Donnerstag, 5. Mai 2011

Santarem, den 28.April








In der Abenddämmerung spaziere ich der Uferpromenade, dem rund 1km langen verbauten Ufer entlang, ca. 10m breit, etwas über das Festland erhoben, heute nach den starken Regenfällen des Vortages sieht man das sehr gut, ausgedehnte Wasserlachen liegen dahinter. Immer mit Geländer, selten mit Schatten spendenden Bäumen, zwischendurch mit kleinen Häuschen, in denen man sitzen kann, oder in denen etwas verkauft wird, kitschiges oder einbetoniertes Kinderspielzeug, wenig genutzt, wurde auch eingepflanzt, Schatten und Grün hingegen fehlen. In der Abenddämmerung trotzdem ein beliebter und belebter Ort, Männer, die fischen und Frauen in Jogginganzügen. Merkwürdigerweise treffe ich die jedoch weder beim Rennen, noch in verschwitzten Zustand an, ich bin nun nicht ganz sicher, ob dies der körperlichen Ertüchtigung dient.
Und stelle mir vor, wie die Uferpromenade aussieht in der trockenen Jahreszeit. Ungefähr 15m tiefer ist dann der Wasserspiegel, der Höchststand ist bald erreicht, viel mehr geht nicht mehr, sonst würden die Farmhäuser an den Ufern, die jetzt nur noch gut einen Meter über der Wasserline stehen, überschwemmt. Das müssen ja enorm hohe Betonwände sein, die sich im Sommer aus dem Wasser erheben.
Dem Sonnenuntergang entgegen spaziere ich, westwärts, dramatisch rot der Himmel, wie immer über dem Wasser, eindrücklich, fast kitschig, trotz der Türme und Förderbänder am anderen Ende der Bucht. In Santarem wird Soja verladen. In grosse Tanker eingeblasen wie Pellets, keine Containerschiffe, hat mir der Peter aus der Schweiz erklärt. Und ja, Banditen, die Leute aus Para, selbst die Regierung. Da könne man nichts machen. Brasilien sei riesig und habe andere Probleme, doch bekannt sei das. Ich lese in meinem Reiseführer, dass vor 5 Jahren eine Nonne, die sich gegen die unrechtmässige Abholzung des Waldes für den Sojaanbau und die Viehwirtschaft zur Wehr gesetzt habe, durch einen Grossgrundbesitzer niedergeschossen worden sei.

Banditen in der Regierung habe es im Staate Para, sage ich heute Morgen der netten älteren Frau, die mich auf Portugiesisch durch das kleine lokale Museum führt, als wir im Saal mit den Portraits der ehemaligen Gouverneure sind. Sie meint lachend ja, immer noch. Die Frau da, das sei die momentane Regentin des Teilstaats Para, ein Jammer. Man hoffe, sie werde in zwei Jahren abgewählt. Und dem älteren Herrn am Eingang, der mir gesagt habe, er sei der Besitzer des Ortes, dem solle ich nichts geben, wenn er mich um Geld bitte. Das Museum sei gratis und der dort stecke sowieso bereits drei Staatsgehälter ein.

Santarem finde ich trotz Uferpromenade und Fussgängerzone keine schöne Stadt. Es gibt zwar Ecken mit riesigen alten Mangobäumen und Palmen, doch sind sie rar, die koloniale Vergangenheit der Stadt fast gänzlich ausradiert und durch hässliche, bereits heruntergekommene neue Gebäude ersetzt. – Trotzdem erinnert mich das Flussufer am Mittag etwas an das Mittelmeer - so breit ist hier der Fluss – auch das helle Licht, die Spiegelungen, wie Fata Morganas schweben die weit entfernten Flussinseln über dem Wasser, Himmel und Wasser vermischen sich an manchen Stellen, heute ist bereits wieder ein strahlender und extrem heisser Tag. Zum Glück weht vom Fluss her, einer fast endlosen Wasserfläche, ein angenehmer Wind.
Was ihn denn hierher verschlagen habe, frage ich einen Deutschen, der im Internet arbeitet. Vielleicht das Wasser, meint er, gestrandet sei er.

Ich genehmige mir einen Kokosnusssaft, „Coco helado“ genannt hier, denn die Nüsse werden in Kühlboxen gelagert, mein Lieblingstropendrink, und staune darüber, wie vielfältig in Brasilien die Öffnungstechniken sind. Manchmal, doch selten, wird mit einem grossen Messer die Spitze mit mehreren Hieben abgehackt. Häufig jedoch, werden verschiedene Stech- und Bohrwerkzeuge eingesetzt. Mit unterschiedlichem Erfolg, manchmal sind die Löcher so eng, dass keine Luft eindringen kann und der Saft deshalb nicht hinaus, ein zweites Loch muss gebohrt werden - oder feine Späne der Schale dringen in den Saft und verunreinigen ihn. Die perfekte Methode scheint noch nicht gefunden worden zu sein. - Bier wiederum wird hier in Kühlboxen serviert, so wie wir sie für Weisswein verwenden und Autoradios fungieren als Ersatzdiscos, überall entlang der Uferpromenade werden Wagen abgestellt, die Türen offen gelassen und das Radio auf volle Lautstärke gestellt. Auch Mücken hat es in Santarem, Dengue soll es hier keine geben.
Auf der Uferpromenade von Manaus wird nicht nur gefischt und spaziert und gegessen und getrunken, auch Freaks mit Dreadlocks bieten hier ihren Schmuck an. So wie ich dies bisher überall auf meiner Reise, wo flaniert wird, gesehen habe.

Brasilien ist bereits sehr westlich für meinen Geschmack, das amerikanisierte Essen habe ich schon mehrmals erwähnt. Noch viel unangenehmer finde ich, dass es kaum Hotelzimmer mit Ventilatoren und Fenstern mit Moskitogittern gibt. Brasilianer wünschen offensichtlich Klimaanlagen. Häufig haben die Zimmer nicht einmal ein Fenster, das scheint nicht zu stören - in einen Fernseher kann man ja auch starren - doch dafür eine Klimaanlage. Hat es einmal Fenster, so kann man die nachts trotzdem nicht öffnen wegen der Mücken. In feuchtheissem Klima jedoch, ist es unmöglich, mit geschlossenem Fenster ohne Ventilator oder Klimaanlage zu schlafen, innert kürzester Zeit wird es derartig stickig, dass man durchgeschwitzt erwacht.

Halb elf Uhr abends, immer noch Stimmen und reger Verkehr vor meinem Fenster, das direkt auf die Uferpromenade an ihrem östlichen und damit schönsten Teil hinaus geht. Es war riskant, dieses Zimmer zu nehmen, ich konnte der schönen Aussicht nicht widerstehen. - Darin war China im allgemeinen wirklich besser: Die Leute gehen früh zu Bett. So konnte man selbst in nicht allzu günstig gelegenen Hotelzimmern lange genug schlafen. In Brasilien ist das immer ein Riesenproblem. - Wenigstens scheint hier der Morgenlärm etwas später zu beginnen, erst gegen 7 Uhr kommt das Tageslicht. Zwischen Manaus und Santarem sind wir klammheimlich durch eine Zeitzone gefahren und Europa damit eine Stunde näher gerückt.

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