Montag, 2. Mai 2011

Novo Airao, 23.April







Ein sonniger Morgen, das ist nach den sintflutartigen Regenfällen gestern völlig unerwartet. Ich stehe früh auf, die meisten Gäste ebenfalls. Familien mit Kindern, auch Familien mit erwachsenen Kindern oder Kinder, die ihre betagten Eltern mitnehmen. Paare sind selten, Einzelperson bin ich die einzige. Die meisten Gäste sind recht unförmig dick und in enge Kleider gezwängt, die viel Haut offen lassen. Ich schaue den Leuten beim Fotografieren zu. Sie stehen an die Brüstung vor das herrliche Flusspanorama. Allerdings ist das hell erleuchtet, unter dem Dach der Terrasse hingegen herrscht Dämmerlicht. Das forcierte Lächeln, das sie in die Kamera werfen, wird deshalb kaum erkennbar sein, denn der Vordergrund bleibt dunkel. Die vielen Leguane in den Bäumen vor der Terrasse werden ebenfalls fotografiert, auch sie eher ein schwieriges Fotosujet in den Blättern, was soll’s, die Leute sind zufrieden und am Fernseher läuft, von Werbung immer wieder unterbrochen, eine Sendung, die zu Ostern passt.

Neun Uhr abends, ich habe noch nicht gegessen, ein kleines Restaurant gleich um die Ecke, ich erwarte nichts und erhalte mehr. Eine halbe Stunde warte ich auf ein Sandwich Anavilhanas, nach der Inselgruppe hier benannt. Nach etwa 20 Minuten erklärt mir die Frau auf meine Frage, wo denn mein Bier sei? Bier hätten sie keines, ich solle mir das in der Nachbarschaft kaufen. Nein Danke, meine ich, dann halt nur Sandwich. Nach einer weiteren Ewigkeit kriege ich dann mein Sandwich, frisch gemacht, warmes Brot, Poulet und Palmherzstücke frisch gedämpft, frisch geraffelte Karotten, Tomaten und Salat sind auch darin. Alles wunderbar. Ein Bier bringt man mir nun doch, offensichtlich ist man das suchen gegangen. Alles für 8 Reals. Da ist nun wirklich nichts zu sagen. Auf der anderen Strassenseite sitzen zwei Youngsters mit Schiebermützen breitbeinig vor dem orange gestrichenen neuen Haus ihrer Eltern. Musik dröhnt aus riesigen Boxen am Strassenrand, sie blicken hochmütig herüber, scheinen sich für die Götter dieser Welt zu halten. Es sind dieselben, die ich gestern mit einem riesigen PickUp habe im Städchen herumkreisen sehen. Auf der Ladefläche die Lautsprecher, deren Musik in die Strassen hinausdröhnt. Zur Erheiterung der Leute vermutlich, denn verkaufen tun sie nichts.

Laut war auch der Prediger heute Abend in der hell erleuchteten, aber nicht sehr vollen Kirche. Er verkündet vermutlich schreiend das Ende der Welt, das kann man ja nur laut, sonst wird das nicht ernst genommen.
Ein stockbetrunkener Indio liegt im Komma mitten auf der Strasse, wir warten neben dem Kirchenraum auf die Polizei, vor uns hat niemand angehalten, es ist Nacht, die Strasse schlecht beleuchtet, der hätte jeder Zeit überfahren werden können. Ich bin froh, dass meine zwei Begleiter, beides Deutsche und irgendwie in Novo Airao hängen geblieben, medizinisch bewandert sind, einer Krankenpfleger und einer Sozialarbeiter. Ich habe eigentlich befürchtet, dass der Mann tot sei, keinen Mucks hat er mehr getan. Doch, er atme noch, flach zwar, auch der Puls noch vorhanden, die Adern an der Hand würden hervorstehen, das sei ein gutes Zeichen. Schmerz empfinde er keinen, spüre überhaupt nichts mehr. Nach einer langen Weile und mehreren Telefonanrufen kommt dann endlich die Ambulanz. Der eine Deutsche, ein Hüne, der früher hier im Spital Krankenpfleger war, zieht Plastikhandschuhe über und hilft mit anpacken. Obwohl der Indio wohl kaum schwer wiegen mag, ausgemergelt sieht er aus. Die Sanitäter parkieren den Mann auf einer Bare hinten im Auto, nicht einmal angebunden wird er, und alle drei setzten sich wieder vorne hin. Doch da greift der Krankenpfleger ein und stoppt den Wagen, alleine könne man den Mann nicht hinten lassen. Mürrisch steigt einer der Sanitäter aus und setzt sich zum Besoffenen. Ein Indioleben wiegt eben nicht viel.

Der Krankenpfleger aus Berlin baut hier eine Schreinerei auf, nein, mit dem Spital sei nichts mehr, seine Schwester, die dort jahrelang Oberschwester gewesen sei und der später die Spitalleitung anvertraut worden sei, habe in dieser Funktion dem Bürgermeister nichts von dem Geldsegen der Regierung abgeben wollen. Und deshalb den Job nicht lange behalten. Da sei auch er gegangen. Die Schwester sei wieder Oberschwester, wieder ohne Vollmachten um mit dem Geld zu wirtschaften. Und er wolle nun mit Holz arbeiten. Doch, das frustriere natürlich schon, diese Korruption hier. Man versuche den Bürgermeister das nächste Mal abzuwählen.
Novo Airao kenne er seit Jahren, seine Schwester sei bereits lange hier ansässig, er jedes Jahr einen Monat hier in den Ferien gewesen, verliebt habe er sich in den Ort, die Weite, das Wasser, das Fischen. Vor drei Jahren habe er sich auch noch in eine Einheimische verliebt. Das sei der Moment gewesen hier zu bleiben. Der Mann hat eine ganz erstaunliche Körpergrösse und –breite und ein riesiges Auto. Wegen seinem Umfang, meint er. Der PickUp dient auch beim Aufbau seiner Holzverarbeitungsstätte.
Dabei hilft ihm ein anderer Deutscher, ein junger Sozialarbeiter, eigentlich in Luzern aufgewachsen, Schweizerdeutsch will er aber nicht sprechen, er sei für Sprachen nicht begabt. Ein Jahr bereits unterwegs, durch Europa mit dem Velo, dann Indien, wie er anschliessend nach Equador gelangt ist, das habe ich ihn nicht gefragt. Auf dem Rio Napo dann nach Iquitos, auch er ist dort zwei Wochen hängen geblieben. Dann flussabwärts, wie ich, doch merkwürdigerweise nicht direkt nach Manaus, sondern in der letzten grösseren Ortschaft vorher, in Manacapuru, ausgestiegen. Und einen Fluss hinauf gegangen, später dann hierher, ihm gefällt der Ort. Er wolle das Geld, das er in Aktien angelegt habe benutzen, um hier ein Stück Urwald zu kaufen. Für 3500 Euro kriege man bereits ein rechtes Stück Land. Und später darauf ein Haus bauen. Geld bei den Banken, das passe ihm nicht. Vorerst hilft er dem Ex-Krankenpfleger und neuen Schreinermeister dabei, seine Werkstadt aufzubauen. So für einen Monat, dann ziehe er weiter. Nicht Liebe auf den ersten Blick sei Novo Airao. Doch rasch habe er nette Leute getroffen, auch einen älteren Schweizer gäbe es hier, der habe einen kleinen Supermarkt.

Die zwei jungen Biologen aus Minas Gerais, die im Moment hier Umfragen machen zu dem Verhältnis der Einheimischen zu den rosaroten Delfinen, kennen den Schweizer auch, ein verrückter Typ finden sie, echt verschroben. Als sie ihn gefragt hätten, was er davon halte, dass im Ort Delfine als Touristenattraktion angefüttert würden, da habe er gemeint, das könne er nicht sagen. Er sei schliesslich kein Delfin. – Mir persönlich scheint dies allerdings weniger verrückt als ein Zeichen von Humor. Den Mann müsste ich dringend noch besuchen gehen. Und fragen, weshalb er denn in Novo Airao hängen geblieben sei. Bereits vor Jahrzehnten heisst es.
Durch die Biologen wiederum, habe ich den deutschen Weltenbummler kennen gelernt, denn als wir heute gemeinsam ein Boot gebucht haben um auf die Inseln hinaus zu fahren, da haben wir ihn angetroffen und auch gleich mitgenommen, denn die Biologen kannten ihn bereits. Die Biologen wiederum, Camilla und Luis, haben mich gestern angesprochen, als ich am Wasser am Zeichen war. Und mir von ihrer Arbeit erzählt. Ich ihnen von meinem Interesse daran. So hat sich dann dieser Ausflug ergeben. Und damit die ganze Kette der Ereignisse und Begegnungen. Die Welt ist klein. Im Hotel treffe ich am Abend noch einen Schweizer, der für „Precious Woods“ arbeitet, einem Betrieb, der im Amazonasgebiet nach ökologischen Richtlinien Holz abbaut. Nein, nicht Biologe sei er. Für die Neuorganisation des Betriebes zuständig und wohne in Sao Paulo. Mit einer Brasilianerin verheiratet, das scheint doch sehr häufig der Auslöser zu sein für eine Auswanderung. Auch sie ist hier und spricht gut Hochdeutsch, man habe zwischendurch 3 Jahre in Biel gelebt. Wie ich, sind sie auf der Flucht vor den Ostertagen in Manaus, das Waldstück im Amazonas liegt in Itapiranga.

Und schliesslich zu den „Botas“, den rosaroten Delphinen, mit denen die ganze Geschichte begann. Heute Morgen bin ich zum Floss gegangen, wo diese Delphine gefüttert werden. Die Touristen können dort Fische kaufen und den Delphinen hinhalten, die alsbald aus dem Wasser schiessen und die Fische zu packen versuchen. Einzelgänger seien diese rosaroten Delphine eigentlich, ganz im Gegensatz zu ihren Artgenossen im Meer. Diese Ansammlung von Tieren sei für sie ein Stress, in der Natur würden sie sich nie so nahe kommen. Solange genug gefüttert werde, sei das okay, doch wenn nicht genug Futter komme, dann würden die Tiere aggressiv und sich verletzen. – Heute mindestens haben die Delphine bestimmt genug Futter bekommen, wohl alle heute Abend eine Magenverstimmung. Ich finde diese Delphine mit den extrem schmalen Schnautzen und winzigen Äuglein, keine Pupille ist darin sichtbar, gerade etwas wie eine kleine Hautausstülpung, die fleckige Rosafärbung des Körpers hilft natürlich auch nicht, eher unappetitliche Tiere.

1 Kommentar:

  1. Hallo,

    ich bin auch daran interessiert von Manaus aus einen Ausflug nach Novo Airao zu machen. Gibt es vor Ort Möglichkeiten ein Tages-Touren ins Anavilhanas Arquipélago zu unternehmen? Ist der Schiffsverkehr gen Manaus gut frequentiert oder ist Bus die sichere Variante? Vielen Dank für Ihre Informationen.

    Viele GRüße
    Martin Czikowski
    martin@moepschen.de

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