Freitag, 27. Mai 2011

Jericoacoara, 14.Mai










Der Mann, vielleicht der Gärtner, hier macht jeder alles, selten ausgebildete Leute, schneidet die Dornspitzen der Agavenblätter ab. Das mache ich zwar ebenfalls, immer die Angst, die könnten jemandem bei Unachtsamkeit ein Auge ausstechen, doch diese hier – vielleicht sind es gar nicht Agaven – haben Duzende von Blättern, die Arbeit ist unendlich und im Rasen stehen ebenfalls ein paar äusserst stachelige riesige Säulenkakteen. Wie er denen zu Leibe rücken will ist mir schleierhaft.

Das Frühstück wird diesmal auf der anderen Strassenseite serviert, nicht im italienischen Restaurant wie gestern, dem Besitzer scheint hier die halbe Strasse zu gehören. Ich habe ihn einmal am Abend getroffen. Er erinnert mich an Depardieu. Nicht ganz dieselbe Leibesfülle, doch beeindruckend, derselbe Haarschnitt, die Farbe allerdings grausträhnig, die Augen sind dunkel, ein Italiener eben. Ich traue ihm nicht zu, dass er die äusserst geschmackvolle Einrichtung meiner Pousada, der Pousada Aqua, selber kreiert hat. Die sieht so aus, wie wenn jemand jedes Zimmer einzeln mit viel Liebe gestaltet hätte. Auch so ein Träumer, der hier sein Paradies gefunden zu haben glaubte, und schliesslich nicht zu geschäften wusste?

Von meinem Frühstückstisch aus kann ich über die mit Sukkulenten bewachsene Böschung hinweg wunderbar die Strasse überblicken. Samstag morgen, die Wochenendtouristen rücken an. Der offene Geländewagenbus ist heute vollbesetzt, auch Privatwagen haben es durch den Sand bis hier an den Strand geschafft. Fortaleza ist 6 Busstunden entfernt, etwas viel für ein Wochenende finde ich, doch hier scheint man sich das gewohnt zu sein.

Vor 10 Jahren sei Jericoacoara noch ein Fischerdorf gewesen. Heute leben gerade einmal 4 Familien vom Fischfang. Die übrigen machen nicht mehr viel, haben wahrscheinlich ihre Grundstücke oder Häuser zu guten Preisen verkaufen können. Der Fotograf, der in seinem eigenen kleinen Laden schöne Postkarten und Fotografien verkauft - er kommt aus Belem - klagt darüber, dass die Mietzinse hier unerhört hoch seien. Und statt Pferde haben die Einheimischen nun eben Strandbouggys, mit denen sie mit Touristen durch die Gegend rasen. Gerne lassen sie die Motoren aufheulen, die Gefährte scheinen alle kaputte Auspuffe zu haben. Oder hängen auch nur in den Strassen herum und drängen den Touristen Exkursionen oder Pousadas auf. Weil sie damit jedes Mal ihre Prozente abkriegen. Die der Kunde zusätzlich bezahlt, wie mich der holländische Besitzer eines Reisebüros, das Flug- und Bustickets verkauft, belehrt. Die grösseren Pousadas und Restaurants hingegen sind zumeist in den Händen von Ausländern.
Das soziale Gefüge im Dorf ist durcheinander geraten, Drogen nun auch, Crack für die Armen, Kokain vor allem für Auswärtige, der Segen des Tourismus. – Trotzdem muss ich zugeben, dass ich mich inzwischen in Jeri äusserst wohl fühle. Nicht zuletzt, weil ich hier einen angenehmen Wohnort gefunden habe und – eine Premiere – nun selbst aus er Hängematte heraus schreibe, die in einem schattigen, von Pflanzen überwucherten schmalen Innenhof hängt. Das Hotel ist für brasilianische Verhältnisse äusserst günstig, etwa 35 Franken kostet mich der Raum, die Konkurrenz ist hier riesig, über 100 Pousadas soll es geben und ebenso viele Bars und Restaurants und Läden, auf eine Einwohnerzahl von 3000. Und überall wird um- und neu und weiter gebaut.

Der Oskar, das sei ein cooler Typ, meint der Mann, der Pferde vermietet. Ich will morgen wieder einmal ausreiten gehen. Und führt mich gleich zum Bündner, der ganz in der Nähe der Pferdevermietungsstelle, auf der anderen Seite des Dorfes wohnt. Der Oskar ist einer der Pioniere hier in Jeri. Eigentlich habe er bereits als Jugendlicher nach Argentinien auswandern wollen. Dann dort der Putsch, sein Traum verflogen, aber mit 40ig, da habe er es nochmals versucht. Damals hätten in Jericoacoara alle Bewohner noch gefischt, keinen Strom habe es im Ort gegeben. Inzwischen ist er Besitzer einer Pousada, erfolgreich, doch will er sich jetzt zur Ruhe setzen und hat sich ein Gründstück landeinwärts gekauft. Dort etwas Landwirtschaft, zusammen mit der AHV von 2500 Reais reiche das längstens. Ja natürlich, es habe sich stark verändert. Werde auch immer exklusiver, er müsste jetzt in seine Poussada wieder viel Geld investieren. Was jetzt gebaut werde, das seien Luxushotels. Die Landpreise seien hier unerschwinglich geworden, die Bauhöhe beschränkt, auch gäbe es gar nicht mehr viel Bauland neben dem Nationalpark, viel könne sich der Ort nicht mehr ausdehnen. Nobler werde es werden, ganz klar. Im Moment aber das Angebot noch zu hoch und das Überleben nicht einfach.
Die ehemaligen Fischer, die hätten eben alle verdient beim Verkauf ihrer Liegenschaften und Grundstücke. Nur manchen sei das Geld nicht lange geblieben. Keine Erfahrung, die seien bereits wieder arm. Aber andere, die hätten es geschafft. Zum Beispiel der Mann, der jetzt einen kleinen Supermarkt in der Hauptstrasse habe. Früher sei der noch mit dem Esel mit den Waren vorbei gekommen. Jetzt sei er Millionär. - Oskar spricht ohne Verbitterung oder Sentimentalität von den Veränderungen. Es habe ja auch Gutes. Den Leuten gehe es besser, auch Arbeit für die Bewohner aus den umliegenden Dörfern. Die Fischer dort haben in Jericoacoara einen sicheren Absatzmarkt und viele Leute pendeln ins Dorf um hier zu arbeiten. Das ganze Gebiet profitiere davon.

Am Abend bestelle ich Cevice, mein heiss geliebtes und innig vermisstes peruanisches Fischgericht. Der Koch, er spricht französisch, erklärt mir, dass er das à la Chilena mache, ohne gekochte Süsskartoffeln und Maiskörner, mit Crackern serviert. Der rohe Fisch ist zwar scharf, wenigstens das, doch lange nicht so raffiniert gewürzt, wie ich mir das von Peru her gewohnt bin. Die peruanische Küche gewinnt ganz eindeutig die Goldmedaille bei mir, ich vermisse sie heiss in Brasilien. Bereits der Pisco, das peruanische Nationalgetränk. Wie viel besser ist der doch gegenüber dem Caipirinha. Obwohl merkwürdigerweise praktisch dieselben Zutaten hinein kommen.

Manche Gewohnheiten der Brasilianer unterscheiden sich kaum von denjenigen der Chinesen. Auch die Brasilianer spuken dauernd im Zeug herum. Widerlich. Allerdings hier nur die Männer, die Frauen höchstens heimlich. Und Feuerwerke mögen sie ebenfalls. Wie in China rattert fast täglich irgend etwas los. Häufig tagsüber und so verrät einzig die Rauchwolke, die vom Wind davon getragen wird, den Ort des Geschehens. – In China gab es auch täglich ein Geknatter. Dort hingegen, weil man damit die bösen Geister vertreiben will. Die hiesige Ursache, die kenne ich nicht.

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