Montag, 23. Mai 2011

Jericoacoara, 11.Mai







Warum ich denn aus dem Paradies weggehen wolle? fragt der Italiener, der seit 4 Jahren in Jericoacoara wohnt, als ich mich verabschiede. Ich habe ihm gesagt, dass all die Tiere, Katzen, ein Hund, ein Pferd, ein Esel, die auf seinem oasenartigen Grundstück leben, hier ein Paradies gefunden hätten. Kokospalmen, ein Bach, ein paar Häuser, die Tiere dürfen sich alle frei bewegen. Ja, warum verlasse ich das Paradies eigentlich immer?

Und warum hänge ich auch alle Traveller, die ein Stück des Weges mit mir gehen, ziemlich rasch wieder ab? Ich fühle mich danach doch auch wieder etwas einsam, wenn ich am Abend plötzlich niemanden mehr zum Sprechen habe. - Trotzdem, mir behagt es nicht, länger mit Leuten zusammen zu reisen. Alles wird viel komplizierter, muss abgesprochen werden. Bis dann endlich die Entscheide fallen! Spontan bleibt da nicht mehr viel.

Im vierradbetriebenen Lastwagen von Barreirinhos nach Paulino Neves lerne ich einen Portugiesen kennen. Mit Cowboyhut und Zahnspange. Mit seinen rund vierzig Jahren etwas verspätet, finde ich, das gibt ihm etwas merkwürdig Jugendliches. Ein Neurotiker, aber eigentlich ganz nett, lacht plötzlich hell heraus und kann sich nicht mehr erholen. Er lache halt gerne. Nichts dagegen. Und erzählt immer wieder von seinen spirituellen Erlebnissen. Er sei bei einem Wunderheiler in Brasilia gewesen. Nein, nicht er habe sich behandeln lassen, man könne auch nur zuschauen. Und filmen. Er zeigt mir eine kurze Filmsequenz. Der Heiler zieht aus der Nase seiner Patienten - Opfer scheint mir da der bessere Ausdruck - ziemlich brutal mit einem Werkzeug Geschwüre heraus, er hält dabei den Leuten mit der Hand die Augen zu. Sie scheinen sich danach besser zu fühlen. Von körperlichen und seelischen Leiden befreit. - Und kein Alkohol, keine Zigaretten, nichts Scharfes essen dürfe man in diesem Zentrum. Kein Sex vermutlich, werfe ich ein. Aber nein, lacht der Portugiese laut heraus. Der Heiler sei sehr reich. Habe immer eine Schar schöner junger Frauen um sich. Mit seinen 67 Jahren. Der habe ein wahnsinniges Charisma. Was Frederic, so heisst der Mann aus Lisabon, dort gesucht hat, ist mir nicht ganz klar. Schon 5 Mal sei er in Brasilien gewesen. Sonst immer an den Stränden, ein Flug nach Fortaleza. Zwischendurch ist er auch merkwürdig nervös, abwesend und als wir in Parnaiba zusammen Nachtessen gehen, da ist ihm alles zu teuer. Doch ich weigere mich, in dieser grösseren Stadt, deren Zentrum wie ein Dorf wirkt - die Avenida Presidente Vargas ist eine schmale löcherige Strasse, wir kommen in der Nacht an, alles verlassen, ich bin froh, dass die „Presidental Poussada“, die in meinem Führer empfohlen wird, einigermassen okay und günstig ist - noch lange herum zu suchen. Auch hier hat uns im Bus eine Frau geraten, ein Taxi zum Hotel zu nehmen, zu gefährlich zu Fuss mit dem Gepäck. Ich habe nun nicht gross Lust, in dem verschlafenen Kaff um 9 Uhr abends noch lange nach einem billigeren Restaurant zu suchen. - Ob er für 10 Reais nicht einfach eine kleinere Portion der Speisen kriegen könne? Die Kellnerin meint empört, das sei die Speisekarte, er solle sich halt etwas Billiges auswählen. Mir ist die Szene peinlich und so lade ich den Portugiesen zu einem Caipirinha und Frites und Oliven mit Käse ein. Das kostet erstaunlich wenig, gegenüber den Meerfrüchte- und Krabbengerichten. Recht beschwipst kehren wir dann zum Hotel zurück und ich kann ihn gerade noch davon überzeugen, sein Geld doch besser erst morgen früh beim Bancomaten abzuheben, nicht jetzt mitten in der Nacht.
Im Bus treffen wir am nächsten Morgen auf einen jungen Holländer mit Surfbrett, der will auch nach Jeriocaocara, das ist mir rasch klar, wir reisen zu dritt weiter, noch ein Bus, dann wieder ein offener Geländewagen. Am Nachmittag erreichen wir den Ort, der Holländer war bereits einmal hier, er steigt in dem Youth Hostal ab, das er bereits kennt. Ich schaue mir die Zimmer an und sage nein. Nicht für diesen Preis. Und suche mir etwas anderes. Den Portugiesen, dem es dort auch nicht passt, den hänge ich einfach ab und verschwinde. Und habe nun etwas ein schlechtes Gewissen, denn getroffen habe ich ihn nicht mehr, der Ort ist doch grösser, als ich mir das gedacht habe.

Die Reise von Parnaiba nach Jericoacoara, hier zärtlich Jeri, ausgesprochen wie „chéri“, genannt,
führt wiederum durch dichtes Buschland. Einmal tauchen grosse gerundete Felsplatten zwischen dem Gebüsch auf, eine ganz merkwürdige Landschaft rings um die Gegend von Chaval. Ich finde diesen Ort sehr hübsch, die Felsen, eine Lagune, ein kleines Städtchen. Doch steige ich nicht aus, Chaval kommt in keinem Reiseführer vor. Auf der Karte sehe ich später, dass es vor dem wenig entfernten Strand ein Korallenriff haben muss. Doch auch im Internet sind die Informationen über Chaval dürftig, einzig das Satellitenbild mit den Felsen ist interessant.

Der Italiener aus der Oase, bietet mir an, mit seinem Pferd auszureiten. Er selber habe nie reiten gelernt, das Pferd sei aber eher faul, davon galoppieren werde mir das nicht. Sein drittes Pferd ist es bereits, zwei sind gestorben, mysteriöse Geschichten. Eine Pousada hat er auch einmal für 10 Monate gehabt, eine Katastrophe sei das gewesen, viel Geld verloren dabei, bereits vorher, zweimal verheiratet, unglückliche Trennungen. Die Schuhfabrik, die sein Grossvater aufgebaut habe und er vom Vater übernommen, die habe er verkaufen müssen, zu viel Geld für die Scheidungen. Überhaupt. Nach der zweiten Scheidung ein Herzinfarkt und Arbeit habe er ja auch keine mehr gehabt, da sei er hierher gekommen. Erst mit seinem halbwüchsigen Sohn in die Ferien. Dann zurückgekehrt ins Paradies.
Paradies geblieben ist es zwar offensichtlich nicht, obwohl er betont, er lebe gerne alleine hier draussen, weg von der Ortschaft. Doch das Geld beginnt zu mangeln, 1000 Reals für die drei Häuser zwischen den Palmen, abgelegen, Strom gibt es keinen, der Plan vom Weitervermieten, der habe nicht geklappt, die Miete sei ihm nun zu hoch, er wisse nicht, wie lange das weiter gehen könne. Doch aufgeben wolle er die Gebäude, die er selber habe renovieren lassen, seines habe sogar Solarstrom, eben auch nicht. Zuviel Geld investiert. Und der Besitzer, eigentlich nur Verwalter, der zahle ihm nichts für die Investitionen.
Nur Verwalter, weil der Besitzer des ganzen Anwesens - es gehören noch andere im Palmenhain verstreute Gebäude dazu – vor 25 Jahren überstürzt nach Spanien abgereist sei. Ein sehr reicher und angesehener Mann, der in der Gegend viel investiert habe. Dies hier, das sei ein Kinderheim gewesen für obdachlose Waisen. Nur habe man eben irgendeinmal gemerkt, dass der reiche Spanier auch ein Pädophiler war. Doch nichts dagegen unternehmen wollen, zu wichtig sei der Mann für die Gegend gewesen, ein guter Arbeitgeber. Doch die Polizei habe ihn beobachtet. Und als man festegestellt habe, dass der Mann in Fortaleza ein Filmstudio besessen habe, in dem er Pornofilme gedreht habe, da habe man eingreifen müssen. Der Spanier sei überstürzt abgereist und habe dieses Anwesen dem damaligen Verwalter anvertraut. Die übrigen Liegenschaften in der Gegend, die würden jetzt alle zerfallen. Aussehen wie diese hier ebenfalls, bevor er sie renoviert habe.

Am Abend wandere ich gegen Osten den grasbewachsenen Hügel hinauf, eine Düne sicherlich ursprünglich, jetzt weiden die Tiere darauf, darunter eine felsige Küste, schroffe karstartige Felsflächen liegen jetzt bei Ebbe frei.

Ich bin nicht sicher, ob mir die Küste von Jericoacoara gefällt. Aber ganz aussergewöhnlich ist sie bestimmt. Überhaupt nicht so, wie ich mir eine tropischen Küste vorstelle. Nordöstlich, wie im Lençois Maranhense Sanddünen, Lagunen, Oasen, landeinwärts Weideland, dazwischen eingestreut Oasen mit Kokospalmen. An Nordafrika erinnert das, keine üppige Tropenvegetation, die Schatten spenden würde. Südostwärts hingegen schroffe, nicht allzu hohe Felsklippen, die ins Meer auslaufen, Weideland auch hier, keine Wälder, nicht einmal Buschland wie im Landesinneren, das wiederum erinnert mich an die Bretagne oder die Normandie.

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