ist, schwere Wolken, letzte Nacht soll ein gewaltiger Regenguss auf die Insel nieder gegangen sein, riesige Pfützen überall.

Kurz vor dem Sonnenuntergang, wechsle ich auf die Aussenseite der Insel. Hier zeigen sich abgerundete hohe Felsen, wie ich sie von Fotografien aus Thailand her kenne. Dicht mit Vegetation bewachsen, das entspricht schon eher meinem Bild einer tropischen Insel. Die Bucht ist aber gleichzeitig der Hafen, eine Mole hält die Brandung fern, sie eignet sich schlecht als Vordergrund für ein Foto vom Sonnenuntergang. Das ich dringend dem Erivando senden will. Dann ganz bestimmt, beim farbentrunkenen Versinken der Sonne im Meer, denke ich an ihn.

Fortaleza, 20.Mai





Seit Stunden hänge ich im Flughafen von Fortaleza herum, jetzt in der Abfertigungshalle, wartend auf das Boarding, hinter den Scheiben die Silhouette der Stadt. Kleinmanhattan, die Hochhäuser sind wenigstens häufig mit Ambitionen gestaltet, schiessen aber hervor wie Pilze. Auch hier eine Gemeinsamkeit mit China. Der Mut - oder vielleicht auch die Verwegenheit - die enorm rasche Ausdehnung der Städte radikal anzugehen.

Keine Ahnung, wie sich hier die Touristen aus Jericoacoara - der grösste Teil der Insassen des Busses steigt in den Hochhausquartieren aus - wohl fühlen können. Mir mindestens haben die Fotos im Internet gereicht: Kein Ort für mich. Der Bus aus Jericoacoara - bis zur Hauptstrasse wieder ein offener Geländewagen, der sich durch die Wasserflächen pflügt, die sich nach den gestrigen starken Regenfällen gebildet haben – setzt die Gäste direkt vor den Hotels ab, weshalb ich in den Genuss einer kurzen Sightseeingtour komme. Mehr von Fortaleza brauche ich nicht. Hochhäuser am Strand, das meiste sind Hotels, dann die mehrspurige Strandstrasse, dann kleine Restaurants, Tische im Freien, dann der schmale Streifen Sand, auf dem Sonnenschirme aufgepflanzt sind. Im Hintergrund schwach das Hafengelände der Stadt. Und hinter den Hochhäusern die eigentliche Stadt, wo die Bewohner leben. Gefährlich und weniger luxuriös.
In Fortaleza bei Rotlicht anhalten. Das könne man vergessen. Mindestens in der Nacht und in gewissen Quartieren und mit einem anständigen Wagen. Viel zu gefährlich, dass man da plötzlich eine Knarre an der Schläfe habe, da müsste einer schon dumm sein, berichtet mir ein Gast aus dem Bündnerland, der Land in der Nähe der Stadt gekauft hat. Das sei halt hier so. Die seien sich gewohnt, dass die Autos in der Nacht bei Rotlicht durchführen.

17:30. Jetzt wäre ich ganz sicherlich auf der Sanddüne neben Jericoacoara, der Hausdüne quasi, und würde den Sonnenuntergang betrachten. Umgeben von einer fröhlichen und vielfältigen internationalen Schar von Gästen, die ebenfalls diesem täglichen Spektakel - jedes Mal ist es wieder anders - zuschauen. Und würde bei Erivando einen Caipirinha bestellen. Ein Korb mit Früchten, Verschiedenes wird für die Drinks verwendet, Alkoholflaschen natürlich, ein Metallbecher, in dem die Drinks geschüttelt werden, Eis selbstverständlich, einzig die Plastikbecher sind nicht ganz dem normalen Standart entsprechend. - Und hinter seiner Styroporkiste, die er täglich mühsam den Hang hinauf geschleppt hat, Erivando, der Barkeeper. Der jeden Abend seine Bar während der kurzen Zeit des Sonnenuntergangs öffnet. Erivando, die Torheit meiner Reise, bereits wegen ihm wird mir der Sonnenuntergang auf der Düne von Jeri in Erinnerung bleiben. - Ich frage mich gerade, weshalb ich jetzt im Flughafen von Fortaleza sitze. Doch das Ticket, das habe ich gekauft, bevor ich das erste Mal mit Erivando in der einbrechenden Dunkelheit verschwunden bin. Damals als ich sein Werben noch lachend abgewinkt habe, was du, du bist ja kaum mehr als halb so alt wie ich, was willst du denn von mir. – Doch irgendeinmal bin ich eben mitgegangen, denn der Brasilianer hat mir durchaus gefallen. Und wenn er sich schon bemühte..... Nun sitze ich in Fortaleza. Nicht überzeugt davon, dass mein Weiterziehen richtig war. Doch eine Zukunft gibt es nicht. Das weiss ich mittlerweile genau. Mindestens im Kopf oben. Keines meiner Experimente mit „Exoten“ ist geglückt.

Nach einer kurzen Nacht steige ich am Morgen früh in den Bus ein, der mich in eine andere Welt entführt. Durchgangsstationen. Heute Abend der Flug nach Natal, einer weiteren Küstenstadt, die ich nicht gesehen zu haben brauche, morgen dann der Flug auf die Tropeninsel Fernando de Noronha. Paradiesisch soll es dort sein, die besten Strände und Korallengründe Brasiliens. Doch mein Paradies, das werde ich mir im Kopf oben bewahren.

Auch die heutige Fahrt führt durch Buschland. Häufig Cashewnussplantagen und darunter Weideland. Knorrig stehen dieses grossen Bäume herum und erinnern mich etwas an Olivenhaine am Mittelemeer, doch ist alles grösser an ihnen, auch die Blätter, die im übrigen ebenfalls silbergrau glänzen. Eigentlich hätte ich hier Cashewnüsse einkaufen sollen als Souvenirs. Für all jene, die nicht sowieso mit Schmuck eingedeckt werden, das heisst alle weiblichen Personen. Männer dürfen sich freiwillig bei mir melden für Schmuckstücke. Aus Samen, Knochen oder Fischschuppen. Garantiert ökologisch abbaubar.

Die Landschaft Richtung Fortaleza ist seit den gestrigen heftigen Regenfällen wieder von Wasser durchtränkt. Der Schweizer Einwanderer Oskar konnte mir endlich weiter helfen bei meiner Frage warum. In diesem Sand. Wenn man hier grabe, dann stosse man in ungefähr 3m Tiefe immer auf eine Lehmschicht, die das Wasser staue. Und hier falle eben in der Regenzeit derartig viel Wasser, dass es bis an die Oberfläche reiche und dort Seen bilde. In den 6 trockenen Monaten hingegen dörre es extrem aus. Der kräftige Wind, den die Wind- und Kite-Surfer an dieser Küste so schätzen. Der die heissen Temperaturen durchaus erträglich macht, aber eben auch die Pflanzen leiden.

Jericoacoara hat mich vor zehn Tagen mit Regen empfangen. Angangs Mai, eigentlich bereits ab Belem, regnete es sehr häufig, täglich eigentlich und manchmal stürzten wahre Sintfluten vom Himmel herunter. Darauf aber – und seit meinem Geburtstag ganz stabil – Schönwetter und viel Wind, ein angenehmes Klima. Erst gestern, als ich mit einem Pferd in ein Dorf reiten wollte, in dem eine argentinische Hippiefrau mit ihrem Mann und ihren Kindern wohnt, da stürzte es plötzlich vom Himmel herunter. Tropfnass war ich innert kürzester Zeit, da kam es nicht mehr darauf an, dass mein junger Führer mit mir durch tiefste Gewässer ging, die Pferde mussten schwimmen und natürlich war auch ich klitschnass. Doch der Jugendliche hat sowieso meine Bedürfnisse nicht begriffen. Der 3-stündige Ausritt hat praktisch nur aus Galopp bestanden, obwohl ich ihm immer wieder gesagt habe, ich finde das etwas viel für die kleinen Pferdchen, meines jagte nicht mehr freudig durch die Dünen. Zuviel natürlich auch für mich, bereits seit Jahren bin ich nicht mehr geritten. Ein Wunder, dass ich das so gut überlebt habe. Nur etwas Rückenschmerzen. Doch Pedro war ein gutes Pferd. – Aber eigentlich gefällt es mir nicht, wie die Leute hier mit den Tieren umspringen, aufsteigen, im Galopp davon preschen, ein Ruck in die Zügel, das Pferd muss immer schön tänzeln. Viele Pferde haben Wunden, das Zaumzeug sitzt schlecht, Kämpfe offensichtlich auch, dem Pferd meines Führers fehlt ein Ohr. Auch viele Esel, die hier halb wild leben, haben nur ein Ohr. Cowboys sind es eben. Auch wenn mir der Junge erklärt, nein, die Kühe, die auch halbwild hier ihr Leben verbringen, die fange man nicht mit dem Lasso, die packe man vom Pferd aus am Schwanz und halte sie fest, so würden sie sich überschlagen und Helfer hätten Zeit, sei zu fesseln. Er selber habe auch schon ein paar Kühe zu Fall gebracht, meint er stolz. Und die Schule? Das mache er am Abend. Zwischen 6 und 10 Uhr.

Freitag, 27. Mai 2011

Jericoacoara, 18.Mai










In Jericoacoara kommt man nicht darum herum, an Tiere zu denken und folglich auch darüber zu schreiben. Den Strand und vor allem die Dünen teilt man mit Eseln, manchmal beweiden Pferde das karge Gras, auch Kühe, meistens vom Typ Wasserbüffel, kommen am Abend zum Strand hinunter. Das hat zur Folge, dass es dort an manchen Stellen recht penetrant riecht. Auch nach Fisch, denn die Fischer reinigen ihren Fang gleich in der Bucht und wenn danach die Ebbe kommt, dann liegen die Abfälle herum und verwesen in der Tropensonne rasch.

Die Eselbrigade trifft man des nachts auch in den Sandstrassen, besser Pisten der Ortschaft. Sie sind auf der Suche nach Abfällen und können recht unangenehm werden und werden von den Bewohnern aus der Ortschaft gejagt. Nicht gross verjagt werden die vielen Hunde und Katzen, die auch wie wilde Tiere wirken, obwohl recht viele Hunde ein Halsband tragen. Und häufig auch an den Strand kommen und mit den Leuten in den Wellen spielen. Oder Bällen nach rennen wie der Flan. Doch so gut wie der das konnte können sie es nie.

Am Morgen schleicht sich regelmässig ein kleines schwarzes Kätzchen mit einem weissen Brustflecken und weissen Pfotenspitzen unter meinen Frühstückstisch. Es schaut mit zu Schlitzen verengten grünen Augen zu mir hinauf. Wenn ich es nicht bemerken will, dann miaut es dünn mit hoher Stimme. Tue ich immer noch so, als sähe ich es nicht, dann steht es am Stuhl hoch und schlägt mir mit der Pfote leicht auf den Oberschenkel. Ohne Krallen. – Doch inzwischen ist das ganze längstens zu einem Ritual geworden, ich freue mich auf die kleine Begleitung. Erst gibt es Wassermelone. Die frisst es erstaunlicherweise sehr gerne. Es ist auch zu sagen, dass in dieser Pousada die Früchte alle ausgezeichnet sind. Selbst die Wassermelonen. Das will etwas heissen, wenn ich das sage. Anschliessend frisst das Kätzchen meinen Schinken oder Aufschnitt. Und ich habe etwas ein schlechtes Gewissen, denn der Steinplattenboden wird dabei fettig. Zum Glück bin ich nun, seit die Woche wieder begonnen hat, immer ganz alleine hier.

Diese Tierfreundlichkeit. Die Leute sind auch sehr geduldig mit Getier, das auf der Strasse herum liegt, Hunde und vor allem Esel kümmern sich nicht gross darum, wenn ein Auto auf sie zu fährt, selbst mit grossem Gehupe, sie sind sich also gewohnt, dass man bremst – doch Zeit, das haben die Menschen in Jeri sowieso noch.
Der Pösteler zum Beispiel. Der ist ganz alleine und die Ortschaft doch recht gross und alle scheinen ihre Ein- und Auszahlungen hier zu machen. Zumal es in der Ortschaft keine Bank gibt. Der Pösteler also, der nimmt es gelassen, dass die Leute stundenlang in seinem Lokal warten müssen und lässt sich nicht stören, wenn er gerade wieder einmal am Telefon ist. Die haben ja auch etwas zu tun, tauschen Neuigkeiten aus, etwas, das hier sehr beliebt ist und sowieso einen grossen Teil des Tages einnimmt. Halt zwischendurch auch auf der Post, dort ist es angenehm kühl. – Mir verlangt das recht viel Geduld ab. Zwei Stunden dort zu verbringen um schliesslich 7 Postkarten aufzugeben. Aufgegeben hätte fast ich.

Am morgen früh um drei Uhr zerreisst das Schreien der Hähne die sonst fast vollkommene Stille in meinem Quartier. Mindestens jetzt, in der Woche, praktisch ohne Gäste und damit auch ohne das Röhren von Klimaanlagen. Von fern das Rauschen der Wellen. Und an zwei Tagen die Woche auch die Musik einer Disco. An diesen Tagen beginnen die Hähne bereits um 2 Uhr nachts. Obwohl das Tageslicht erst um halb fünf Uhr kommt.

Ich mag Tiere und beobachte sie ebenso gerne wie Menschen. Ausgenommen die Kleinen. Mit dem Vieh soll es auch Ungeziefer im Sand haben, das sich durch die Fussohle hineinfrisst. Man merke das erst, wenn es im Fuss steche wie ein Dorn. Dann müsse man ins Spital gehen und das heraus schneiden. Was genau das für ein Tier ist, das habe ich nicht heraus finden können. Doch wollen das viele hier bereits gehabt haben. - Heikler sei hingegen das Landesgrenzentier, wenn ich das wörtlich übersetzte, das bohre sich auch unbemerkt durch die Haut und hinterlasse auf der Oberfläche Spuren wie die Grenzen auf den Karten. Da müsse man sofort reagieren, denn dieses Tierchen – auch hier keine Ahnung was das sein könnte – das bohre sich vor bis zum Herz. – Wegen all dieser hübschen Geschichten laufe ich zuerst nur mit Sandalen herum. Doch erstens kommt der Fuss auch so mit dem Sand in Kontakt und zweitens ist es einfach wunderschön barfuss im Sand herum zu laufen. Zumal hier der Sand eine angenehme Temperatur hat. Wohl wegen dem steten Wind und der Feuchtigkeit im Untergrund.

Gestern bin ich nach Jijoca gefahren, denn ich brauchte Bargeld und das ist hier nur zu ungünstigen Konditionen zu kriegen. Am Morgen nahm ich ein Gemeinschaftstaxi. Bereits nach rund einer viertel Stunde waren genügend Leute beisammen, man rief mir, es ging los. Der Chauffeur setzte mich in Jijoca dann gleich vor der Banco do Brasil ab, es klappte bestens und so hatte ich schon am Mittag alles erledigt. Und bin in Carla, die argentinische Schmuckverkäuferin hinein gelaufen. Sie meinte, ich solle doch den Paulo, den Italiener an der Lagune besuchen gehen. Dort sei es sehr schön. Mit einem weiteren Gemeinschaftstaxi bin ich also dorthin gefahren und wirklich, das Wasser in der Lagune ist sehr angenehm, die Farbe schöner als die des Meeres. Paulo hat seit 22 Jahren seine Pousada mit Restaurant an diesem Ort. Sie ist ein Tagesausflugsziel für Besucher von Jeri. Am Anfang, da hätte es in der Gegend vor allem Schweizer Hippies gehabt, so rund sechs hätten sich hier niedergelassen, er sei praktisch der einzige Italiener gewesen. Erst vor 5 Jahren, als der Ort langsam bekannter geworden sei, da sei eine wahre Einwanderungsflut aus Italien gekommen. Nicht gerade die besten Leute, das könne man nicht sagen. Drogen, Frauengeschichten, Filous, nicht unbedingt ein Umgang, den er pflege. Paulo ist mit einer Brasilianerin verheiratet, beide wohl aus gutem Haus, letztes Jahr 5 Monate in Indien und Nepal unterwegs, man reise gerne und wohnen könne er auch an verschieden Stellen in Italien oder Brasilien, man habe mehrere Häuser. Doch gefalle es ihm eben an der Lagune besonders gut. Das Leben hier, kein Stress. - Und irgendetwas müsse man ja machen im Leben, oder nicht?

Jericoacoara, 14.Mai










Der Mann, vielleicht der Gärtner, hier macht jeder alles, selten ausgebildete Leute, schneidet die Dornspitzen der Agavenblätter ab. Das mache ich zwar ebenfalls, immer die Angst, die könnten jemandem bei Unachtsamkeit ein Auge ausstechen, doch diese hier – vielleicht sind es gar nicht Agaven – haben Duzende von Blättern, die Arbeit ist unendlich und im Rasen stehen ebenfalls ein paar äusserst stachelige riesige Säulenkakteen. Wie er denen zu Leibe rücken will ist mir schleierhaft.

Das Frühstück wird diesmal auf der anderen Strassenseite serviert, nicht im italienischen Restaurant wie gestern, dem Besitzer scheint hier die halbe Strasse zu gehören. Ich habe ihn einmal am Abend getroffen. Er erinnert mich an Depardieu. Nicht ganz dieselbe Leibesfülle, doch beeindruckend, derselbe Haarschnitt, die Farbe allerdings grausträhnig, die Augen sind dunkel, ein Italiener eben. Ich traue ihm nicht zu, dass er die äusserst geschmackvolle Einrichtung meiner Pousada, der Pousada Aqua, selber kreiert hat. Die sieht so aus, wie wenn jemand jedes Zimmer einzeln mit viel Liebe gestaltet hätte. Auch so ein Träumer, der hier sein Paradies gefunden zu haben glaubte, und schliesslich nicht zu geschäften wusste?

Von meinem Frühstückstisch aus kann ich über die mit Sukkulenten bewachsene Böschung hinweg wunderbar die Strasse überblicken. Samstag morgen, die Wochenendtouristen rücken an. Der offene Geländewagenbus ist heute vollbesetzt, auch Privatwagen haben es durch den Sand bis hier an den Strand geschafft. Fortaleza ist 6 Busstunden entfernt, etwas viel für ein Wochenende finde ich, doch hier scheint man sich das gewohnt zu sein.

Vor 10 Jahren sei Jericoacoara noch ein Fischerdorf gewesen. Heute leben gerade einmal 4 Familien vom Fischfang. Die übrigen machen nicht mehr viel, haben wahrscheinlich ihre Grundstücke oder Häuser zu guten Preisen verkaufen können. Der Fotograf, der in seinem eigenen kleinen Laden schöne Postkarten und Fotografien verkauft - er kommt aus Belem - klagt darüber, dass die Mietzinse hier unerhört hoch seien. Und statt Pferde haben die Einheimischen nun eben Strandbouggys, mit denen sie mit Touristen durch die Gegend rasen. Gerne lassen sie die Motoren aufheulen, die Gefährte scheinen alle kaputte Auspuffe zu haben. Oder hängen auch nur in den Strassen herum und drängen den Touristen Exkursionen oder Pousadas auf. Weil sie damit jedes Mal ihre Prozente abkriegen. Die der Kunde zusätzlich bezahlt, wie mich der holländische Besitzer eines Reisebüros, das Flug- und Bustickets verkauft, belehrt. Die grösseren Pousadas und Restaurants hingegen sind zumeist in den Händen von Ausländern.
Das soziale Gefüge im Dorf ist durcheinander geraten, Drogen nun auch, Crack für die Armen, Kokain vor allem für Auswärtige, der Segen des Tourismus. – Trotzdem muss ich zugeben, dass ich mich inzwischen in Jeri äusserst wohl fühle. Nicht zuletzt, weil ich hier einen angenehmen Wohnort gefunden habe und – eine Premiere – nun selbst aus er Hängematte heraus schreibe, die in einem schattigen, von Pflanzen überwucherten schmalen Innenhof hängt. Das Hotel ist für brasilianische Verhältnisse äusserst günstig, etwa 35 Franken kostet mich der Raum, die Konkurrenz ist hier riesig, über 100 Pousadas soll es geben und ebenso viele Bars und Restaurants und Läden, auf eine Einwohnerzahl von 3000. Und überall wird um- und neu und weiter gebaut.

Der Oskar, das sei ein cooler Typ, meint der Mann, der Pferde vermietet. Ich will morgen wieder einmal ausreiten gehen. Und führt mich gleich zum Bündner, der ganz in der Nähe der Pferdevermietungsstelle, auf der anderen Seite des Dorfes wohnt. Der Oskar ist einer der Pioniere hier in Jeri. Eigentlich habe er bereits als Jugendlicher nach Argentinien auswandern wollen. Dann dort der Putsch, sein Traum verflogen, aber mit 40ig, da habe er es nochmals versucht. Damals hätten in Jericoacoara alle Bewohner noch gefischt, keinen Strom habe es im Ort gegeben. Inzwischen ist er Besitzer einer Pousada, erfolgreich, doch will er sich jetzt zur Ruhe setzen und hat sich ein Gründstück landeinwärts gekauft. Dort etwas Landwirtschaft, zusammen mit der AHV von 2500 Reais reiche das längstens. Ja natürlich, es habe sich stark verändert. Werde auch immer exklusiver, er müsste jetzt in seine Poussada wieder viel Geld investieren. Was jetzt gebaut werde, das seien Luxushotels. Die Landpreise seien hier unerschwinglich geworden, die Bauhöhe beschränkt, auch gäbe es gar nicht mehr viel Bauland neben dem Nationalpark, viel könne sich der Ort nicht mehr ausdehnen. Nobler werde es werden, ganz klar. Im Moment aber das Angebot noch zu hoch und das Überleben nicht einfach.
Die ehemaligen Fischer, die hätten eben alle verdient beim Verkauf ihrer Liegenschaften und Grundstücke. Nur manchen sei das Geld nicht lange geblieben. Keine Erfahrung, die seien bereits wieder arm. Aber andere, die hätten es geschafft. Zum Beispiel der Mann, der jetzt einen kleinen Supermarkt in der Hauptstrasse habe. Früher sei der noch mit dem Esel mit den Waren vorbei gekommen. Jetzt sei er Millionär. - Oskar spricht ohne Verbitterung oder Sentimentalität von den Veränderungen. Es habe ja auch Gutes. Den Leuten gehe es besser, auch Arbeit für die Bewohner aus den umliegenden Dörfern. Die Fischer dort haben in Jericoacoara einen sicheren Absatzmarkt und viele Leute pendeln ins Dorf um hier zu arbeiten. Das ganze Gebiet profitiere davon.

Am Abend bestelle ich Cevice, mein heiss geliebtes und innig vermisstes peruanisches Fischgericht. Der Koch, er spricht französisch, erklärt mir, dass er das à la Chilena mache, ohne gekochte Süsskartoffeln und Maiskörner, mit Crackern serviert. Der rohe Fisch ist zwar scharf, wenigstens das, doch lange nicht so raffiniert gewürzt, wie ich mir das von Peru her gewohnt bin. Die peruanische Küche gewinnt ganz eindeutig die Goldmedaille bei mir, ich vermisse sie heiss in Brasilien. Bereits der Pisco, das peruanische Nationalgetränk. Wie viel besser ist der doch gegenüber dem Caipirinha. Obwohl merkwürdigerweise praktisch dieselben Zutaten hinein kommen.

Manche Gewohnheiten der Brasilianer unterscheiden sich kaum von denjenigen der Chinesen. Auch die Brasilianer spuken dauernd im Zeug herum. Widerlich. Allerdings hier nur die Männer, die Frauen höchstens heimlich. Und Feuerwerke mögen sie ebenfalls. Wie in China rattert fast täglich irgend etwas los. Häufig tagsüber und so verrät einzig die Rauchwolke, die vom Wind davon getragen wird, den Ort des Geschehens. – In China gab es auch täglich ein Geknatter. Dort hingegen, weil man damit die bösen Geister vertreiben will. Die hiesige Ursache, die kenne ich nicht.

Montag, 23. Mai 2011

Jericoacoara, 13.Mai







Plötzlich hat mich dann doch die Panik ergriffen. Geburtstag ganz alleine, ohne Freunde und Familie um mich herum? Es ist eine Première für mich - aber mit 55 Jahren eigentlich an der Zeit.

Nachdem ich vorgestern Nacht kein Auge zugemacht habe, weil in einer Bar im Quartier bis 4 Uhr morgens laut Musik gespielt wurde, wollte ich überstürzt abreisen und mir ein neues Paradies zum geburtstagen suchen. Habe aber dann feststellen müssen, dass es mir gar nicht mehr reichen würde, auf die Tropeninsel Fernando de Noronha zu gelangen. Und ich so meinen Geburtstag unterwegs in Fortaleza feiern würde. Als ich die Bilder dieser Stadt im Internet gesehen habe, habe ich den Plan sofort wieder umgekippt. Fortaleza sieht aus wie die Mittelmeerküste von Spanien, alles überbaut, nur höher, eine richtige Horrorstadt. - Und habe schliesslich nur das Hotel gewechselt. Nun bin ich in einer kleinen und liebevoll gestalteten Pousada, die einem Italiener gehört. Eines der seltenen Gebäude, das so gebaut ist, dass man einfach die Lamellen der Fensterläden kippen kann und die Luft so ganz natürlich hindurch streichen kann und das Licht gedämpft hinein. Das Badezimmer ist mit Mosaiksteinen ausgekleidet, die Wände sind teils weiss, teils lauchgrün, teils ebenfalls mit Mosaiken ausgekleidet, einzig die Bilder sind nicht ganz nach meinem Geschmack.

Heute Morgen hat mich der Sonnenschein geweckt, der ins Zimmer drang. Das ist im Moment selten, häufig Wolken. Ich bin an den Strand hinunter gegangen und dem Meer entlang gerannt. Wie früher in Sansibar. Anschliessend habe ich einen Kokosnussaft gekauft und dem Verkäufer meine Sachen anvertraut, so dass ich unbesorgt im Meer schwimmen konnte. Schliesslich habe ich schon wieder zwei Ohrengehänge aus Fischknochen gekauft, ich habe nun bereits eine Riesensammlung von Schmuckstücken. In Südamerika hat es enorm viele junge Leute, die herumreisen und sich dies mit dem Schmuckverkauf verdienen. Und ich schaffe es viel zu selten, nein zu sagen. - Genauso ergeht es mir mit den Katzen und Hunden unter den Restauranttischen. Sobald ich mich erweichen lasse, habe ich sofort eine riesige Meute sich balgender Tiere um mich herum. Das ist mir einerseits peinlich. Andererseits fressen die dasselbe am liebsten wie ich, nämlich Fisch oder Fleisch. Nie Reis oder Bohnen.
Immerhin sind in Jeri sowohl Katzen wie Hunde gesund und haben ein schönes Fell. Keine räudig verseuchten Tiere.

Gegen den Abend, sobald die Hitze etwas nachlässt, gehe ich wieder an den Strand. Später hinauf auf die Düne, dort oben herrscht um diese Zeit Hochbetrieb. „Pôr do sol“ („Po du sou“ ausgesprochen) nennen die Brasilianer den Sonnenuntergang. Auch eine Styroporkiste mit Getränken ist hinauf geschafft worden, eine improvisierte Bar, zur Feier des Tages genehmige ich mir einen Caipirinha. Ein starker Drink, der mich fast umwirft, der Sonnenuntergang wird so noch berauschender. Als es bereits fast dunkel ist, stürze ich mich wie andere den Steilhang der Düne zum Meer hinunter. Der ist mindestens so steil wie eine schwarze Skipiste in der Schweiz, die Jugendlichen bewältigen ihn gerne mit Surfboards. Ich hingegen nur zu Fuss, in grossen Sprüngen, die Arme ausgebreitet, ein Fluggefühl, einem Vogel gleich in die bereits fast schwarze Nacht.

Nach zehn Uhr abends gehe ich mit einer Flasche Wein ins Reisebüro des holländisch-brasilianischen Paares. Als Dank dafür, dass sie mir geraten haben, doch besser hier zu bleiben. In Fortaleza würde ich nicht glücklich sein. Auch ein häufig hier lebender Amerikaner ist dort, doch trinken leider alle keinen Alkohol. Der Holländer, weil früher zu viel, seine Frau hat gar nie damit angefangen, zum Glück findet ihr Mann, und der am ganzen Körper tätowierte Amerikaner scheint auch eine illustre Vergangenheit zu haben und darf nicht trinken, weil er Medikamente gegen Epilepsie nehmen muss. Auch ohne Alkohol bleiben wir bis 1 Uhr früh sitzen und plaudern. Freunde habe man doch überall, meint der Holländer, als ich ihm gestehe, dass meine überstürzt geplante Abreise, damit zu tun gehabt habe, dass ich mich vor meinem Geburtstag gefürchtet hätte.
Nun bleibt mir immer noch eine gute Flasche brasilianischen Rotweines. Auch der Portugiese sei noch hier, erfahre ich, und die zwei jungen Deutschen von Paulino Neves habe ich auch kurz erblickt. Ich denke nicht, dass ich den Wein alleine trinken muss.

Jericoacoara, 11.Mai







Warum ich denn aus dem Paradies weggehen wolle? fragt der Italiener, der seit 4 Jahren in Jericoacoara wohnt, als ich mich verabschiede. Ich habe ihm gesagt, dass all die Tiere, Katzen, ein Hund, ein Pferd, ein Esel, die auf seinem oasenartigen Grundstück leben, hier ein Paradies gefunden hätten. Kokospalmen, ein Bach, ein paar Häuser, die Tiere dürfen sich alle frei bewegen. Ja, warum verlasse ich das Paradies eigentlich immer?

Und warum hänge ich auch alle Traveller, die ein Stück des Weges mit mir gehen, ziemlich rasch wieder ab? Ich fühle mich danach doch auch wieder etwas einsam, wenn ich am Abend plötzlich niemanden mehr zum Sprechen habe. - Trotzdem, mir behagt es nicht, länger mit Leuten zusammen zu reisen. Alles wird viel komplizierter, muss abgesprochen werden. Bis dann endlich die Entscheide fallen! Spontan bleibt da nicht mehr viel.

Im vierradbetriebenen Lastwagen von Barreirinhos nach Paulino Neves lerne ich einen Portugiesen kennen. Mit Cowboyhut und Zahnspange. Mit seinen rund vierzig Jahren etwas verspätet, finde ich, das gibt ihm etwas merkwürdig Jugendliches. Ein Neurotiker, aber eigentlich ganz nett, lacht plötzlich hell heraus und kann sich nicht mehr erholen. Er lache halt gerne. Nichts dagegen. Und erzählt immer wieder von seinen spirituellen Erlebnissen. Er sei bei einem Wunderheiler in Brasilia gewesen. Nein, nicht er habe sich behandeln lassen, man könne auch nur zuschauen. Und filmen. Er zeigt mir eine kurze Filmsequenz. Der Heiler zieht aus der Nase seiner Patienten - Opfer scheint mir da der bessere Ausdruck - ziemlich brutal mit einem Werkzeug Geschwüre heraus, er hält dabei den Leuten mit der Hand die Augen zu. Sie scheinen sich danach besser zu fühlen. Von körperlichen und seelischen Leiden befreit. - Und kein Alkohol, keine Zigaretten, nichts Scharfes essen dürfe man in diesem Zentrum. Kein Sex vermutlich, werfe ich ein. Aber nein, lacht der Portugiese laut heraus. Der Heiler sei sehr reich. Habe immer eine Schar schöner junger Frauen um sich. Mit seinen 67 Jahren. Der habe ein wahnsinniges Charisma. Was Frederic, so heisst der Mann aus Lisabon, dort gesucht hat, ist mir nicht ganz klar. Schon 5 Mal sei er in Brasilien gewesen. Sonst immer an den Stränden, ein Flug nach Fortaleza. Zwischendurch ist er auch merkwürdig nervös, abwesend und als wir in Parnaiba zusammen Nachtessen gehen, da ist ihm alles zu teuer. Doch ich weigere mich, in dieser grösseren Stadt, deren Zentrum wie ein Dorf wirkt - die Avenida Presidente Vargas ist eine schmale löcherige Strasse, wir kommen in der Nacht an, alles verlassen, ich bin froh, dass die „Presidental Poussada“, die in meinem Führer empfohlen wird, einigermassen okay und günstig ist - noch lange herum zu suchen. Auch hier hat uns im Bus eine Frau geraten, ein Taxi zum Hotel zu nehmen, zu gefährlich zu Fuss mit dem Gepäck. Ich habe nun nicht gross Lust, in dem verschlafenen Kaff um 9 Uhr abends noch lange nach einem billigeren Restaurant zu suchen. - Ob er für 10 Reais nicht einfach eine kleinere Portion der Speisen kriegen könne? Die Kellnerin meint empört, das sei die Speisekarte, er solle sich halt etwas Billiges auswählen. Mir ist die Szene peinlich und so lade ich den Portugiesen zu einem Caipirinha und Frites und Oliven mit Käse ein. Das kostet erstaunlich wenig, gegenüber den Meerfrüchte- und Krabbengerichten. Recht beschwipst kehren wir dann zum Hotel zurück und ich kann ihn gerade noch davon überzeugen, sein Geld doch besser erst morgen früh beim Bancomaten abzuheben, nicht jetzt mitten in der Nacht.
Im Bus treffen wir am nächsten Morgen auf einen jungen Holländer mit Surfbrett, der will auch nach Jeriocaocara, das ist mir rasch klar, wir reisen zu dritt weiter, noch ein Bus, dann wieder ein offener Geländewagen. Am Nachmittag erreichen wir den Ort, der Holländer war bereits einmal hier, er steigt in dem Youth Hostal ab, das er bereits kennt. Ich schaue mir die Zimmer an und sage nein. Nicht für diesen Preis. Und suche mir etwas anderes. Den Portugiesen, dem es dort auch nicht passt, den hänge ich einfach ab und verschwinde. Und habe nun etwas ein schlechtes Gewissen, denn getroffen habe ich ihn nicht mehr, der Ort ist doch grösser, als ich mir das gedacht habe.

Die Reise von Parnaiba nach Jericoacoara, hier zärtlich Jeri, ausgesprochen wie „chéri“, genannt,
führt wiederum durch dichtes Buschland. Einmal tauchen grosse gerundete Felsplatten zwischen dem Gebüsch auf, eine ganz merkwürdige Landschaft rings um die Gegend von Chaval. Ich finde diesen Ort sehr hübsch, die Felsen, eine Lagune, ein kleines Städtchen. Doch steige ich nicht aus, Chaval kommt in keinem Reiseführer vor. Auf der Karte sehe ich später, dass es vor dem wenig entfernten Strand ein Korallenriff haben muss. Doch auch im Internet sind die Informationen über Chaval dürftig, einzig das Satellitenbild mit den Felsen ist interessant.

Der Italiener aus der Oase, bietet mir an, mit seinem Pferd auszureiten. Er selber habe nie reiten gelernt, das Pferd sei aber eher faul, davon galoppieren werde mir das nicht. Sein drittes Pferd ist es bereits, zwei sind gestorben, mysteriöse Geschichten. Eine Pousada hat er auch einmal für 10 Monate gehabt, eine Katastrophe sei das gewesen, viel Geld verloren dabei, bereits vorher, zweimal verheiratet, unglückliche Trennungen. Die Schuhfabrik, die sein Grossvater aufgebaut habe und er vom Vater übernommen, die habe er verkaufen müssen, zu viel Geld für die Scheidungen. Überhaupt. Nach der zweiten Scheidung ein Herzinfarkt und Arbeit habe er ja auch keine mehr gehabt, da sei er hierher gekommen. Erst mit seinem halbwüchsigen Sohn in die Ferien. Dann zurückgekehrt ins Paradies.
Paradies geblieben ist es zwar offensichtlich nicht, obwohl er betont, er lebe gerne alleine hier draussen, weg von der Ortschaft. Doch das Geld beginnt zu mangeln, 1000 Reals für die drei Häuser zwischen den Palmen, abgelegen, Strom gibt es keinen, der Plan vom Weitervermieten, der habe nicht geklappt, die Miete sei ihm nun zu hoch, er wisse nicht, wie lange das weiter gehen könne. Doch aufgeben wolle er die Gebäude, die er selber habe renovieren lassen, seines habe sogar Solarstrom, eben auch nicht. Zuviel Geld investiert. Und der Besitzer, eigentlich nur Verwalter, der zahle ihm nichts für die Investitionen.
Nur Verwalter, weil der Besitzer des ganzen Anwesens - es gehören noch andere im Palmenhain verstreute Gebäude dazu – vor 25 Jahren überstürzt nach Spanien abgereist sei. Ein sehr reicher und angesehener Mann, der in der Gegend viel investiert habe. Dies hier, das sei ein Kinderheim gewesen für obdachlose Waisen. Nur habe man eben irgendeinmal gemerkt, dass der reiche Spanier auch ein Pädophiler war. Doch nichts dagegen unternehmen wollen, zu wichtig sei der Mann für die Gegend gewesen, ein guter Arbeitgeber. Doch die Polizei habe ihn beobachtet. Und als man festegestellt habe, dass der Mann in Fortaleza ein Filmstudio besessen habe, in dem er Pornofilme gedreht habe, da habe man eingreifen müssen. Der Spanier sei überstürzt abgereist und habe dieses Anwesen dem damaligen Verwalter anvertraut. Die übrigen Liegenschaften in der Gegend, die würden jetzt alle zerfallen. Aussehen wie diese hier ebenfalls, bevor er sie renoviert habe.

Am Abend wandere ich gegen Osten den grasbewachsenen Hügel hinauf, eine Düne sicherlich ursprünglich, jetzt weiden die Tiere darauf, darunter eine felsige Küste, schroffe karstartige Felsflächen liegen jetzt bei Ebbe frei.

Ich bin nicht sicher, ob mir die Küste von Jericoacoara gefällt. Aber ganz aussergewöhnlich ist sie bestimmt. Überhaupt nicht so, wie ich mir eine tropischen Küste vorstelle. Nordöstlich, wie im Lençois Maranhense Sanddünen, Lagunen, Oasen, landeinwärts Weideland, dazwischen eingestreut Oasen mit Kokospalmen. An Nordafrika erinnert das, keine üppige Tropenvegetation, die Schatten spenden würde. Südostwärts hingegen schroffe, nicht allzu hohe Felsklippen, die ins Meer auslaufen, Weideland auch hier, keine Wälder, nicht einmal Buschland wie im Landesinneren, das wiederum erinnert mich an die Bretagne oder die Normandie.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Paulino Neves, 9.Mai










Nach Parnaiba wolle ich? Das sei am Wochenende aber schwierig. Erst mit einem Geländefahrzeug nach Paulino Neves. Dann wechseln und mit einem anderen weiter nach Tutoia. Dort müsse ich übernachten. Und am nächsten Tag nach Parnaiba. Mit dem Bus. Jeden Tag gebe es eine Fahrmöglichkeit, ich müsse einfach am 7 Uhr morgens gegenüber der Banco do Brasil warten. Manche Leute meinen um 8 Uhr. Jemand sogar um 9 Uhr. Man könne das nicht im voraus sagen. Ich müsse einfach schauen gehen, ob es einen Bus habe. Jemand meint, von Paulino Neves - laut meinem Führer müsste es dort eine nette Poussada geben - von dort aus gäbe es seit 3 Monaten eine richtige Strasse. In einer viertel Stunde sei ich da in Tutoia, kein Problem. - Wenn man in Brasilien etwas fragt, dann kriegt man viele Antworten. Nur nie die Antwort „ich weiss es nicht“.

Tatsächlich fährt dann der Wagen am Sonntag Morgen gegen 10 Uhr. Ein Geländefahrzeug wie am vorigen Tag, doch diesmal voll gestopft mit Einheimischen und Waren. Seitenplanen gibt es keine, das spüren die Leute, die am Rande sitzen, tropfnass werden sie bei den häufigen Regengüssen. Ich habe gestern auf einem Touristentripp zu den Dünen, wo ich dauernd von Zweigen zerkratzt wurde, gelernt, dass die Seitenplätze ihre Nachteile haben, und setze mich auf einen Platz mitten in der Bank. Neben mir ein Portugiese, Steinhauer, wie ich später erfahre, und hinten noch zwei junge Deutsche zwischen den Einheimischen. Ich denke, alle auf dem möglichst schnellen Weg nach Jericoacoara, dem Travellerparadies. Und bin dann erstaunt, dass sie ebenfalls in Paulino Neves aussteigen.

Die Fahrt geht erst gut eine Stunde durch Buschland, die holprige Sandpiste verwandelt sich zwischendurch in ein Bachbett oder einen Teich von schwarzbrauner Farbe, die viele Vegetation die im Wasser verrottet, Torfwasser, wie im Amazonasgebiet. Zwei, drei im Gebüsch versteckte jämmerliche Siedlungen unterwegs, etwas Maniok, kleine Felder, auch Mais wird angepflanzt, Schweine und Hühner laufen herum. Später lichtet sich das Buschland und macht grossen ebenen Weideflächen Platz. Rinder, Schafe, Ziegen, Pferde und Esel sehe ich, zwischen den Grasflächen auch immer wieder Wasser, meerwärts am Horizont , manchmal auch nahe, leuchtende weisse Sanddünen. Etwas an die Camargue erinnert mich das.
Offensichtlich muss die Buschlandschaft auf kargen Sandböden geschützt werden, wenn man sie erhalten will, statt ihrer ist hier Weideland möglich. Paulino Neves, wo ich übernachte, wirkt nicht wie ein armseliger Ort, Viehwirtschaft und Fischerei. Die Dünen, die man in einer viertel Stunde zu Fuss erreichen kann – zwischendurch muss man zwar fast hüfthoch durch braunes Wasser waten - sind von Ziegenkot übersät. Unten, in der grasigen Ebene, die zwischen den Dünen und dem Meer liegt, weiden viele Tiere. Es ist Sonntag Nachmittag, auch die jungen Einheimischen amüsieren sich in den Lagunen. Ein Mann hat eine Styroporkiste angeschleppt und verkauft unter einer Plastikplane kühle Getränke.

Am Abend gibt es im Dorf eine Forro-Disco, die Jugend tanzt wie verrückt, mich würde es eigentlich auch gelüsten. Doch leider ist das wieder einmal derartig laut, dass mir bereits von der anderen Strassenseite her die Ohren schmerzen.