Montag, 25. April 2011

Manaus, 19.April



In einer Hängematte liegen und etwas schaukeln ist wie im Meer auf dem Rücken zu liegen und seinen Körper den Wellen zu überlassen. Unheimlich wohltuend, einfach loslassen, man bewegt sich von selbst, nichts wollen, nichts planen, das beruhigt. Eine gute Idee, heute doch noch meine Hängematte auf der Dachterrasse aufzuhängen, ein angenehmer Wind kühlt, es ist wieder einmal sonnig und furchtbar heiss, die Stadtlandschaft von Manaus vor den Augen. Irgendwo gegen den Horizont eine Gruppe schwarzer Geier, was hat sie wohl dorthin gelockt, sie nehmen im Amazonasgebiet den Platz unserer Krähen ein, sind jedoch ungefähr so gross wie ein Huhn und sollen furchtbar stinken. Ich bin noch nie einem nahe genug gekommen um das bestätigen zu können.

Oder fühle ich mich plötzlich wieder gut, weil ich heute Morgen endlich entschieden habe, abzureisen? Seit einer Woche bin ich nun in Manaus, Kontakte mit Leuten des Forschungsinstitutes INPA, am Sonntag konnte ich mit einem Ornithologen auf einen 40m hohen Beobachtungsturm im Urwald. Früh aufstehen natürlich, die Dämmerung auf der Fahrt, der Tagesanbruch auf dem Turm, Nebelschwaden zuerst, die sich langsam legen. Wir sehen 5 verschiede Papageienarten, immer paarweise, diese Vögel scheinen ein äusserst monogames Leben zu führen und ein paar Greifvögel, die immer einzeln, und auch noch einen winzigen Vogel, der kein Kolibri ist. Er sieht nicht speziell aus. Doch wie bei den Botanikern - bei allen Sammlern - bereitet natürlich eine seltene Art, rein wegen der Tatsache, dass sie selten ist, viel Freude. Lotte, die junge holländische Biologin, die ebenfalls mitkommt, macht eifrig Notizen. Mir gelingt es nicht mehr, solchen Enthusiasmus aufzubringen. Als junge Studentin habe ich doch auch alles begeistert aufgesogen. Jetzt macht das für mich keinen Sinn mehr. Diese Tatsache wiederum, macht mich etwas traurig. Obwohl: Eigentlich war ich nie eine ernsthafte Sammlerin. Wissen macht für mich Sinn, wenn ich es benötige. Und anwenden kann ich momentan mein Portugiesisch, also ist es wichtiger, hier Energie zu investieren. - Trotzdem, irgendwie macht es traurig festzustellen, dass mich vieles nicht mehr interessiert, was mir früher wichtig war.
Auch bei den wissenschaftlichen Illustrationen. Der amerikanische Ornithologe möchte, dass ich ein Baumpanorama von der Rundsicht des Turmes zeichne. Wissenschaftlich erforscht sei das ganze, die Baumarten bekannt. Unentgeltlich natürlich, Freiwilligenarbeit, das ist man sich ja derartig gewohnt. Ich mache Fotos, bereits das scheint mir schwierig - doch habe ich mich bisher nicht dazu aufraffen können, daran zu arbeiten. Und bin auch nicht mehr sicher, dass ich das will. Eigentlich habe ich bisher nicht besonders gute Erfahrungen gemacht mit Freiwilligenarbeit. Häufig wird viel weniger geschätzt, was nichts kostet, das habe ich in Sansibar gemerkt.

Überhaupt erlebe ich etwas einen Einbruch der Energien. Ich muss warten, dummerweise ist ja diese Woche Ostern, daran habe ich gar nicht gedacht, vier Tage frei, die Stadt wird gänzlich ausgestorben sein. Wo bereits ein normales Wochenende dazu führt, dass das Zentrum so verlassen wirkt wie Bern am Sonntag. Geöffnete Restaurants findet man kaum und die Museen sind auch geschlossen. Damit wird es im Zentrum dann auch gefährlich, kaum Leute.

Vielleicht war es ja auch das Erlebnis letzten Freitag in der Jugendherberge, in der ich wohne. Zum ersten Mal auf dieser Reise wähle ich eine solche Unterkunft. Ich habe Jugis in China schätzen gelernt. Zwischendurch. Denn hier kann man sich mit anderen Backpackern austauschen, wohin, woher, kriegt Informationen und bald schon fast mehr Kontakte als ich mir wünsche. Das entführt mich aus meinem Film, die Spule reisst, was mich durcheinander bringt. Ich habe diese Woche kaum mehr geschrieben, man spricht so viel, das Bedürfnis ist kleiner. Auch wenig gezeichnet. Und bin dann unzufrieden mit mir. Manchmal frage ich mich ja schon, ob ich eine derartig seltsame Person sei, wenn ich so schaue, wie die übrigen reisen. Die nehmen das wirklich easy. Viele sehe ich tagelang herumhängen. Dieses Hospedaje lädt ja auch dazu ein, grosser kühler Empfangsraum mit vielen bequemen Sofas, Fernseher, viele Leute immer, die hier relaxen und plaudern. Irgendwie dünkt es mich eben, dass diese Trägheit der Leute sich auf mich überträgt und mich lähmt. Und unzufrieden macht. Deshalb bin ich froh, um meinen Entschluss, morgen für vier Tage in eine kleine Ortschaft am Rio Negro zu fahren.

Vielleicht liegt meine Trägheit auch daran, dass ich hier kaum zum Schlafen komme. Häufig wird gerade vor meinem Fenster im schönen Innenhof mit Baum bis spät in die Nacht hinein getrunken und geschwatzt und gelacht, gestern ist es wieder einmal 3 Uhr geworden. Ich habe zwar diesmal nicht mitgemacht, aber trotzdem nicht schlafen können. Um 5 Uhr 15 kommt dann regelmässig die Putzfrau und fängt mit dem Aufräumen der offenen Küche auf der anderen Seite des Hofes an, dies rüttelt mich wieder aus dem Schlaf. Tagsüber schlafe ich auch nie recht, das kenne ich von den Tropen. Es ist zu heiss, das geht nicht, nur dösen.
Doch eigentlich kam der Einbruch meiner Energie, mein Reisetief – das gibt es auf jeder Reise, in China war das in Lijang, da erinnere ich mich sehr gut daran – mit dem Freitag Abend. Ich kam gegen elf Uhr von einem Spaziergang nach Hause, nach einem langen Gespräch mit einem brasilianischen Studenten, der sein Englisch üben wollte. Er sprach es gut und war intelligent, ein interessanter Abend. Im Hostal dann noch kurz die e-mails durchschauen, ich setzte mich in den Empfangsraum auf ein Sofa, Rücken Richtung Eingangstür. Plötzlich das Splittern von Glas, die grellen Schreie einer Frau. Freitag Abend, meine ich zu meiner Nachbarin, die Leute haben sich betrunken, das ist mir bereits auf dem Heimweg aufgefallen, ein Streit bricht da schnell los. Ich arbeite weiter, leicht beunruhigt, dass der Lärm noch zunimmt, das scheint in der Nachbarschaft zu sein. Plötzlich rennt eine ganze Schar von Gästen hysterisch vom Eingang her quer durch den Raum zum Hof hinaus, eine Riesenpanik, die auch mich ansteckt, ich bin die letzte, die aufsteht und rennt. Keine Ahnung, was sich in meinem Rücken abspielt, wovor wir davon rennen, die Situation ist extrem unheimlich. Im Hof suchen dann alle irgendwie Deckung, rennen Treppen hinauf, ein wirres Durcheinander, noch immer ist mir nicht klar, was genau passiert ist, ich wiederhole nur immer wieder, „ihr müsst die Polizei anrufen, ihr, die Portugiesisch sprecht“, denn unten geht der Lärm weiter. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, sagt jemand endlich, die Polizei sei nun gekommen. Blaulicht vor dem Haus. Nur langsam beruhigt man sich und noch langsamer wird die Geschichte klarer. Ein Mann sei zum Hostal gekommen und habe die Eingangstüre, eine Metalltüre mit Einsätzen von dickem Glas, eingeschlagen. Der Lärm hat Neugierige angelockt, viele Gäste sind zur Türe gegangen um zu schauen und sind dort von einem Mann mit einer Pistole bedroht worden. Der Mann suchte offensichtlich eine bestimmte Person im Hostal, die grelle Frauenstimme meinte, nein, nicht der ist es, ein anderer, und schliesslich seien noch weitere Leute den Angreifern zu Hilfe gekommen, die Situation gänzlich eskaliert.
Ausser Materialschaden ist zum Glück nichts passiert, der Schaden, der ist innerlich. Ein paar Leute haben einen Schock gekriegt, auch ich fühlte mich einen Tag lang wie betäubt. Und vielleicht wirkt das eben doch noch nach, ein Ortswechsel endlich tut gut. Weit weg möchte ich nicht, denn für nächste Woche haben mir die Leute noch weitere Ausflüge mit Forschern versprochen. – Komisch war übrigens, das sich die Jugendherberge zu einer verschworenen Gemeinde zusammengefügt hat. Ein paar Leute sind am nächsten Morgen abgereist, doch wir übrigen, sind am folgenden Tag kaum aus dem Haus gegangen und haben uns am Abend gemeinsam besoffen. Das war irgendwie notwendig. – Neben mir telefoniert gerade ein junger Deutscher mit seiner Familie, und erzählt von seinen Erlebnissen in Rio. Sehr gefährlich dort, leider könne man sich nicht frei bewegen, des nachts überhaupt nicht, das sei schon etwas schade. Von zwei Überfällen erzählt er gerade, die er mitbekommen habe. - Die Gewalttat hier war übrigens kein Überfall auf ein Hotel, sondern ein Problem eines Gastes, eines Brasilianers, was da genau war, weiss ich nicht. Der Angreifer sei ein gefährlicher Drogendealer aus der Umgebung. Ich bin froh, dass der Gast am folgenden Tag abreisen musste.
Ich gehöre unterdessen zusammen mit einem Italiener und einem Brasilianer zu den ältesten Gästen in mehrfachem Sinne. Der jüngste ist mit 44 Jahren der Italiener, der Brasilianer mit 57 Jahren der älteste. Er sieht aus wie Picasso, nur dass seine Augen auffällig blau sind. Am ältesten sind wir auch deshalb, dass wir am längsten hier wohnen, die anderen beiden bereits mehr als einen Monat, beides Philosophen und intelligent, doch sind sie mit wenigen Aktivitäten zufrieden. Der Italiener umschwänzelt jedes hübsche junge Mädchen und fängt sich regelmässig Körbe ein, die er gelassen und mit Humor trägt, sonst braucht er nicht viel, erzählt aber gerne von seinen Abenteuern im Dschungel. Picasso wiederum, kommt eigentlich von einer Stadt in der Umgebung, ist Forstingenieur und hat ein Problem mit seinem Arbeitgeber. Das zu lösen sei der Grund seines Aufenthaltes hier.

Manaus, 14.April





Heute regnet es bereits in der Morgendämmerung, teils heftiger Regen. Gegen Mittag hört er auf, doch bleibt die Luft derartig feucht, dass auch ich dauernd feucht bin, das ist kein Schwitzen, eher etwas wie Kondenswasser, und beunruhigt mich wegen meiner Erkältung. - Dafür friert es mich dann am Abend um 9 Uhr draussen auf einem Platz trotzdem schon wieder, der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht ist hier gewaltig.

Ganz einfach sei es, in den „Bosque das Sciencias“ zu gehen, der Bus halte an der Avenida gleich um die Ecke. Der Mann an der Reception gibt mir 4 Busnummern an, alle von diesen könne ich nehmen. Busse kommen dann effektiv auch viele und viele Leute warten auf dem Trottoir auf Busse, immer wieder neue Nummern, so viele verschiedene Linien, das ist ja Wahnsinn, doch die Nummern auf meinem Zettel, die kommen nie. Ich beginne die Leute rings um mich zu fragen, alle geben mir neue Ratschläge, die Sache wird immer unübersichtlicher, und steigen dann in ihren Bus ein, wenn er kommt, perdao, sorry, ich müsse weiter schauen. Endlich dann ein kleiner Bus, bei dem der Chauffeur nickt, ja, das sei gut, dort komme er vorbei. Wir fahren dann im Zickzack durch kleinste Strässchen, hinauf und hinunter, die Stadt hat ja wahnsinnig viele Hügel, meist extreme Steigungen und wieder hinunter und um die nächste Kurve. Ab und zu hält er an, nicht oft, Halt auf Verlangen. Das ganze scheint mir eher wie eine Anhäufung von Dörfern, kleine Häuser, Grün auch immer wieder dazwischen, erst jetzt werde ich mir der Ausmasse dieser Stadt bewusst, denn die Forschungsanstalt ist ja „nur“ 5 km vom Zentrum entfernt, das Stadtgebiet geht dann noch viel weiter. Eigentlich eine tolle Sightseeingtour, zu der ich da komme, nur leider werde ich nervös, ich habe mit dem amerikanischen Forscher abgemacht, mit dem ich schon lange Mailkontakt habe. Ich komme dann doch noch 10 Minuten vor ihm an. Brasilien, ich werde verstehen. Ja, natürlich.
Der Mann ist in Manaus verheiratet, wohl auch so ein Hängengebliebener, ich frage ihn nicht, bereits seit Jahren dort ansässig. Ein Ornithologe, er zeigt mir seine Sammlung. Tote Vögel meint er sarkastisch, gehäutet, das erstaunt mich. Federn blieben wie Haare an der Haut hängen erklärt er. Und anschliessend mit Watte ausgestopft, die man dort, wo eigentlich die Augen sein sollten, weiss hervorquellen sieht. Der Mageninhalt werde in Alkohol aufbewahrt, nein, im Moment nicht erforscht, aber man wisse ja nie, vielleicht einmal nützlich, die gehäuteten Vögel als ganzes werden ebenfalls in Alkohol aufbewahrt und eine Gewebeprobe für genetische Untersuchungen eingefroren. So vieles sei noch nicht erforscht im Amazonas. Er entschuldigt sich, klassische Zoologie. Eigentlich sei sein Gebiet die Ökologie, die Verbreitungsgebiete der einzelnen Arten.
Er erklärt mir alle Möglichkeiten, an die er gedacht habe. Mit einer Adlerforscherin könne ich ins Feld, auch mit einer Frau, die die rosaroten Delphine markiert oder – gegen Entgeld – mit einer Gruppe von Forschern, die die Ökologie von unterschiedlich grossen Urwaldflecken untersucht, ursprünglich ein Projekt des WWF. Spannend tönt das alles. Am Sonntag könne ich mit ihm und einem Fotografen auf den Ausguck in den Bäumen kommen, dort wo er gerne ein Baumpanorama von mir hätte, morgens um halb fünf solle ich im Busbahnhof warten, sie würden mich dort abholen. Diese Ornithologen! Wie gelange ich nur zu dieser Zeit dort hinaus? Item, ein tolles Angebot natürlich, Danke.

Auch will er mich verschiedenen Leuten vorstellen, die an meinen Zeichnungen interessiert sein könnten, ich erwähne vorsorglich, dass ich mit Tieren weniger Erfahrung habe, vor allem Pflanzen gezeichnet, bin ich doch gar nicht so sicher, ob ich das noch kann. Und auch will. In den letzten Tagen war das Skizzieren frustrierend, nichts wollte gelingen, mein Selbstvertrauen ist angeknackt. Deshalb bin ich auch gar nicht begeistert, als er vorschlägt, mich einem Reiseveranstalter vorzustellen. Vielleicht könne ich ja mit Touristen hinausgehen und einfach zeichnen, das könnte die Leute interessieren, das Publikum sei häufig sehr engagiert. Nur hasse ich leider Zuschauer, aber das sage ich ihm nicht, manche Leute versprechen ja auch viel mehr, als sie dann tatsächlich halten. Nächsten Donnerstag fährt er für 3 Wochen nach Amerika, Donnerstag und Freitag seien übrigens Feiertage, ich vermute Ostern, er weiss es auch nicht.
Den Bosque das Sciencias, das Stück Urwald, das im Stadtgebiet noch erhalten ist und zum Forschungszentrum gehört, gehe ich anschliessend besuchen. Ich sehe Seekühe in Becken, die mir doch recht kahl erscheinen, schwarze und gelbe Krokodile endlich von ganz nahe, ihre merkwürdig starren Augen, und eine riesige Menge von Schildkröten und frechen kleinen Äffchen, die sich frei im Park bewegen. Leider ist nur ein winziger Teil des Waldstückes zugänglich und für das Publikum erschlossen.

Mit der Sekretärin vom WWF-Projekt fahre ich schliesslich zurück in die Stadt, ich solle morgen wieder kommen, da sei ihr Chef da, die Verständigung geht irgendwie, Forscher in Brasilien sprechen wenig Englisch. Dann eher noch Leute, die mit Touristen zu tun haben. Zurück nehmen wir einen grossen Bus. Der fährt zwar auf grösseren Strassen, macht dafür aber noch einen grösseren Bogen bis zum Ziel, die Stadt scheint mir nun riesig, allerdings ist jetzt auch Stossverkehr und wir bleiben überall stecken.

Später am Abend gehe ich hinauf zum Platz bei der Oper, dort hat es am meisten Restaurants, auch solche mit Tischen draussen. Die sehen nicht teuer aus, doch sind es. Ich bestelle gemischte Aperitifhäppchen und bekomme nach langer Zeit einen Teller mit Frites, gebratenen fetten Wurstscheiben und Käsewürfeln. Ich habe mir das etwas anders vorgestellt. 5 Damen mit langer und glitzernder schulterfreier Abendrobe - daneben ist ja gerade die berühmte Oper - setzen sich auch an einen Tisch.

Im Hotel flüchte ich mich dann auf die Dachterrasse, im unteren Hof ist ein Biergelage im Gange, da kann ich nicht mehr aufholen. Hier oben hat ein Brasilianer in meinem Alter seine Hängematte aufgehängt. Unten in einem Schlafsaal, das gehe nicht, meint er, und zündet sich einen Joint an.

Manaus, 13.April






Als ich gegen Mittag aus dem Hotel hinaus gehe, hängen die Wolken schwer über Manaus. Bereits vor dem Hafen, auf einem belebten Platz mit vielen Markt- und Essensständen fängt der Regen an und ich flüchte in eine Kirche. Gross ist sie, ausgemalt, viele Heilige in Nischen, wer spricht da von Monotheismus beim Katholizismus? Ich beobachte eine Frau in mittlerem Alter (also in meinem), gut gekleidet, sicher Mittelstand, mit ihren Plastiksäcken voller Waren, die sie auf dem Markt nebenan gekauft hat. Sie kniet, betet, streckt die Arme bittend empor, alles theatralische Gebärden, dann ein Natelgeklingel, sie nimmt ab und antwortet in grosser Lautstärke, dann noch einmal niederknien, ein Kusshändchen links an eine Heilige und eines rechts ebenfalls. Schliesslich steht sie auf und geht hinaus. Beim Kircheneingang ist ein Schild angebracht: Telefon abstellen bitte.

Dann gehe ich in den Hafen. Tagsüber sieht der gar nicht schlimm aus. Ganz neu ist das Ankunftsgebäude hinter den alten schwimmenden Docks, die noch die Engländer gebaut haben, Restaurants direkt am Wasser, der Wind hier erfrischt in der Mittagshitze, eine Bieraktion, drei für zwei, viele greifen zu und haben Kübel mit Eis und Bierdosen auf dem Tisch. Etliche Leute scheinen nichts zu tun zu haben (aber trotzdem genug Geld), obwohl die offizielle Arbeitslosenrate bei 9% liegt. - Ganz sicherlich geht es aber den Leuten hier besser als in Peru. Ein Anzeichen dafür ist die Tatsache, dass nur ganz selten fliegende Händler auf das Schiff gekommen sind. Nein, meinte der Steward, verboten sei das nicht. Dann haben sie eben besseres zu tun, als jedes Schiff zu entern und zu versuchen, mit ihren Speisen und Früchten etwas Geld zu verdienen. Früchte und Gemüse sind hier übrigens sehr teuer. Im Gegensatz zum Fleisch, das billig und sehr gut ist. Man habe eben viele Rinder, meint man. In dieser Tropenregion würden allerdings auch Früchte und Gemüse einfach wachsen. - Obwohl der Bedarf an Grünfutter in Brasilien bereits viel höher ist, die Leute sind gesundheitsbewusster, Jogger in den Parks, etwas, das ich - ausser in Lima - in Peru nirgendwo angetroffen habe. Auch die Vergnügen der Leute haben geändert. Während man sich in Iquitos an Schaustellern, schlechten Schauspielern die Tricks vorführten, ergötzte, schaue ich heute Abend einem Openair Konzert in einem Park zu. Gratisbühne unter freiem Himmel. An Bern erinnert mich das im Sommer. Wenn die Leute die lauen Sommernächte geniessen, eine ganz ähnlich Stimmung ist das hier. Irgendwie gibt mir Manaus nicht das Gefühl, in einer Millionenstadt zu sein. Der Verkehr ist zu friedlich und wenig zahlreich und ausser der Avenida, die sechs Spuren hat, auch nur zweispurig. Eine Metro hat es nicht, doch ein recht ausgebautes Bussystem.
Die Parks in Manaus unterscheiden sich stark von denjenigen, die ich in Peru gesehen habe. Während dort viel Wert auf Parkbänke und Lampen gelegt wurde, alles immer bunt und weiss gestrichen, ging dafür der Schatten ganz vergessen, keine grossen Bäume mit ausladenden Kronen wurden gepflanzt. Parkanlagen hier hingegen glänzen nicht durch Farben. Dafür immer durch üppig wuchernde, Schatten spendende Bepflanzung. Der Unterschied zwischen Indio und Europäer? Indios mögen Farben ganz ungemein. - Weil sie im Urwald bei Vögeln und anderen Tieren, Schmetterlingen vor allem, wunderbar bunte Vorbilder haben? Wobei selbst der bunteste Papagei nie kitschig wirkt - ganz im Gegensatz zu Farbkombinationen mit Kunstfarben. Das trifft dann viel eher statt ins Schwarze, daneben.

Manaus, 12.April








Manaus gefällt mir am Morgen bereits viel besser, ich komme nicht gerne nachts an, die Orientierung fehlt. Die Stadt ist bei Tageslicht grün, viele Alleen, auch einen Park habe ich bereits entdeckt, mit Wasserbecken und Springbrunnen, bunt beleuchtet in der Nacht, dazu unaufdringlich sanfte Musik aus versteckten Lautsprechern. Ungewohnt in der Gegend, das erinnert mich schon eher an China. Schön kann man das Zentrum von Manaus nicht wirklich nennen, doch mir gefällt die vollkommen chaotische Mischung aus mehr oder weniger gut erhaltenen Kolonialbauten, Hochhäusern und stillosen niedrigen Gebäuden dazwischen. Das hat seinen Charme. Auch unsicher fühle ich mich nicht mehr. Der Angestellte des Hostals, eigentlich eine Jugendherberge, meint, Manaus, gefährlich, da gäbe es viel gefährlichere Städte in Brasilen. - Ist doch komisch, die Leute denken immer, an den anderen Orten sei es gefährlich, nicht bei ihnen. Das war so in Chiclayo, wo man meinte, Lima sei gefährlich. Ebenso in Iquitos, wo die ganze Küste als gefährlich verrufen ist, in Leticia findet man Tabatinga sei gefährlich, gefährlich ist es immer dort, wo man nicht ist. Eigentlich ein gutes Zeichen.

Gefährlich sind in Manaus wohl vor allem die Mücken. Es hat weniger als im Urwald, doch deutlich mehr, als in anderen Städten bisher. Zusätzlich hat man mich in der Apotheke darauf aufmerksam gemacht, dass Dengue-Fieber momentan verbreitet sei. Hustensirup und eine Ladung Aspirin - ich muss meine Erkältung endlich ernsthaft bekämpfen - kosten mich fast dreissig Franken, die Medizin ist hier alles andere als günstig. Das Leben ganz allgemein, die Leute scheinen recht wohlhabend zu sein. Ein Entwicklungssprung zu früheren Orten – insbesondere zu Peru – die Autos sind im allgemeinen modern und leise, Motorräder hat es kaum, überhaupt ist der Verkehr sehr gesittet, wenig Hupen, die Stadt ist leiser, als ich das gedacht habe.
Und nun habe ich auch noch ein Hotelzimmer gefunden, das auf einen hübschen Innenhof hinaus geht. Ein Baum steht vor meinem Fenster und den Gästen stehen zwei Terrassen zur Verfügung, die obere mit Aussicht über die Dächer. – Das Zimmer kostet gleich viel, wie dasjenige im Hotel Brasil, das von brasilianischen Geschäftsleuten besucht wird und an der lärmigen Hauptachse liegt, ich habe dort in der ersten Nacht logiert. Allerdings war das doppelt so gross, mit privatem Bad, Klimaanlage und Fernseher ausgestattet. Das alles habe ich für denselben Preis hier nicht. - Trotzdem finde ich es gemütlicher. Stören tut mich einzig, dass ich hier nun wirklich in einem Hotel für Ausländer bin. Eine Minderheit der Gäste sind brasilianische Freaks. Viele Deutsche hat es, auch englischsprachige Leute, die Jugi wird von einem Australier geführt. Die sind eben bereit, für weniger Komfort, dafür bester Gelegenheit mit anderen Travellern in Kontakt zu kommen, mehr zu bezahlen, häufig bilden sich hier auch Expeditionsteams. - Wenn sie nicht Portugiesisch sprechen sowieso, hier spricht man Englisch und kann auch über alle touristischen Belange Auskunft geben.

Gegessen habe ich am Mittag sehr gut in einem Selbstbedienungsrestaurant in der Strasse, eine angenehme Atmosphäre, entweder draussen unter einem Dach oder in einem klimatisierten Raum, das Essen ist gut – allerdings auch nicht billig. Am Abend esse ich dann einen Fleischspiess in einer Strasse in der Nähe der berühmten Oper, die hier „Theatro Amazonia“ genannt wird. Wunderbar, das Fleisch, exquisit, da könnte man direkt Karnivor werden. Gegen neun Uhr abends fühle ich nochmals einen kleinen Hunger und gehe in eine nahe gelegene Imbissbude, hier Lanche oder Lanchonete genannt, das kommt von Lunch. Kebab ist angeschrieben, die Besitzer nett, Kebab haben sie zwar nicht, doch Pizza, bzw. das was Brasilianer dafür halten. Ich entscheide mich für einen Hamburger, eine schlechte Wahl. Dafür gibt mir der Mann am Schluss frische Kakaofrüchte zu versuchen. Die Samen sind in weisses süssliches Fruchtfleisch verpackt und haben einen leicht bitteren Geschmack. Interessant, doch weit dafür laufen würde ich nicht.

Freitag, 22. April 2011

Manaus, 12.April





Manaus gefällt mir am Morgen bereits viel besser. Ich komme nicht gerne nachts an. Die Orientierung fehlt, man weiss nicht, wo man hinkommt. Die Stadt ist bei Tageslicht grün, viele Alleen, auch einen Park habe ich bereits entdeckt, mit Wasserbecken und Springbrunnen, beleuchtet in der Nacht, dazu unaufdringlich sanfte Musik aus versteckten Lautsprechern, ungewohnt in der Gegend, das erinnert mich schon eher an China. Schön kann man das Zentrum von Manaus nicht wirklich nennen, doch mir gefällt die vollkommen chaotische Mischung aus mehr oder weniger gut erhaltenen Kolonialbauten, Hochhäusern und stillosen niedrigen Gebäuden dazwischen. Das hat seinen Charme. Auch unsicher fühle ich mich nicht mehr. Der Angestellte des Hostals, eigentlich eine Jugendherberge, meint, Manaus, gefährlich, da gäbe es viel gefährlichere Städte in Brasilen. - Ist doch komisch, die Leute denken immer, an den anderen Orten sei es gefährlich, nicht bei ihnen. Das war so in Chiclayo, wo man meinte, Lima sei gefährlich. Ebenso in Iquitos, wo die ganze Küste als gefährlich verrufen ist, in Leticia findet man Tabatinga sei gefährlich, gefährlich ist es immer dort, wo man nicht ist. Eigentlich ein gutes Zeichen.
Gefährlich sind in Manaus wohl vor allem die Mücken. Es hat weniger als im Urwald, doch deutlich mehr, als in anderen Städten bisher. Zusätzlich hat man mich in der Apotheke darauf aufmerksam gemacht, dass Dengue-Fieber momentan verbreitet sei. Hustensirup und eine Ladung Aspirin - ich muss meine Erkältung endlich ernsthaft bekämpfen - kosten mich fast dreissig Franken, die Medizin ist hier alles andere als günstig. Das Leben ganz allgemein, die Leute scheinen recht wohlhabend zu sein. Ein Entwicklungssprung zu früheren Orten – insbesondere zu Peru – die Autos sind im allgemeinen modern und leise, Motorräder hat es kaum, überhaupt ist der Verkehr sehr gesittet, wenig Hupen, die Stadt ist leiser, als ich das gedacht habe.
Und nun habe ich auch noch ein Hotelzimmer gefunden, das auf einen hübschen Innenhof hinaus geht, ein Baum steht vor meinem Fenster und den Gästen stehen zwei Terrassen zur Verfügung, die obere mit Aussicht über die Dächer. – Das Zimmer kostet gleich viel, wie dasjenige im Hotel Brasil, in dem ich in der ersten Nacht logiert habe. Allerdings war das doppelt so gross, mit privatem Bad, Klimaanlage und Fernseher ausgestattet. Das alles habe ich für denselben Preis hier nicht. - Trotzdem finde ich es gemütlicher. Stören tut mich einzig, dass ich hier nun wirklich in einem Hotel für Ausländer bin. Eine Minderheit der Gäste sind brasilianische Freaks. Viele Deutsche hat es, auch englischsprachige Leute, die Jugi wird von einem Australier geführt. Die sind eben bereit, für weniger Komfort, dafür bester Gelegenheit mit anderen Travellern in Kontakt zu kommen, mehr zu bezahlen, häufig bilden sich hier auch Expeditionsteams. - Wenn sie nicht Portugiesisch sprechen sowieso, hier spricht man Englisch und kann auch über alle touristischen Belange Auskunft geben.

Gegessen habe ich am Mittag sehr gut in einem Selbstbedienungsrestaurant in der Strasse, eine angenehme Atmosphäre, entweder draussen unter einem Dach oder in einem klimatisierten Raum, das Essen ist gut – allerdings auch nicht billig. Am Abend esse ich dann einen Fleischspiess in einer Strasse in der Nähe der berühmten Oper, die hier „Theatro da Amazonia“ genannt wird. Wunderbar, das Fleisch, exquisit, da könnte man direkt Karnivor werden. Gegen neun Uhr abends fühle ich nochmals einen kleinen Hunger und gehe in eine nahe gelegene Imbissbude, hier Lanche oder Lanchonete genannt, das kommt von Lunch. Kebab ist angeschrieben, die Besitzer nett, Kebab haben sie zwar nicht, doch Pizza, bzw. das was Brasilianer dafür halten. Ich entscheide mich für einen Hamburger, eine schlechte Wahl. Dafür gibt mir der Mann am Schluss frische Kakaofrüchte zu versuchen. Die Samen sind in weisses süssliches Fruchtfleisch verpackt und haben einen leicht bitteren Geschmack. Interessant, doch weit dafür laufen würde ich nicht.

Dienstag, 12. April 2011

Bandeiranthe II, 11.April




Schönes Wetter heute Morgen, die Ufer des Flusses sind immer noch praktisch unberührt, nichts deutet darauf hin, dass wir noch heute in einer Riesenstadt ankommen werden, wo das Schiff von Stadtrand zu Stadtrand 1 Stunde fahren müsse, wie mir der Steward berichtet. Er komme von Tabatinga – deshalb versteht er wohl mein Spanischportugiesisch so gut - habe aber Verwandte in Manaus, einen Taxifahrer auch, der könne mich ins Hotel fahren.

Am Frühstückstisch füllt der pokennarbige Familienvater den starken und stark süssen Milchkaffee in die Trinkflaschen der Kleinkinder, kein Wunder dass die Brut so lärmig ist, einer der kleineren Knaben klopft unterdessen gerade dem Säugling rhythmisch heftig auf die Brust, was dessen Geschrei angenehm moduliert.

Gegen 10 Uhr morgens doch noch eine Landung mit der Schiffsspitze gegen das Ufer. Mitten im Nichts, kein Dorf, der Schiffsjunge springt barfuss ins Schilf der Böschung und befestigt ein dickes Tau an einem Baum. Wozu dieser Halt, niemand schickt sich an, auszusteigen? Regen, meint der Steward und deutet auf die schwarze Wand im Osten, die auf uns zukommt, das sei gefährlich. Nun sind wir eigentlich jeden Tag durch ein bis zwei Regenfronten gefahren, die Plastikplanen wurden hinuntergelassen und nach einer viertel Stunde war der Spuk wieder vorbei. Weshalb diese Front gefährlicher sei, das weiss ich nicht. Sehen die ihr das an oder hat es vielleicht sogar Funk auf dem Schiff? Selbst die Luke zum Bardeck wird diesmal geschlossen, es giesst heftig, doch nach einer viertel Stunde lässt der Regen bereits nach und wir legen wieder ab.

20 Passagiere sind wir noch und rund 10 Angestellte, einen Koch und eine Köchin habe es auch, erklärt mir der Steward. Das war sicherlich diese grosse feste Frau, die mich misstrauisch betrachtet hat, als ich das Unterdeck und die Küche inspizieren gegangen bin. Allzu rentabel ist diese Fahrt nicht, zumal auch der Frachtraum praktisch leer bleibt.- Immerhin haben sie von mir 600 Reals erhalten, das macht doch bereits einiges wett. Inzwischen habe ich nämlich Zeit gehabt, ausführlicher in meinem Reiseführer zu lesen und da heisst es, dass die Preise stark variieren, je nach dem Komfort auf dem Schiff, und ausgehandelt werden müssten. Eigentlich hat mir das bereits der Mann, der mir das Billet ausgestellt hat angedeutet. Nach einem Telefon, in welchem er anfragte, ob eine Kabine frei sei, meinte er 600 Reais, ob das recht sei? Im Prinzip ein Angebot zu verhandeln. - Ich bereue es allerdings überhaupt nicht, dieses Schiff genommen zu haben, die Weite der Landschaft, die ich nicht müde werde aus meiner schaukelnden Hängematte heraus zu betrachten, bringt eine derartige innere Ruhe und Gelassenheit in mir, die selbst der Lärm der Motoren kaum zu erschüttern vermag.
Um 5 Uhr präzise wird zum Nachtessen gepfiffen. 5 Uhr ist die prophezeite Ankunftszeit in Manaus. Das Ufer ist immer noch wenig besiedelt, kleinere Grundstücke, doch etwas mehr Verkehr auf dem Fluss, der häufig aussieht, wie ein Schweizer See, manchmal auch schmal wie die Aare, wenn durch Inseln Wasserläufe abgetrennt werden. Im Moment hat es wegen des Hochwassers sehr viele davon und einige sind Abkürzungen von Kurven, die bei Niedrigwasser nicht befahren werden können. Immer noch sind wir in ländlicher Gegend, immer mehr kleinere und grössere Schiffe kreuzen uns zwar, doch weit und breit keine Stadt in Sicht. Das stört mich nicht, die Abendstimmung ist wundervoll, doch sorge ich mich ein wenig, spät in Manaus anzukommen. Die Lichter der Stadt sehen wir erstmals gegen 8Uhr abends, bis wir am Porto flutuante anlegen geht es nochmals eine Weile. Der Steward – oder ist er doch der Kapitän, bei der Landung übernimmt er das Kommando – ist besorgt, sein Primo, sein Neffe, habe nicht kommen können, ob ich nicht die Nacht auf dem Schiff verbringen wolle, jetzt sei es gefährlich ohne Vertrauensperson. Eine andere Frau, eine Dame, ich habe sie nie mit jemandem sprechen sehen, bleibe auch auf dem Schiff, denn Morgen fahre sie weiter nach Santarem.

Bandeiranthe II, 10.April


Zwei Uhr nachts, Varejao Ribeirinho, eine kniffelige Landung praktisch seitwärts, der Steuermann dieser Nacht löst sie elegant. Allerdings hat es hier kaum Strömung und Motorräder werden keine ausgeladen, also braucht es auch keine Landungslatte, die Leute steigen einfach auf die Anlegestelle - hier immer schwimmende Flosse, der Wasserstand ändert ja gewaltig im Laufe des Jahres - die Waren werden über Bord hinausgereicht. Bunte Plastikbecken, die müssen flussaufwärts billiger sein, eine Motorsäge und zwei riesige Säcke mit Zwiebeln, der eine davon ist aufgeplatzt. Die dicke Frau, die gerade einen ebenso dicken Mann herzlich begrüsst hat, bückt sich verstohlen und schiebt einige davon in ihre Handtasche und schaut dann hinauf, ob sie niemand beobachtet hat. Natürlich habe ich.

Sonntagmorgen, ich gehe in die Bar hinauf und will schreiben. Ich bin die einzige, deshalb bitte ich das Mädchen, Barmaid passt irgendwie nicht zu ihr obwohl sie sexy angezogen ist, zu jung und zu unschuldig, mit Zahnspange noch, die Musik „mais calma“ zu stellen. Sie lächelt, kommt aus ihrem Häuschen hervor und sucht eine neue Kassette aus. Langsame süsse Musik in genau derselben Lautstärke. Dass die Lautstärke jemanden stören könnte, das versteht hier keiner. Das nächste Mal versuche ich es mit „silencioso“. Calmo, silencioso, quieto finde ich im Wörterbuch für still.

Heute erforsche ich das unterste Deck. Der Steward hat mir erklärt, dass es dort auch Hängematten habe, die billigste Klasse. Die dröhnenden Motoren liegen hinten im Schiff in einem offenen Schacht und sehen eigentlich recht neu aus. Gerade daneben die Küche, 10 Uhr morgens, noch kein Betrieb, alles sauber und aufgeräumt. Der Berg mit den leeren Bierharrassen steht herum, noch ein letztes neues Motorrad, ein paar Kochbananen und wenige Leute, Waschräume hat es auch hier unten.
Der dritte Tag auf dem Boot, einzig der Lärm stört mich zwischendurch, das wird er mich in Südamerika wohl noch einige Male, sonst fühle ich mich sehr wohl und bereue bereits, dass die Fahrt morgen Abend zu Ende geht. Heute beginnen die verschiedenen Parteien auf dem Schiff erstmals Gespräche miteinander zu führen, Brasilianer brauchen offensichtlich etwas mehr Zeit. Die Frau mit Pelzjäckchen und Shorts lehnt sich an einen Mann, ist das ihr Partner oder hat sie den eben aufgegabelt, ein Verführungsspiel, ich habe gelesen, dass diese langen Reisen gute Beziehungsanknüpfpunkte sind. Die Mannschaft macht allgemeine Unterhaltsarbeiten, seit letzter Nacht um 2 Uhr kein Stopp mehr, wir fahren heute Morgen durch ein Gebiet mit stärkeren Siedlungsspuren, kreuzen ab und zu ein Boot, doch keine grösseren Ortschaften am Ufer.

Ich erwache spät, gegen 7 Uhr, das Licht dringt in die fensterlose Kabine kaum ein, ich merke nicht, wenn es Tag wird und gehe als eine der letzten zum Frühstück. Zu den übrigen Speisen werden heute auch Papaya- und Zuckermelonenstücke gereicht, ausserordentlich ist das, bisher habe ich nie das Gefühl gehabt, dass die Leute sich gross um Vitamine kümmern und zwischendurch in Touristenrestaurants aufgetankt. - Zugegeben, es ist auch nicht gerade die beste Jahreszeit dafür, ausser Bananen und Papayas, die keine Saison haben, gibt es nur wenige Früchte zu kaufen, vor allem ölige, Avokadoähnliche, doch ihre Ausbeute ist weit geringer, häufig eine schuppig zerfallende Haut, eine dünne Fruchtschicht und ein riesiger Kern. Sie haben den Weg in europäische Teller berechtigterweise nicht gefunden.

Bandeirante II heisst unser Schiff, „Bandeirantschi“ ausgesprochen, das heisse in meiner Sprache Räuber, Krimineller, der Steward lacht. Später lese ich dann, dass dies auch hier der Fall sein muss. Während dem 17.und 18.Jahrhundert schlossen Mischlinge mit indigenen Müttern und portugiesischen Vätern sich zu Banden zusammen und strömten in den Urwald aus um dort aus den Indios Sklaven zu machen oder sie kaltblütig zu ermorden, die Bandeirantes waren als besonders grausam bekannt. Die Indios gaben allerdings keine guten Sklaven ab, wollten nicht dienen, hungerten sich zu Tode und waren gegen die Krankheiten der Weissen ohne Schutz und wurden dahingerafft. Als Ausweg boten sich schwarzen Sklaven an, die aus Afrika importiert wurden. Und ihre Verwendung erst auf den Zuckerplantagen fanden, später auch in den Goldminen von Minas Gerais. Endlich hatte man das Gold gefunden, das man weiter nördlich im Amazonasbecken schon vor 200 Jahren vermutet hatte. Im Gegensatz zu den Nachbarländern gab es in Brasilien keine früheren Hochkulturen wie die der Inkas, Azteken oder Mayas, doch besiedelt war die Gegend bereits früh, Höhlenmalereien bekunden davon.
Nach dem Zuckerboom kam der Kaffeeboom, wie das Gold weiter im Süden angesiedelt, ein erneuter Aufschwung im Amazonasgebiet kam erst mit der Erfindung von Pneus und damit der Kautschukgewinnung Ende des 19. Jahrhunderts. Damals wurden Städte wie Manaus und Belem, auch Iquitos, wo der berühmte Kautschukbaron Fizzgeraldo gewohnt hat, unermesslich reich. Um kurz nach der Blüte wieder in Bedeutungslosigkeit zurück zu fallen, der billigere Plantagenanbau von Kautschuk mit Samen, die vom Engländer Henry Wickhamin gestohlen und nach Asien gebracht worden waren, liess die Preise für Kautschuk zerfallen. Die ganze Geschichte Brasiliens ist von Boomzeiten und Krisen geprägt, auch später geht es mit der Wirtschaft auf und ab, ganz offensichtlich befindet sich dieses Land wieder einmal in einer Boomzeit. Ich bin gespannt zu erkunden, wie sich diese wechselvolle Vergangenheit auf die Einwohner Brasiliens auswirkt.

Brasilien hat sich bereits zur Zeit Napoleons von Portugal abgelöst - lese ich weiter im Reisebuch – vollzogen durch einen portugiesischen Prinzen, der es vorzog, in Brasilen zu leben und eine Trennung vom Mutterland durchsetzte, denn die hohen Abgaben missfielen den Leuten seit langem. Nach den Königen, die sich zu Kaisern ernannt hatten, bestimmten schon bald einmal mächtige reiche Grossgrundbesitzer die Politik, sie wurden Mitte des letzten Jahrhunderts von Militärdiktaturen abgelöst. Diese sollen hier etwas weniger brutal vorgegangen sein als in Argentinien und Chile, demokratisch regiert wird Brasilien ab 1980.

Gegessen wird heute früher, zwischen 11 und 12 Uhr am Mittag und zwischen 5 und 6 Uhr das Nachtessen. So, wie es über dem Esstisch angeschrieben steht. Nach dem Nachtessen - Resten wieder, oder auch das Standartessen, Reis, Bohnen in Sauce und Teigwaren gibt es jedes Mal, dazu am Abend noch etwas Poulet - bekreuzigt sich der grosse, pokenhäutige Indiotyp, was bleibt ihm anderes übrig mit seinen fünf kleinen Kindern. Die Frau liegt mit den drei Kleinsten bereits auf der Decke am Boden genau über den Motoren, doch der Lärm macht ihnen kaum etwas aus, eines der Kinder schreit sowieso immer mordio. Am Mittag gab es Rindfleisch in Sauce und einen Russischen Salat, nach dem Essen offeriert der Steward Mokkabonbons, die ich erstaunlicherweise gut finde. Nein, keinen Halt mehr, meint er auf meine Frage, wann wir denn das nächste Mal anlegen würden, morgen Nachmittag um 5 Uhr in Manaus. Das finde ich nun fast etwas schade, ich habe gerne zugeschaut beim Treiben in den Häfen.
Der Nachmittag verläuft also ruhig und gleich wie der vorherige, kaum Siedlungen an den Flussufern, links muss das Mamiraui-Schutzgebiet liegen. Um 1 Uhr passieren wir die letzte grössere Siedlung, Tefe meint der Steward, ich habe es vermutet, ein grosses älteres Gebäude und eine Kirche, das muss die Missionsstation sein, von der ich im Führer gelesen habe. Der Fluss sei hier etwa 18 Meter tief meint er weiter, in der Trockenzeit viele Sandbänke, da brauche man mehr Zeit. Kapitän gäbe es nur einen auf dem Schiff, noch Steuermänner, alle 6 Stunden werde gewechselt. Auch er sei Kapitän. Das glaube ich ihm nicht recht. Mindestens nicht auf diesem Schiff, doch hat er mir bereits gesagt, dass er erst zum fünften Mal hier mitfahre. Früher immer Cargo-Schiffe, da braucht es kaum einen Steward. In diesem Schiff habe es ein Messgerät, das die Flusstiefe angebe, sehr praktisch sei das, der Tiefgang des Schiffes sei ungefähr 2 Meter. Das habe ich mir doch gedacht beim Kapitän in Peru, der gänzlich ohne Instrumente gefahren ist. 20m Tiefgang meinte der, das wäre doch etwas gar viel gewesen.

Beim Sonnenuntergang bin ich wie immer auf dem Bardeck, Stuhl rückwärts, Richtung Westen, alle übrigen schauen in die andere Richtung, in den Fernsehapparat. Mir reicht das Naturschauspiel, gewaltig täglich, da wird man ganz klein. Daneben schaue ich einer Spinne zu, die sich eifrig auf etwas Winziges stürzt, dass sich in ihrem Netz verfangen hat. Keine gute Idee, sich auf einem Schiff einen Platz zu suchen, Insekten gibt es nur beim Warten in den Häfen, zu schnell der Fahrtwind. Auch dies etwas unschätzbar Tolles auf einer Schifffahrt. Von Moskitos wird man nicht belästigt, ich hoffe, bis morgen Abend sind all meine Stiche wieder ausgeheilt.

Neun Uhr abends, es ist seit zwei Stunden finster, wieder mehr Lichter und Schiffe, wir fahren auf einen hell erleuchteten Punkt zu. Ein PetrolTerminal meint der Steward, da werde Erdöl und Erdgas verschifft. Viel Erdöl habe Brasilien, das werde auch exportiert. Oder in Manaus raffiniert.

Als ich so richtig bettmüde bin und am einschlafen, bremst das Schiff plötzlich, Stimmen, wir halten in einem grösseren Hafen, das Schiff wird voll getankt. Alle nehmen ihr Handy hervor, hier hat man Empfang, Mitteilungen senden oder empfangen, ein Telefon machen. Coari, mehrstöckige Häuser im Hafen, das muss eine grössere Stadt sein. Die vier Schwarzen, ich denke, sie sprechen Portugiesisch, verstehe das aber trotzdem nicht, haben nun den ruhigen Platz vor den Kajüten besetzt und lassen ihre Ghettoblaster volle Lautstärke laufen. Die hören ihre Musik wohl auch lieber ohne Nebengeräusche. Trotzdem nervt mich das, der einzige einigermassen ruhige Platz auf dem Schiff. Wahrscheinlich bin ich da allein – obwohl die übrigen Leute doch sehr viel weniger Krach machen. Mein Hängemattennachbar, tagsüber liege ich gerne zwischendurch dort, sieht sehr asiatisch aus, Japaner sollen anfangs des 20. Jahrhunderts viele in Brasilien eingewandert sein, liest entweder in einem Buch oder schläft. Immer mit derselben stoischen Ruhe und gänzlich ohne Gemütsregungen. Wie dies den Asiaten eigen ist.

Bandeiranthe II, 9.April









Gegen 3 Uhr morgens drosseln die Schiffsmotoren, der Seemann war präzise, ich bin bereits wach und gehe an Deck. Die Scheinwerfer des Schiffes suchen das Ufer ab, noch ist es menschenleer, wir warten in der starken Strömung bis sich die ersten Leute zeigen. Die Landung in der engen Bucht ist schwierig, hier fahren die Boote nicht wie in Peru einfach mit dem Bug gegen das Land, das Schiff dockt seitwärts an einem grossen, gedeckten, metallenen Floss an, davor schwimmen mächtige Baumstämme, die eine weiche Landung garantieren. Mehrmals muss der Kapitän vorwärts und rückwärts manövrieren, bis der Schiffsbug endlich parallel zum Floss liegt. Ist wohl gestern doch etwas an der Steuerung beschädigt worden? Etwa 15 Passagiere stiegen aus, dadurch wird aber der Hängemattenraum nicht leerer, die müssen im untersten Deck mitgefahren sein. Darauf werden 4 neue Motorräder ausgeladen, eine kniffelige Sache, denn der Landesteg liegt schlecht und muss immer wieder verschoben werden, das Schiff bewegt sich ständig. Nun beginnt die Familie, die am Schluss noch ihren Hausrat aufgeladen hat, den wieder auszuladen, Kühlschrank Tisch und Stühle, ein Doppelbett und ein Kinderbett, ein Küchenschrank, ein Fernseher, Grillgeräte mehrere, eine Strassenküche vielleicht, und schliesslich noch eine riesige Parabolantenne. Gleichzeitig wird vom Land her ein ganzer Berg leere Bierharrassen eingeladen, alles über die gleiche Holzlatte, das funktioniert erstaunlich gut, ein paar Kartonkisten ebenfalls. Am Schluss werden noch die riesigen Plastikwasserbehälter, halbe Schwimmbäder sind das, aus dem Schiff ausgeladen. Alles von Hand, versteht sich. Zum dritten Mal tutet nun das Schiff, diesmal wird es ernst, die früheren Hornstösse tönten für mich eher wie ein „beeilt euch“ an die Mannschaft oder „wenn jemand noch kommen will dann soll er das jetzt“. Nach knapp einer Stunde legen wir ab. Der Mond ist inzwischen verschwunden, doch die Sterne leuchten immer noch am Himmel, eine klare Nacht, suchend tasten sich die Bootsscheinwerfer wieder auf das offene Wasser hinaus.

Morgens 8Uhr, ich habe offensichtlich nochmals gut geschlafen, geträumt auch, ich sei auf einer Lancha, nur das sie ganz anders aussah als in Wirklichkeit, und dies im Halbschlaf sogar bemerkt habe. Zum Frühstück gibt es Milchkaffee, leider bereits stark gesüsst, doch wenigstens warm, Brot mit Salzbutter bestrichen, Rührei und gekochten Maniok. Ich begnüge mich mit Kaffee und Weissbrot, immer noch ein flaues Gefühl im Magen, inzwischen niesen viele Leute auf dem Schiff, das Regenwetter seit einigen Tagen, gestern ein kurzer Unterbruch, heute bewölkt und leichter Regen. Nach dem Frühstück laufen wir Anapurà an, ein grosses Dorf oder kleines Städtchen. Oben am Hangabbruch die neuen gemauerten Quartiere, unten am Wasser Holzhäuser auf Stelzen. Häuser über dem Wasser, das scheint einem ursprünglichen Bedürfnis der Menschen zu entsprechen, bereits die Pfahlbauer haben so gebaut. Auch in Leticia war nur das ganze moderne Verwaltungszentrum und die neuen Wohnhäuser alle auf dem 10 bis 20 m hohen Uferabbruch, vor saisonalen Überschwemmungen geschützt, errichtet worden. Momentan wird in Leticia am Wasser eine breite, schön gestaltete Uferpromenade geschaffen, welche die Häuser dahinter vor den jährlichen Überschwemmungen schützen wird. Ob die Bewohner, insbesondere die Kinder, darüber glücklich sind, das weiss ich nicht, hygienischer ist es ganz bestimmt.

Auch in Anapurà wirft wieder derselbe Bootsjunge die Taue an Land, der mir die Steckdose zu flicken versuchte, ins Wasser getaucht ist und die Bootsschraube befreit hat, in der Küche sehe ich ihn zu den Essenszeiten, beim Abladen in der Nacht hilft er auch tatkräftig mit und heute morgen wischt er das Deck. Wird denn hier alle Arbeit dem Jüngsten überlassen? Er scheint nicht unglücklich darüber zu sein. Bei diesem Stopp steigen wiederum ein paar Leute aus, der Hängemattenraum ist nun halb leer, woher das Gerücht, in brasilianischen Schiffen sei es immer total überfüllt? Man sollte sich nicht auf solche Hinweise verlassen, das kann von Tag zu Tag ändern. Auch unser Frachtraum ist nun praktisch leer, nichts Neues wird eingeladen, einzig ein paar Kochbananenbüschel, die auf dem Landungssteg angeboten werden, wechseln den Besitzer. Ich überlege mir, ob ich Essbananen kaufen soll, tue es aber dann doch nicht, die riesigen Bündel wollen sie nie aufteilen, das ist mir zuviel, Vitamine später wieder. Anapurà fällt durch seine blaue Kirche auf, wir bleiben nicht lange an diesem Ort an der Mündung eines Seitenflusses.

Ich habe die Zeit verloren. Weiss zwar, dass ab der Grenze zu Brasilien die Uhren eine Stunde vorgestellt sind, auch mein Natel und mein Computer melden mir den Zeitwechsel – verspätet, ich habe ihn bereits manuell gemacht – und haben nun beide unterschiedliche Zeiten. Keine Ahnung welche die Richtige ist. Die Passagiere kommen wieder alle frisch geduscht und duftend, neu eingekleidet aus den Toiletten-Duschkabinen, bereits gestern Abend taten sie das, die müssen ja denken - ich versuche es dann in der Mittagshitze. Der Esstisch, steht in der Mitte zwischen den beiden Duschkabinenreihen hinten im Schiff, durch halbhohe Bretterwände davon abgetrennt und gegen die Küche zu offen. Ab und zu ein übler Geruch aus geöffneten Türen, unvermeidlich wohl, denn heute Morgen wurden sie gereinigt.

Santo Antônio do Iça, über die Zeit will ich nichts mehr sagen, ich habe sie ja verloren, irgendeinmal vor Mittag, nehme ich an, diesmal kaufe ich doch Bananen, die einzigen Früchte, die angeboten werden. Umgeladen wird wenig, zwei neue Motorräder werden ausgeladen, man sieht keine Ortschaft, doch eine neue Strasse schneidet sich durch den Abhang hinauf und ein Boot mit Bausand wir eben entladen, eine Ansiedlung entsteht.

Erstmals werden wir wieder von einem Militäraufgebot erwartet, eine Gruppe hoch gewachsener bewaffneter Männer entert das Schiff. Nochmals eine gnadelose Kontrolle, alles Gepäck wird durchsucht, die Leute im Hängemattensaal nehmen das gelassen, normal, Drogen und Kolumbien. Auch die Kabinen werden darauf von den ernst dreinblickenden Militärs durchsucht, die ganze Mannschaft, selbst in die Wassercontainer und unter die Deckenverstrebungen wird geguckt. Bei mir geht es diesmal gnädig ab, einzig meinen Pass muss ich zeigen, Schweizerin, okay, ich muss nichts auspacken. Auf dem Bardeck oben nähert sich mir dann einer der Militärs in Englisch. Allein unterwegs? Ein zweideutiger Blick, ein Charmeur ganz offensichtlich, sieht gut aus, die Brasilianer ganz allgemein, das wird gefährlich - so ernst ist das ganze also doch wieder nicht. Die Barmaid zieht einen Wegwerf-Plastikhandschuh über und bereitet einen Toast, mit der Hygiene scheint man es hier ernst zu nehmen, auch die Militärs zeihen sich welche über, bevor sie Gepäckstücke durchsuchen. Endlich verlassen die Uniformierten das Schiff, Daumen hoch von der Anlegestelle her, alles gut, endlich können wir gehen.

Ich nehme nun eine Dusche, gar nicht so schlimm, dann gibt es das Mittagessen. Das wird um 12 Uhr serviert, ich habe die Zeit wieder gefunden, das Telefon hatte recht, der Computer nicht, die Mahlzeit ist erstaunlich gut. Aus einer Luke im Boden holt der Schiffsjunge die Schüsseln empor, das habe ich mir doch gedacht, viel zu klein hier oben, die Küche muss gerade neben dem Maschinenraum liegen. Ein grosses Stück schmackhaftes Poulet, Reis, Teigwaren, da verzichte ich darauf, Bohnen und ein Salat aus Gurken und Tomaten, zum Dessert erst noch ein Stück Papaya, jeder nimmt soviel wie er will, ich bin überwältigt. Teller muss man nicht selber mitbringen, der Schiffsjunge betätigt sich jetzt als Tellerwäscher, ein älterer Dürrer trocknet sogar ab, wir kriegen sauberes Geschirr in der letzten Schicht, der Tisch wird immer für 10 Leute gedeckt. Gesprochen wird nicht während dem Essen, das wäre auch schlecht möglich, der Tisch steht ja genau über den Motoren, der Lärm hier ist ohrenbetäubend, doch auch oben in der Bar sitzen die Leute meist einzeln an den Tischen, nur vier Schwarze sitzen immer zusammen und spielen Karten. Brasilianer scheinen weniger kontaktfreudig zu sein als Peruaner - oder ist das eine voreilige Bemerkung? Ich selber bin ja auch nicht gerade offen mit den Leuten, mein Brasilianisch ist miserabel, finde ich, das muss man spüren, diese Unsicherheit.

Tonantins gerade nach dem Mittagessen, auch hier entsteht eine neue Hafenanlage. Nun regnet es wieder. Alles andere als einfach für die Passagiere, die ein- und aussteigen müssen, den rutschig verdreckten Abhang zu erklimmen. Ein kurzer Halt, Waren werden kaum verschoben unser Schiff bleibt halb leer.

Auf meiner Karte stelle ich fest, was mir von verschiedener Seite bereits angedeutet wurde, eine Unlogik, zweimal der Zusammenfluss zum Amazonas, das erste Mal – und einzig richtige, wie mir Antonio aus Iquitos beteuert – bei Nauta, als der Rio Maranon und der Rio Ucayali zusammenkommen. Ab der Grenze von Peru heisst dieser Fluss dann allerdings nicht mehr Amazonas, sondern Solimoes und wird erst zum Amazonas, wenn er nach Manaus mit dem Rio Negro zusammenfliesst. Nun streiten sich eben Peru und Brasilien über den Entstehungspunkt des Amazonas.

Eine Siesta in der Hängematte, ich fühle mich ziemlich matt, keine Medizin gegen Grippe im Gepäck, das Aspirin geht auch dem Ende zu. In meinem Reiseführer lese ich, dass in Brasilien mehr als 50 Prozent Weisse leben und darunter die Oberschicht zu finden ist, der Rest sind Mischlinge zwischen Schwarz und Weiss oder ganz Schwarz, nur eine verschwindend kleine Anzahl sind Abkömmlinge von Indianern. Das sieht man den Leuten bereits hier im Amazonasbecken an. Sie sind hoch gewachsen, ein Mongolischer oder eben Indigener Einschlag in den Gesichtern ist selten.

Nacht bereits. Eben gerade werden die Toiletten frisch geputzt, wieder der Schiffsjunge, danach schrubbt er die Küchenausgabe und lässt die Plastikplanen im Hängemattenraum für die Nacht hinunter. Vor dem Mond ziehen ab und zu helle Wolkenfetzen vorüber, manchmal verdichten sie sich zu dunklen Schatten und wenn diese grossflächig werden, so zeigt sich der Mond dahinter in einem hellen Kreis. Ich finde, er habe etwas zu genommen. Recht ist das, ich mag es, wenn aus der Finsternis die Ufer in seinem kalten Licht auftauchen. In meiner Hängematte schläft jemand, ich befürchte, es ist der betrunkene Junge, der mit ein paar Leuten beim letzten Stopp zugestiegen ist. Die Männer haben den ganzen Nachmittag in der Bar gebechert, bis der Steuermann, wie ich ihn nenne, Uniform trägt ja hier keiner, findet, es sei nun genug und sie hinunter schickt und ihre halbvollen Biere in den Fluss leert. Nach dem Nachtessen sehe ich den Jüngsten davon über die Reeling gebeugt sich erbrechen, das war wohl zuviel und seine Hängematte hat er dann auch nicht mehr gefunden.
Eine Frau schreit laut in ihr Telefon, muss sie ja, wenn sie die Schiffsmotoren und die Barmusik übertönen will, Empfang wieder einmal, wir sollten nächstens in Juntai anlegen, an den Ufern immer noch kein Licht. Den ganzen Nachmittag über sind wir durch praktisch unberührtes Gebiet gefahren, keine Spuren von Siedlungen, auch Schiffe kreuzen wir keine, ein endloses Netzwerk von Flussläufen, was Insel, was Festland, ich habe keine Ahnung. Doch, es gibt ihn noch, den unberührten Urwald in Brasilien. Und ein tolles Gefühl, sich vorzustellen, wie hier ein lärmendes kleines Schiff ganz einsam diese weite Landschaft quert, so weit das Auge reicht nur Wasser und Wälder und weiter Himmel. Etwas Verrücktes hat das, ich fühle mich sehr glücklich trotz meiner angeschlagenen Gesundheit.
Der Steward, so nenne ich nun den Schiffsmann, der mich immer zum Essen ruft und am Tisch dafür sorgt, dass alle genug kriegen und der Tisch sauber bleibt, meint, nein, an den Krach der Schiffsmotoren, an den habe er sich nicht gewohnt. Niemals könnte er schlafen hinten im Hängemattenraum, einzig in seiner Kajüte, sie liegt gerade vor meiner, gehe das, wenn er die Türe zuschliesse.

Endlich das Schiffshorn, nun sehe ich Lichter auftauchen, Juntai, ich muss auf meinen Beobachtungsposten, die Tage sind intensiv hier. - Diesmal docken wir nur kurz an einem bereits angelegten ungefähr gleich grossen Schiff an, es ist noch weniger gefüllt als unseres, für uns gibt es nichts zu tun, die Lichter der Ortschaft entschwinden bereits wieder und leuchten mit dem Sternenhimmel um die Wette. Im April und Mai seien die Schiffe oft fast leer, meint der Steward.

Eine Frau zeigt mir ihre am Ansatz eingerissene Hängematte, ich meine fragend „zu schwer“, das war nicht gerade diplomatisch, nein, die Kinder, meint sie. Ich leihe ihr Faden und Nadel, sie ist froh darum. - Zum Nachtessen gibt es die Reste des Mittagessens, das ist legitim, dazu neu ein Gericht aus Hackfleisch und Kartoffeln, das mir sehr gut schmeckt. Um die Teigwaren machen alle einen Bogen, die kriegen wir bestimmt morgen nochmals aufgetischt. Der Steward, der zuletzt isst, will sie auch nicht und verlangt nach Brot, in welches er die Hackfleischsauce einpackt. Ich sage „Hamburguesa“ und alle lachen. Auch die Kapitäne kriegen heute diese Speise. Der Steward bringt sie ihnen zusammen mit einer Thermosflasche hinauf, man sieht diese Leute nie auf dem Schiff, die vermischen sich nicht mit dem gemeinen Volk. Die Kapitänskajüten und das Steuerhaus sind hinter der Bar mit Gittertoren abgetrennt, kein Zutritt für Unbefugte.

Heute schliesst die Bar bereits um halb neun, ein nächster Stopp ist um elf Uhr vorgesehen, man will sich offensichtlich vorher noch etwas ausruhen. Ich bleibe allein an Deck. Plötzlich eine Berührung auf meinem Rücken, der Schiffsjunge schaut mich lachend an und verschwindet halb nackt im Kapitänsbereich.

Bandeiranthe II, 8.April





Warten im Fährhafen von Tabatinga. Ich bin bereits gut erzogen und heute eine der ersten, die auf das Boot wartet. Der Fährhafen ist eine offene moderne Halle, mit Bar und sehr sauberen Toiletten. Wenn das so weiter geht auf dem Schiff, dann kann es nur gut kommen. Die Lancha, die heute Freitag fährt, ist allerdings kleiner als die anderen, doch ich habe mir ja diesmal eine Kabine geleistet. Statt 150 Reals kostet das 600, mehr als der Flug, wie ich später erfahre, aber schliesslich sind da auch noch 4 Tage Kost und Logis inbegriffen. Und eine Steckdose zum Aufladen des Computers, schliesslich rechtfertige ich mir diese Investition damit, dass ich so Zeit habe, mein Portugiesisch mit dem Sprachprogramm wieder aufzupolieren und zu schreiben.

Übrigens wird nun rund um mich herum Brasilianisch gesprochen, ich hoffe, das geht möglichst rasch in mein Ohr. Die Landesgrenze zwischen Kolumbien und Brasilien, die eigentlich mitten durch die Stadt geht und kaum sichtbar ist - keine Kontrollen, der nördliche Teil ist Leticia und der südliche Tabatinga - ist auch gleich die Sprachgrenze.
Dass ich jetzt meinen Computer hervor nehmen kann und auch filmen, das ist ein weiterer Vorteil einer Kabine. In den Hängematten hatte ich nicht gross Lust, dass man wusste, was alles ich in meinem Gepäck mitführte. - Übrigens sind generell die meisten Fotos dieses Blogs mit meinem Sony Ericsson Natel gemacht worden. Das ist klein und unauffällig, beides riesige Vorteile, die die Nachteile, kein Zoom und eine kompliziertere Übertragung auf den Computer, leicht wettmachen. Ich habe mich an dieses Ding gewöhnt und fotografiere nun sehr gerne damit. Nicht immer sehe ich im Display alles genau, es gibt Überraschungen, die Fotos sind eigentlich vor allem nach dem Bildaufbau gemacht. Ich finde das Ergebnis trotzdem überzeugend.

12 Uhr, auf 13 Uhr ist die Abfahrtszeit angesagt. Im Moment hat es mehr Polizei und Militär in der Abfahrtshalle als Passagiere und ein brauner Labrador-Drogenhund geht den Gepäckstücken entlang. Drei weitere warten ungeduldig in Transportkisten und bellen, heute gibt es nicht viel zu tun, nur wenige Passagiere. Die Prozedur bis man dann schliesslich aufs Schiff darf, rechtfertigt die Anwesenheit so vielen Staatspersonales. Ganz unwahrscheinlich, wie man hier durchsucht wird, der Einreisestempel, den ich auf der Polizei in Tabatinga bereits gestern gekriegt habe, war offensichtlich nur ein Vorspiel. Jetzt ist alles nicht mehr neckisch, sondern sehr seriös, da wird nicht gespasst, einer nach dem andern, auch Leibesvisitationen, das ist wie in den Vereinigten Staaten. Ob das die Grenze zu Kolumbien und Peru ist? Beide im Verdacht, Kokainlieferanten zu sein?


13:30, wir sind immer noch im Hafen, eben wird ein ganzer Haushalt aufgeladen. So habe ich Zeit zuzuschauen, wie das Nachbarschiff beladen wird. Ein Polizist mit Maschinengewehr schaut in jede einzelne leere Bierharrasse. Als ich mich beklage, meine Steckdose funktioniere nicht, kommt der Bordjunge mit dem Schraubenzieher, ein paar Handgriffe, alles ist aus Metall hier, und der Ventilator läuft wieder und so nehme ich an, dass es auch möglich sein wird, meinen Computer zu laden und Wasser zu erhitzen für den Kaffee, den ich vorsorglich mitgenommen habe.
Die Fähre gefällt mir eigentlich. Winzig zwar, ich hoffe, wir kommen nicht in schlechtes Wetter, das Frachtdeck unten und im ersten Stock die Hängematten und meine Kabine, mehr als 50 Leute haben kaum Platz auf dem Boot. Auch die Toilettenanlagen scheinen mir zivilisiert, WC-Schüssel mit Brille, ein Luxus hier, den man nur selten antrifft. Im obersten Deck dann – das gab es in den Peruanischen Lanchas nie – eine Bar mit Tischen und Stühlen und lauter Musik. Und auch Bier. Alkohol wurde in öffentlichen Verkehrsmitteln in Peru keiner verkauft, den musste man schon selber mitbringen. Im Schlafdeck sehe ich einen Fernseher, man will unterhalten sein, und auch ein Plakat mit Illustrationen von Fischen, die man nicht fangen darf und auch nicht kaufen und konsumieren soll. Bereits im Markt von Leticia war Schluss mit verbotenem Urwaldgetier. Das sei verboten hier und werde hart bestraft. Auch in den Restaurants ist nichts derartiges im Angebot, Peru scheint in Sachen Umweltschutz und überhaupt doch recht hinterher zu hinken.

14 Uhr, die Taue werden gerade gelöst, als vom Nachbarschiff her Rufe kommen und auf unseren Schiffsrumpf gedeutet wird. Ein Palaver geht los unter den Schiffsleuten, der Schiffsjunge, der meine Steckdose geflickt hat, gut gebaut ist er, stelle ich nun fest, steigt ins Wasser und schwimmt zum Schiffsheck. Weitere Bootsleute steigen in das Beiboot und schauen sich die Sache ebenfalls an. Was, weiss ich nicht, denn man sieht nicht zum Heck, und auch das Mädchen, das an der Bar arbeitet kann mir keine Auskunft geben. Ich stelle mir vor, dass sich die Pflanzenteppiche und das Schwemmholz in der Schiffsschraube verfangen haben könnten, denn nach den starken Regenfällen führt der Amazonas wahnsinnig viel Material mit sich. Eine kleineres Fährschiff will an die Anlegestelle und wird angeordnet unser Boot seitwärts zu schieben. Bereitwillig hilft man, bis von unserem Schiff her das Handzeichen kommt „genug“. Wieder steigen Männer ins Wasser und schauen sich die Sache an, langsam driftet das Schiff nun flussabwärts und dreht in Fahrtrichtung, ein kurzer Start der Motoren, doch der Chefmaschinist ist noch nicht zufrieden und deutet dem Kapitän nochmals die Motoren abzuschalten. Inzwischen ist es 3 Uhr geworden, wir driften nun in der Mitte des Amazonas flussabwärts, nochmals dauert es eine Weile und einige Tauchgänge bis der Kapitän die Motoren endgültig starten darf. Erschreckt stelle ich fest, dass diese viel lauter sind als bei den vorherigen Lanchas. Vielleicht auch, weil das Schiff einen Stock weniger hat und ich folglich näher an den Motoren hause. Der oberste Stock wäre vermutlich ruhiger, doch dort ist die Musik der Bar derartig laut aufgedreht, dass dies für meine Ohren auch keine Entspannung bringt. – Nach dem extrem ruhigen Leticia und dem Innenhof des Hotels Delphinos, in dem höchstens die Zikaden und Vögel manchmal lärmten, bin ich bereits wieder lärmempfindlicher geworden - eine schlechte Eigenschaft beim Reisen.
In meiner Kabine funktioniert die Steckdose schon nicht mehr, ein Wackelkontakt immer noch, ich binde den Stecker mit einer Schnur an die Decke, das hilft, keine Lust, die Mannschaft nochmals zu belästigen. Am Himmel sehe ich das Flugzeug Richtung Manaus fliegen und frage mich kurz, ob die Kanadierin, die ich auf dem Schnellboot kennen gelernt habe und die es bereute, bereits einen Flug nach Manaus gebucht zu haben, vielleicht nicht doch recht gehabt habe mit ihrem Entscheid.

Ich habe zusätzlich meine Hängematte aufgehängt, man will sich schliesslich nicht absondern, ich bin die einzige „Gringa“ auf dem Boot und habe erst noch das Handicap, dass ich mich im Portugiesisch wirklich unsicher fühle, doch wenn ich tapfer mitmache, dann kann ich bis Manaus bereits viel mehr. Deshalb widerstehe ich vorläufig der Versuchung, meine Hängematte vor den Kajüten aufzuhängen. Dort, direkt unter der Kapitänskanzel wäre nämlich der ruhigste Platz auf dem ganzen Schiff.

Nach einer knappen Stunde Fahrt halten wir bereits wieder, Benjamin Constant, zwei Passagiere steigen ein und nach ungefähr einer halben Stunde werden alle paar Minuten noch Säcke mit Lebensmitteln eingeladen, pressiert ist man nicht. Wahrscheinlich dient dieser Halt vor allem den fliegenden Händlern, die ihre Waren feilbieten. Bunte Decken, riesig, aus leichtem Fleece und so kitschig-bunt, dass sie mir bereits wieder gefallen. Made in China, versteht sich. Ich erinnere mich daran, dass es auf den Lanchas des nachts doch recht kühl wurde, vielleicht sogar in der Kabine, etwas zum Zudecken hat es nicht, doch Unterleintuch und Kissen sind sauber. Da meine Erkältung sich verstärkt hat, scheint mir mein Kauf gerechtfertigt. Feuerrot und Sonnengelb ist die Decke, Rosenmotive, ein wenig Grün und mittendrin ein rosaroter Schwan. Ich sehe, dass die Leute 10 Reals dafür bezahlen, knapp 6 Franken, das scheint mir korrekt, nun bin ich auch Besitzerin solch einer Decke. Gekauft wird wie verrückt, als ob sich alle erst jetzt daran erinnern würden, dass die Nächte auf dem Schiff kalt werden, auch ein Händler mit Filzstiften macht ein gutes Geschäft, selbst Scheren und Wattestäbchen bietet der an, das habe ich doch kürzlich in Iquitos lange gesucht.
Lebensmittel werden leider keine angeboten, heute hätte ich zugegriffen, das Mädchen an der Bar meinte nein, nichts zum essen habe sie, später dann. So esse ich geröstete Maiskerne aus meinem Notvorrat und hoffe, dass es am Abend doch noch etwas zu essen gibt. Das sollte eigentlich im Preis inbegriffen sein, doch eine Küche habe ich auf diesem Schiff bisher keine entdeckt. In Benjamin Constant hat auch eine moderne Lancha angelegt, Kabinen mit abgetrennten Balkonen und Klimaanlagen. Die Kanadierin hat mir doch von Luxus erzählt auf den Schiffen. Hier merke ich nicht viel davon.
Kurz nach dem Verlassen der Ortschaft verlangsamt das Schiff, legt nochmals an einem Floss mit Sand an, ich sehe wieder zwei der Schiffsjungen im Wasser, einer steigt auf das Floss und bindet ein Schiffstau kurz daran fest. Dann löst er es, springt ins Wasser und schwimmt zurück zu unserem Schiff. Nun fahren wir endgültig los. Eine kultische Handlung scheint mir das, keine Ahnung wozu sie dient.

Abendlicht gibt den bunten Häusern am Ufer eine warme Farbe, Kinder baden im Wasser, friedlich das Bild, die Schatten wachsen und lassen langsam die Dinge verschwimmen. Und doch nagt in mir ein leises Unbehagen, kein Küchengeruch, war ich wohl diesmal allzu unbesorgt, mich über gar nichts zu erkundigen? Ob Essen inbegriffen, Einzelbad zu der Kabine, was auch immer? Ich war zufrieden mit den 600 Reals, weil in meinem Reiseführer 700 standen, also war der Preis gut, den Rest würde ich schon noch herausfinden. Ich gehe auf das Bardeck hinauf und schaue dem Sonnenuntergang zu. Wie immer eine spektakuläre Angelegenheit, heute zum ersten Mal seit langem den ganzen Tagen kein Regentropfen, der Himmel verfärbt sich rot und gelb, wie Scherenschnitte die schwarzen Baumsilhouetten davor. Da kommt ein Angestellter des Schiffes zu mir. Ob ich essen wolle, gleich gäbe es Huhn. Ich bin erleichtert, ja, gerne, man sorgt sich doch immer viel zu früh. Wir sprechen eine Weile zusammen, irgendwie geht es, mindestens verstehe ich, dass zehn Schiffe zwischen Tabatinga und Manaus verkehren. Dieses hier sei das Kleinste – das habe ich mir doch bereits gedacht. Touristen habe es nicht sehr viele. Einmal zwei Deutsche, vier Franzosen, Engländer auch, aber nicht häufig, nein. Ich gehe mit ihm hinunter und esse eine dicke Suppe mit Teigwaren und ab und zu einem Stück Huhn. Man schüttet da farinha, eine Art Mehl hinein, das macht das ganze noch pampiger, und isst Weissbrot dazu. Der Geschmack ist nicht schlecht, Koriander scheint mir, doch selbst für mich recht viel Salz. Danach spüle ich die Mahlzeit mit einem Bier hinunter. Das Mädchen an der Bar ist hauptsächlich damit beschäftigt, an dem Rad in der Decke zu drehen, welches die Fernsehantenne bedient, jede Schiffsbewegung bringt den Apparat wieder durcheinander, der Sender muss neu gesucht werden. Nach einer Telenovela dann die Nachrichten. Weinende Leute, das kenne ich bereits von Peru, eine Mauer mit vielen Blumen und Schildern, Schüler, ich verstehe, dass einer in Rio einen Amoklauf gemacht haben muss. Stellen aus der Bibel habe er erwähnt, einen Bart habe er sich wachsen lassen und sei komisch geworden. Kein Muslim, ein Christ.

Der Schiffsangestellte erklärt mir, dass wir morgens um 3 Uhr das nächste Dorf anlaufen werden, das übernächste um 10 Uhr, erzählt er weiter, so zirka zehn Halte werden es sein bis Manaus, alle mit exaktem Ankunftsdatum, der Mann hat Vertrauen. Und am Montag, so gegen fünf Uhr, da seien wir in Manaus. - Da bin ich aber gespannt.

Der Mond hängt tief und träge über dem Wasser, viele Sterne, auch dieser merkwürdige helle Nebel, den ich von Sansibar her kenne, die Nacht ist sehr klar. Ab und zu streift ein Scheinwerfer des Schiffes suchend über Wasser und Ufer, das habe ich bei früheren Fahrten nicht bemerkt, doch damals waren die Nächte auch heller. Kurz nach halb zehn schliesst die Bar, das Mädchen räumt die Plastikstühle und Tische zusammen, Ordnung muss sein, doch immerhin lässt sie den zwei Schwarzen, die Karten spielen, ihren Tisch. Zwei Frauen und zwei Männer, die ich noch nie gesehen habe, kommen aus dem Kapitänsbereich und setzen sich hinten aufs Deck. Offensichtlich arbeitet und reist die Führung hier in Begleitung.