Mittwoch, 11. Mai 2011

Sao Luis, 4.Mai








Es regnet, als unser Flugzeug in Belem abhebt, immer wieder fliegen wir durch tief liegende Wolken, nur ausschnittsweise sehe ich auf das Delta des Amazonas. Südwärts ist der Wald bereits stark durchbrochen, etwa die Hälfte sind offene Flächen, nicht allzu gross parzelliert, ein paar Viehfarmen ebenfalls, der Waldanteil nimmt kontinuierlich ab. Vor Sao Louis dann wieder braune Flussarme, die sich in das hier ebenfalls ockerfarbene Meer ergiessen, all das Schwemmmaterial, wie konnte ich hier ein blaues Meer erwarten. Einige der Flussläufe sind fast ausgetrocknet, es ist offensichtlich Ebbe.

Sao Luis hat ein Zentrum aus der Kolonialzeit, ein paar Häuser sind hübsch zurecht gemacht, viele in einem Dornröschenschlaf kurz vor dem Zerfall, die Fenster zugemauert. Offensichtlich hat man noch gerade rechtzeitig Massnahmen ergriffen, um den alten Stadtkern zu erhalten. Erst wenige Bausünden, das Abreissen der historischen Bauten scheint jetzt verboten zu sein. Langsam wird renoviert. Die Häuser haben oft Fassaden mit bemalten Keramikplättli – ähnlich wie in Iquitos – da scheint sich die spanische und die portugiesische Baukultur wenig zu unterscheiden. Ein grosser Teil des kolonialen Quartiers besteht aus ein- bis zweistöckigen Häusern entlang von engen Strassen mit löchrigem Kopfsteinpflaster. Meist bunt bemalt, ein paar schöne Gebäude aus der Jugendstilzeit entdecke ich ebenfalls.

Sao Luis, die Leute sprechen das heute noch eher französisch aus, war ursprünglich eine französische Gründung. Die Franzosen wollten gerade noch ihren Fuss zwischen die sich schliessende Türe schieben, der ganze südamerikanische Kontinent war bereits zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt. Allerdings hat ihnen das nicht viel gebracht. Schon wenige Jahre nach der Gründung der Stadt mussten sie sich aus dem Gebiet zurück ziehen. - Merkwürdigerweise lockt diese historische Tatsache französische Einwanderer besonders stark an. Eine ganze Kolonie von Franzosen, mit Akzent meist aus dem Midi, wohnt hier. In einer Bäckerei esse ich perfekte Baguettes, der Bäcker ist ein Franzose. Das feuchte Klima macht dem sensiblen Gebäck zu schaffen, mit Plastikfolie werden die Brote oben abgedeckt, Luft zirkuliert durch das Korbgeflecht. Innert kürzester Zeit kann ein Baguette bei zu feuchter Luft seine Contenance verlieren. - Gestern habe ich die Gerantin eines Touristenrestaurants kennen gelernt. Seit drei Jahren wohnt sie mit ihrem Mann in Sao Luis. Wollten einmal etwas Neues anfangen, etwas Eigenes. Das hat dann allerdings nicht geklappt, 20'000 Euros habe man verloren. Jetzt arbeitet sie für einen französischen Besitzer im Zentrum, ihr Mann führt eine Bar am Strand, ebenfalls in französischem Besitz. Und Gerantin sei sie nicht wirklich, korrigiert sie mich, für diese 30 Reais, die ihr der Besitzer täglich bezahle, da wolle sie die Verantwortung des Betriebes nicht übernehmen.
Im gleichen Restaurant - Musik spielt auf dem Platz, eine Stimmung wie am Mittelmeer, viele Leute in den gepflasterten engen Gassen und baumbeschatteten Plätzen – treffe ich auch einen brasilianischen Richter. Er spricht viele Sprachen, mit mir recht perfekt Deutsch, und liebt es, jährlich nach Europa zu reisen. Er wird von der Bevölkerung mit Respekt behandelt, schliesslich sind wir hier auch in einem saumässig teuren Restaurant, in das sich sonst kaum Einheimische verirren. Nachdem er gegangen ist, erzählt mir die Schmuckverkäuferin, die mich an den Tisch gerufen hat, ihr Leben. In Brasilianisch natürlich. Erstaunlich, wie viel ich bereits verstehe. Zwei Kinder, beide bereits erwachsen, kein Mann, häufig Magenschmerzen, der Stress. Doch die Kirche, eine protestantische, nur noch „... del mundo“ habe ich im Kopf, Jesus und Gott hätten sie erhört, sie sei geheilt worden. Durch den Glauben. Der Priester hier habe eine unglaubliche Kraft. Schon viele Wunderheilungen habe es in der Gemeinde gegeben.

Zum Frühstück gibt es in meiner Pension, der Pousada Vitoria, Früchte, Kaffee, Brot, Käse und Schinken, süsses und salziges Gebäck und Fruchtsäfte. Acerola und Cupuaçu, beide ausnahmsweise ohne Zucker, der flüssige Süssstoff steht daneben, auch Açai-Saft hat mir ein freundlicher Kokosnussverkäufer bereits pur zu trinken gegeben. Ein Geschmack zwischen Henna und Heidelbeeren, sehr nahrhaft. All diese Beeren und Früchte des Tropenwaldes sollen äusserst gesund sein und sind begehrt. Ohne Zucker finde ich sie allerdings kaum geniessbar, keine exquisiten Geschmäcker, nicht nur die Süssigkeit fehlt, Cupuaçu schmeckt sogar etwas käsig. Mein liebster Fruchtsaft hier ist die Laranjada, Orangensaft mit Eiswürfeln vermischt, weniger sauer als bei uns und deshalb für meinen Magen verträglich, ich bin nicht mehr sehr experimentierfreudig.

Zwischen 7 und 8 Uhr abends ist immer eine Polizeipatrouille unterwegs in den tagsüber belebten oberen Gassen des historischen Zentrums. Zwischen 9 und 10 Uhr abends jedoch, wenn ich zurück zu meinem Hotel gehe, dann hat es keine Menschen mehr in den Gassen und auch die Polizei ist weg, etwas das mich beunruhigt. Die engen Gassen sind glücklicherweise gut beleuchtet, doch eben auch einsam, denn im oberen Teil der Altstadt hat es fast nur zerfallene Häuser, die Fenster zugemauert, niemand wohnt hier.
Um neun Uhr abends ist dafür noch eine Frau der städtischen Strassenreinigung unterwegs in der belebten unteren Altstadt. Sie bewegt ihren Besen und ihre Schaufel mit einer derartigen Eleganz, dass das wie eine Performance wirkt. Auf mich. Im übrigen scheinen die Leute eher damit beschäftigt zu sein, ihr Bier zu trinken, sie sehen diesen Spektakel leider nicht, und ein paar andere, häufig mit Dreadlocks und ziemlich ausgemergelt, laufen mit nervösem Blick hin und her und versuchen etwas zu verkaufen oder beteln. Crack, meint die Besitzerin der familiären Poussada Vitoria, in der ich wohne. Eine weit verbreitete Droge überall in Brasilien. Gegen Norden hinunter - das Hotel befindet sich zuoberst auf dem Hügel - da solle ich nicht hingehen, gefährlich, Drogen. So verpasse ich nun leider den Markt und den Fischerhafen. Die wären nämlich genau dort gewesen.
Dafür habe ich mich zur Genüge in der Einkaufsmeile der Stadt umgesehen, Laden an Laden reiht sich in einer Strasse mit einigen schönen Kolonialbauten. Ein Irrsinn, all diese Verkaufstempel und der Menschenstrom, der hindurch fliesst, so dass man kaum vorwärts kommt. Und weil alles im Überfluss vorhanden ist, muss alles lauthals angepriesen werden. Verkäufer mit Megaphonen stehen vor den Läden, laute Musik, manchmal Clowns und andere Gaukler, Frauen die vor dem Laden stehen und irgend eine Fahne schwingen oder halbnackt tanzen. Grotesk das ganze, dieser Konsumwahn, in solchen Situationen ist mir Brasilien echt unsympathisch. Absurd.

In Sao Luis hat es vermehrt schwarze Leute, im Amazonasgebiet waren sie seltener als in der Schweiz. Einmal von der Sklavenschaft befreit, sind alle an die Küste gezogen. Vielleicht wollten sie zurück nach Afrika, hofften auf ein Schiff, das sie mitnehmen würde.
Sao Luis wird die Metropole des Reggaes genannt. Davon merke ich wenig. Die Musik, die man überall hört, finde ich extrem fade. Ein einziges Konzert tönt spannend. Doch sind die Lautsprecher derartig laut aufgedreht, dass ich lieber von der Strasse aus zuhöre. Doch dort kann ich mich nicht lange aufhalten. - Überhaupt, ich muss es zugeben, ich fürchte mich, nach 10 Uhr nachts allein ins Hotel zu gehen.

Umgekehrt habe ich am Nachmittag in einer Schiffsstation, in der nur Penner herum sassen, zu zeichnen begonnen. Wartende Fahrgäste gab es nicht, kein Schiff fuhr weg, die Meeresbucht, an der Sao Luis liegt, war um diese Zeit ausgetrocknet, Ebbe. Das Zeichnen war zwar mühsam, weil der Verkehr auf der Uferstrasse mir immer wieder die Aussicht verdeckte. Auch weil die Penner häufig vor mich hin standen und ich so nichts mehr sah. Geschafft habe ich es schliesslich doch, und wurde nicht belästigt. Ein Mann sass neben mir und sah mir die ganze Zeit still zu. Erst am Schluss lobte er mich. Er wolle mir nun auch etwas zeigen. Und holte in einem Schopf eine ganze Sammlung von Schiffsmodellen hervor. Die habe er selber gemacht, meinte er stolz. Und bedankte sich für meine Aufmerksamkeit.

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