Montag, 30. Mai 2011

Fernando de Noronha, 23.Mai











Halb elf Uhr nachts. Nachdem zwei Motorräder der Polizei Richtung Praia do Cachorro, der nächsten Bucht, gestartet sind, fährt nun auch noch ein Polizeiauto mit Blaulicht, bzw. Rotlicht los. Obwohl hier keine Kriminalität bekannt ist. Der Polizeiposten von Fernando de Noronha besitzt eben zwei Einsatzwagen und ein paar Motorräder und x Männer im Einsatz. Und genügend Geld für ein gratis Internet (auch wenn das nicht so ganz überall zufrieden stellend funktioniert) und einen gepflästerten Fussweg, der mehr oder weniger der Strasse folgt, hat man auch. - Hat es wohl eine Bedeutung, dass die Polizei in Brasilien nicht mit Blaulicht, sondern mit Rotlicht fährt?

Meine Nachbarn stellen als erstes, wenn sie erwachen ihren Fernseher ein. Brasilianer haben ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Fernseher. - Ob sie denn das Schiffswrack gesehen habe? fragt mein Zimmernachbar beim Frühstück seine Partnerin. Er habe nur Steine gesehen. Doch, da sei etwas gewesen, meint sie. Die beiden haben sich gestern von einem Motorboot an einem Seil durch den Hafen ziehen lassen, eine beliebte Touristenattraktion. Ich habe dem Treiben aus der Höhe, von meinem Aquarellierplatz aus zugesehen (es gab ein wütendes Bild, düstere Wolken, kräftiges Grün, harte Kontraste). Es erstaunt mich nicht wirklich, dass die Leute, die in einem unheimlichen Tempo durch den Hafens gezogen werden, wenig sehen. Mit dem starken Wellengang und den Regenfällen ist das Meer sowieso getrübt, viele Schwebestoffe. Gestern bin ich mit einer Gruppe über die - heisst es - zwei schönsten Buchten Brasiliens geschnorchelt. Allerdings waren wir immer soweit vom Boden entfernt, dass man die Sachen am Grund nur noch schemenhaft wahrnehmen konnte. Meistens war es sowieso Sand, und somit uninteressant. Ausser der Farbe des Wassers. Die ist dunkeltürkisintensifblau leuchtend.

Heute leiste ich mir zum Abschluss noch eine auf dem Feuer gebratene Fischscheibe am Strand. Am Morgen bin ich auf den Rat des Beizers hin um zehn Uhr dort schnorcheln gegangen. Flut, die schwarzen Felsen waren um diese Zeit vom Wasser bedeckt. Nur ein einzelner Mann mit Schnorchelbrille und Fischernetz ist auch in der Bucht. Er arbeitet mit dem etwas weiter aussen liegenden Fischerboot zusammen. Erst als sie gegangen sind, tauchen plötzlich ganze Schwärme von Fischen auf. Vor allem Blaue und Zebragestreifte. Auch ein paar unauffällige grössere Dinger, die wären den Fischern sicherlich willkommen gewesen. Über dem Sand gleich am Strand riesige Schwärme von sandfarbenen kleinen Fischen, die man erst kaum sieht. Doch das Glitzern und die Schatten, wenn sie sich bewegen! Auch ganze rötliche Wolken von winzigen Fischlarven hat es im Wasser. Viele von ihnen werden von der Brandung in den Sand gedrückt und sterben dort. Was für eine Verschwendung die Natur doch immer wieder macht!
Die Fischscheibe ist sehr gut, etwas versalzen, dafür aber der Reis völlig geschmacklos. Einige Körner fallen mir zu Boden. Sofort blitzen schillernde Eidechsen mit grossen, etwas hervorstehenden Augen um meine Füsse herum und fressen die Reiskörner. Immer mehr rücken heran - doch nicht alle mögen den Reis.

Gestern Abend spricht mich ein sturzbesoffener Mann auf der Strasse an. Ob ich auch Forrò tanzen komme fragt er. Er sei ein echter Einheimischer meint er, offensichtlich stolz darauf, etwas Besonderes zu sein. - Von den 3500 Einwohnern von Fernando de Noronha, seien gerade einmal 20% ursprüngliche Bewohner der Insel, erklärt mir der Kunstmaler in dem kleinen Atelier, das der Künstlervereinigung der Insel zur Verfügung gestellt wird. 30 Künstler gäbe es hier, die eingeschrieben seien, doch habe es auch noch andere. Er selber komme aus Recife, andere aus Natal. Bereits bei den Kellnern und den Angestellten auf dem Flughafen ist mir das aufgefallen. Die meisten Leute, die hier arbeiten, kommen aus einer dieser Städte.
Ich sei eben zur falschen Zeit gekommen, meint der Kunstmaler weiter. Jetzt sei das Wasser aufgewühlt und heftig. Eine Wechselzeit eben. Normalerweise sei entweder die dem Festland abgewandte oder die dem Festland zugewandte Seite der Insel ruhig. Das mag stimmen. Doch stelle ich nun auch noch auf meiner Brasilienkarte fest, dass um Noronha herum gar keine Korallenbänke eingezeichnet sind. Die Insel besteht aus schroffe Felsbrocken vulkanischen Ursprungs, die steil in den Ozean abfallen. Einige unspektakuläre, manchmal gelbe, krustenartigen Korallen kleben darauf. Auch eine kleine weisse Hirnkoralle sehe ich, das ist bereits das Spektakulärste. Den Tauchern werden vor allem vier Sorten Haifische angepriesen, alles ungefährliche. Doch trotzdem, der Nervenkitzel - auch beim gesunkenen Wrack. Die Gäste im Gästebuch meiner Senhora mindestens scheinen alle begeistert gewesen zu sein, wenn ich die Einträge lese. Ich schreibe auch einen. In Deutsch. Und schreibe nicht, dass ich von der Unterwasserwelt enttäuscht bin, dass mich einzig die Landschaft fasziniert. Und dass das, was mit der Tourismuswerbung transportiert wird, mir ein falsches Bild gab.

Im Flughafen von Fernando de Noronha läuft ein Video über die Insel - 25 Reais kostet der Kauf wird immer wieder eingeblendet – ich verfolge aufmerksam die Unterwasserszenen, die von Tauchern gemacht wurden. Schöne Fotos von Haien und Tintenfischen, doch auch hier am Boden Stein, Sand oder Algenbewuchs. Es gibt also definitiv kein Korallenriff.

Ich bin einen Tag früher abgereist als geplant. Nicht, dass mir die Insel nicht gefallen hätte. Eigentlich ist der Mix der Gäste ganz angenehm. Keine Snobs, denn Luxushotels gibt es hier nicht. Nur Pousadas, Pensionen. Häufig im Besitz von Einheimischen und das ist ja ebenfalls schön. Die Hotelzimmer kosten zwar hier ungefähr gleich viel wie an anderen Ortes Luxuriöseres, doch locken sie natürlich nicht dieselben Gäste an. Normale Brasilianer sind im Moment hier - zeitweilig auch Europäer und Amerikaner erzählt man mir, das komme auf die Saison an. Der einzige Unterschied zu anderen Stränden ist vielleicht, dass die Leute sich dezenter und bekleideter zeigen. Keine Bikinigäste ausserhalb der Strände, da ist man schon fast auffällig prüde für Brasilien, auch kaum Tangas, „fio dental“ genannt, übersetzt Zahnseide, wie dieses Kleidungsstück hier sprechenderweise genannt wird. Vielleicht ist ja bereits dies ein Indiz für die Gesellschaftsklasse. Die Besucher kommen hauptsächlich aus Sao Paulo oder Rio oder anderen südlichen Städten. Wo die Leute allgemein wohlhabender sind. Viele Honeymooner habe ich das Gefühl. Und die haben sowieso die Tendenz, alles toll zu finden. Auch einzelne ältere Gäste, welche die Insel wie ich zu Fuss erkunden. Fernando de Noronha hat landschaftlich einiges zu bieten mit dem charakteristischen penisförmigen Felsstock in der Mitte und den zwei nebeneinander liegenden gerundeten Inselchen mit Brustwarzen, die diskreterweise, aber unlogisch „dois irmaes“, also Schwestern heissen.
Ich könnte also nicht sagen, dass irgend etwas falsch sei an dem Ort. Er ist einfach die übertriebenen Preise nicht wirklich wert.

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