Mittwoch, 8. Juni 2011

Rio, 2. Juni






Gestern Abend bin ich doch noch zu etwas echter brasilianischer Musik gekommen, in einer winzigen Beiz, Samba, ein paar Gitarristen und eine Sängerin, wirklich echt, keine Verstärker, keine Show. Fast eine Spur zu stark spielen die Musiker einzig zu ihrer Freude, die Sängerin dreht dem kleinen Publikum auf dem Trottoir meistens den Rücken zu. Eine Quartierbewohnerin setzt sich zu mir und erzählt mir ihre Geschichte. Sie ist gebildet, Anthropologin, aus einer Familie von Intellektuellen und pflegt jetzt ihre 85ig jährige Mutter, die an Alzheimer erkrankt ist. Ich kann mich in sie hineinfühlen. Und nehme es deshalb in Kauf, dass sie meinen Musikgenuss etwas beeinträchtigt, sie braucht wohl eine Zuhörerin. Und verabschiedet sich dann fast allzu herzlich von mir.

Heute gehe ich noch in ein Kulturzentrum, das moderne Videoarbeiten zeigt. Das Gebäude ist innen topmodern, spannende Architektur, auch eine der Videoarbeiten beeindruckt mich sehr. Eine riesige Fläche mit roten, orangen oder gelben Quadraten verschiedener Grössen in einem Rastersystem angeordnet auf einem blauen oder grünen Grund. Die Flächen bewegen sich in Wellenform, sollen die Brandung von Rio nachahmen und reagieren erst noch auf die Bewegung des Betrachters. Eine eindrückliche Arbeit. - Auf der Strasse bin ich dann erstaunt, dass das Museum in einem alten kolonialen Gebäude untergebracht ist. Das hätte ich von innen nie erwartet, nichts liess auf solches schliessen. Was für ein Mut! Oder was für eine Frechheit!

Auf der Fahrt zum Flughafen erkenne ich ihn wieder. Diesen Brackwassergeruch. Auch Abwässer könnten es sein, das ist mir bereits in der Nacht als ich angekommen bin aufgefallen. Jetzt sehe ich auch weshalb, die riesige von Inseln übersäte Bucht in der am Rand Rio und gegenüber auch die Stadt Niteroi liegen, ist offensichtlich recht verseucht, obwohl teils Mangroven an den Ufern stehen. Man sei daran, das zu sanieren, meint der Taxichauffeur, früher sei es noch viel schlimmer gewesen mit dem Gestank. Der Name Rio de Janeiro kommt übrigens daher, dass der Entdecker (welcher, das weiss ich nicht mehr) gemeint hat, an einer Flussmündung gelandet zu sein.

Rio, 1. Juni







Viele Touristen kämen eben wegen Drogen und Sex, meint der Taxifahrer, der mich am Abend von Ipanema nach Hause fährt. Drogen und Sex, diese Leute, das sei nicht unbedingt der beste Umgang, meint der Chauffeur, da müsse man vorsichtig sein. Und ja, gefährlich sei Rio schon. Aber übertreiben dürfe man trotzdem nicht. Er arbeite seit 30 Jahren als Taxifahrer nachts und sei erst 3 Mal überfallen worden. Wenn man bedenke, in dieser Zeit. Und, oh ja, natürlich seien auch Frauen gefährliche Gäste. Gerade die. Nein, der Instinkt helfe da nicht immer, darauf könne man sich nicht verlassen.....

Calvin, das sei ein Schweizer, meint der Ehemann des netten jungen Pärchens, das mich gestern auf dem Zuckerstock angesprochen hat. Calvin, finde ich etwas erstaunt, normalerweise erwähnten die Leute immer Roger Federer, wenn ich, aus der Schweiz. Der Mann erklärt seiner Frau, dass der Federer ein Tennisstar sei und meint anschliessend, natürlich auch der Luther, als ich ihn darauf aufmerksam mache, dass ich aus der Deutschschweiz komme. - Ganz offensichtlich ein gläubiges Paar. Auch wenn sie nicht so aussehen.

Heute fahre ich auf den Corcovado, den 700m hohen Gipfel mit der Christusstatue. Ich mag Aussichten. Obwohl es im Reiseführer heisst, nur bei gutem Wetter sinnvoll. Am Morgen hat es diese dunstige Bewölkung, aber das war die vorderen Morgen ebenso. Winter eben, die Luftfeuchtigkeit. Als die Sonne etwas stärker hindurch drückt riskiere ich es. Oben wird der Himmel wohl frei sein. Mit der Zahnradbahn auf dem Gipfel angekommen stecken wir in dichtestem Nebel. Selbst den Kopf des Christus kann ich nicht mehr erkennen. – Nein, das bleibe bis Samstag so, meint der rundliche schwarze Kellner lachend, bei dem ich einen Kaffee bestelle, da müsse ich nicht warten. Das habe der Wetterbericht voraus gesagt. Ich denke an die Reisegruppen mit Japanern, die bei Regen auf das Jungfraujoch fahren. In Rio ist es eine Gruppe Inder. Auch Franzosen hat es viele. Und mich.

„Carpe Diem“ heisst es in Schreibmaschinenschrift im Genick der Frau vor mir im Bähnchen. Eine dunkelhaarige und weisshäutige extravagante Engländerin mit schwarzen Fingernägeln und vielen Tätowierungen. Ihr Partner scheint sehr verliebt in sie zu sein, das knistert nur so von Erotik. Auf ihrer Schulter der Kopf einer Schlange, ein Stück des Leibes sehe ich zwischen Shirt und Jeans. – Ganz allgemein sehe ich in Brasilien extrem viele Tattoos. Weil die Leute mehr Haut zeigen? Vielleicht auch. Doch gerade die Brasilianer sind übersät mit Sternchen und Blümchen und vielen Geschmacklosigkeiten. Frauen wie Männer. - Ich frage mich nun, ob dies ein Erbe der Indianer ist. Die liebten es ja auch, sich mit farbigen Zeichnungen zu schmücken.

Die Stadt Rio de Janeiro ist ein Netz von Siedlungen, das sich in die Täler und Schluchten zwischen den Felshügeln und dem Meeresstrand drängt. Die Favelas steigen teils weit empor. Nicht die schlechteste Wohnlage finde ich, da muss man ja wahnsinnige Ausblicke haben. Auch Hochhäuser werden teils in die Felsen gepflanzt. Das bedingt gewaltige Verbauungen. Zwischen die Hochhausschluchten – in Rio müssen schon seit anfangs des vorderen Jahrhunderts Hochhäuser gebaut worden sein, wie in New York, einzig in Europa hatte man damals nicht den Mut dazu – ducken sich die Kronen von Tropenbäumen und erheben sich stolz die Wipfel von Palmen. Erstaunlich grün ist es in diesen engen Strassenschluchten, auch Pflanzenbeete gefüllt mit Zimmerpflanzen – wären das bei uns.

40 bis 45 Grad sei es hier im Sommer, meint die Coiffeuse, bei der ich meine Haare schneiden lasse, und gerade in dieser Zeit habe es keinen Wind. Auch der Nachmittag bleibt düster, ähnlich einer Hochnebelsituation in der Schweiz. Allerdings ist es über den Gipfeln viel finsterer, hat dafür über dem Meer blaue Flecken im Himmel und die Inseln weiter draussen und die grossen Containerschiffe, die dort warten, leuchten unter dem Sonnenschein. - Angenehm sei es jetzt, meint die Coiffeuse. Obwohl, eigentlich zu kalt, so sei es selten. Waschen, schneiden und färben kosten genau 100 Reais, als ich auf ihre Frage, ob sie eine Pflegespülung ins Haar geben dürfe antworte, ja, wenn alles nicht mehr als 100 Reais koste, denn gerade soviel hätte ich bei mir. Da war ich etwas ungeschickt.

Rio, 31.Mai







Auf dem einen Fernseher läuft Fussball, auf dem anderen erst eine politische Sendung, News sind es nicht, das wäre viel blutiger, später dort ein Spielfilm. Ich sitze ungefähr in der Mitte zwischen den Geräten, der Ton von beiden, auf das Bild achte ich nicht. Der Kellner bringt mir den bestellten Caipirinha, ein grosses Glas, bereits der erste Schluck jagt mir einen Nebel ins Gehirn. Die Sorte von Caipirinhas mit schlechtem Geschmack, weil aus Fusel gemixt, doch extrem hochprozentig und mit viel Zucker. Das Essen, eine grosse Scheibe gebratene Rindsleber plus Frites, auf den Reis verzichte ich, kommt zum Glück rasch, Essen dämpft etwas ab, doch da ich diesen Hammer zwischendurch auch schätze, trinke ich das ganze Glas des Betäubungssaftes leer. Ich bin nicht allzu weit vom Hotel entfernt in einer typischen Beiz von Copacabana gelandet. Etwas herunter gekommen, viele ältere Leute, die zogen wohl mit der Entstehung der Hochhäuser vor rund 50 Jahren hierher, ein Mann mit tiefen Augenringen, der von einer üppigen, recht viel jüngeren Frau umschwänzelt wird. Drei Typen kommen nach mir herein, grimmige Gesichter, ich stelle mir vor, dass es wohl Gangsterbosse sind, die von den Favelas, die gerade über den bekannten Stränden liegen, herunter gekommen sind. Oder die zwei älteren Frauen, die begeistert dem jungen Sänger mit Gitarre zujubeln und im Takt wippen. Der Arme kämpft gegen die zwei Fernseher an. Einen Fanclub hat er wenigstens.

Am Morgen bin ich mit der alten Strassenbahn nach Santa Theresa hinauf gefahren. Ein antikes Tram, ein einziger offener Wagen mit Holzbänken. Die holprige Fahrt bringt mich in einer Stunde bis an die Endstation und zurück kosten nur ein paar Rappen. Das Tram rattert erst über eine Brücke, die wie ein römisches Aquädukt gebaut ist, zwei Reihen von Bogenfolgen übereinander, dann steil und kurvig die Hänge empor. Die Fahrbahn ist schmal, manchmal fährt das Tram rechts, manchmal links, denn die engen Kurven müssen irgendwie überwunden werden. Da die Strasse für den Verkehr nicht gesperrt ist - es hat zwar wenig, dafür auch noch kleine Busse - bedingt das ein beständiges Winken und sich wortstark Verständigen des Chauffeurs mit den übrigen Verkehrsteilnehmern. Doch alles klappt bestens, mit gewaltigem Quietschen schraubt sich das Ding in die Hügel. Eine atemberaubende Aussicht zwischen den alten, teils zerfallenen Villen mit Gärten hinunter auf die Stadt und das Meer. In den unteren Teilen des Stadtteils ist diese allerdings durch die modernen Hochhaustürme des Centro, des Geschäftszentrums versperrt.

Am Nachmittag dann der Pao de Açucar, der Zuckerstock, dessen Bezwingung gleichviel wie diejenige eines Schweizer Gipfels kostet und weit weniger gemütlich ist als das Tram, eher etwas beängstigend. Eine Schwebebahn, die sich erst über die Hochhaustürme erhebt und dann praktisch in die glatte gewölbte Felswand hinein zu fahren scheint. Dafür ist der Ausblick von oben wirklich gewaltig, ich bleibe bis weit nach dem Sonnenuntergang dort, obwohl der nicht allzu schöne Bilder liefert. Viel Dunst, die Küstenlandschaft versinkt darin und der Sonne gelingt es nicht, den Himmel zum Erröten zu bringen. Dafür wird es empfindlich kalt auf dem rund 370m hohen Gipfel.

Rio, 30.Mai






Ankunft in Rio, 21 Grad, mir kommt das kühl vor, das Taxi fährt lange Zeit praktisch durch die Finsternis. Eine Autobahn durch Industriequartiere, später sehe ich Hafenkräne, es riecht übel, dann das Centro, alles dunkel, kein Licht in den Bürotürmen, es ist Sonntag – auch kaum Licht in den Strassen, alles menschenleer, richtig unheimlich sieht das aus. Nun verstehe ich, weshalb teils schöne Hotels in alten Kolonialhäusern hier billig sind. Zu gefährlich im Zentrum zu wohnen, sagt man mir.

Copacabana sieht überhaupt nicht so aus, wie ich mir das vorgestellt habe. Das Youth Hostal CabanaCopa liegt in einer steilen engen Strasse, soll aber sicher sein. Ich gehe Richtung Strand hinunter essen, alles sieht hier sehr provinziell aus, die Beizen und Bars, die Leute auch, bereits wie sie gekleidet sind, Trainer häufig, das ist nun wohl das echte Brasilien. Urchige Gestalten, doch freundlich zu mir. Das Essen passt dazu: Fischfilet gebacken, Reis, Bohnen und Frites (das läuft unter Fisch mit Gemüse). Um 11 Uhr abends, im Hotel ist es ruhig geworden, höre ich ganz deutlich die Brandung vom Meer herauf. Und eine Polizeisirene. Sonst Stille.

Bei Tageslicht macht sich mein winziges Zimmerchen bereits besser aus, vor dem Fenster ein Pflanzengestrüpp, gleich hinter dem Gebäude beginnt offensichtlich der Atlantische Regenwald, der hier die steilen Hänge überzieht. Das Zimmer ist höher als breit, Teile des Gebäudes sind in einem alten Kolonialhaus untergebracht, ich richte mich im oberen Kajütenbett ein mit Blick direkt aus dem Fenster. Im winzigen Bad die grosse Überraschung, das Warmwasser ist heiss, da bin ich froh, habe ich doch die ganze Nacht etwas gefroren. Gerade vor meiner Türe ist ein bequemer Aufenthaltsraum mit Ledersofas und einer Landschaft aus Sitzkissen und riesigen Fenstern, die ebenfalls ins Grün des Waldes blicken. Doch die jungen Gäste, es hat zu jeder Zeit einige dort, blicken offensichtlich lieber in den Fernseher. Selbst spät nachts dringen die aufreibenden Melodien der Triller zu mir hinüber. - Doch eigentlich ist das weit besser als lauter Strassenlärm oder die dumpfen Bässe einer Disko. Und eben gerade habe ich mir mit einem Rohr noch einen Stock gebastelt, mit dem ich das Licht von meinem oberen Bett aus an- und ablöschen kann. Eine gewaltige Komfortsteigerung.
Am Morgen begrüsst mich auf der Mauer vor der Küche ein winziges Affchen mit weissen Ohrpinseln und einem gestreiften Schwanz. Es ist nicht grösser als bei uns ein Eichhörnchen. Und bewegt sich ebenso.

Mein Morgenspaziergang führt in die Bucht von Copacabana. Ein wütendes Meer empfängt mich, Gischt trübt die Luft, Wolkenschwaden hängen über der Küste, ein gedämpftes Sonnenlicht. Wenige Leute am Strand, keine Badenden, ein paar Surfer in den Wellen genau dort, wo es mir am gefährlichsten scheint, bei dem Felssporn, der die Bucht von Copacabana von derjenigen von Ipanema trennt. Der Sand hier ist weich, das Laufen anstrengend, bei Flut wird er kaum 50m schmäler, das Meer fällt steil ab. Riesige Wellen rollen an Land und überschlagen sich. Ich wandere die 4 km lange Copacabanabucht entlang, die von einem breiten Quai und Hochhäusern gesäumt wird. Hinter wenigen Hausreihen erheben sich bereits steile bewaldete Hänge oder Felsflächen, an einigen Stellen erklimmen die kleinen Häuser der Favelas die Steilhänge.
Danach die Ipanemabucht. Die soll jetzt mehr „in“ sein, heisst es, ich kann das nicht bestätigen, die Hochhäuser finde ich eher weniger interessant, weil jüngeren Datums und ohne ästhetische Ambitionen erstellt. Dafür werden hier im Sand Flächen abgetrennt und mit Küstenpflanzen renaturiert. Vom Strand her biege ich ab Richtung „Lagoa Rodrigo de Freitas“ und quere einen wunderschönen Lebensmittel-Strassenmarkt, so frisches Gemüse und so viele Früchte habe ich bisher in Brasilien noch nie gesehen. An der Lagune ändert die Landschaft gänzlich, das wilde Meer wird durch einen sanften, tatzelwurmartigen See ersetzt, der mich an den Luganersee erinnert. Die steilen Ufer, Felsflächen oft die Hänge, häufig mit Wäldern überwuchert. In einem dieser Wälder in einem Tal gerade unterhalb des Corcovados, des Hügels mit der Christusfigur, befindet sich der Botanische Garten. Er ist landschaftlich ausserordentlich schön, ein Teil davon natürlicher atlantischer Regenwald mit Baumriesen, Lianen und wenig Gebüsch, undurchdringlich, kaum Blumen, auch eine Horde Äffchen entdecke ich. Etwas grösser als Katzen sind sie, dunkelbraun, mit einem gerollten Greifschwanz und Ohren wie Bären, nur etwas kleiner. Daneben Bäche, Seen und Pflanzensammlungen. Alles in ein sanftes rötliches Herbstlicht gehüllt. Das fällt mir auf, der Sonnenstand. In Rio sind wir bereits wieder 2000km weiter südwärts, das spürt man jetzt in der Winterzeit. Bereits vor 4 Uhr versinkt die Sonne hinter einem der vielen Hügel, ich spaziere weiter, rings um die Lagune herum, auf der anderen Seite hat es noch Sonne, bis zur letzten Metrostation von Copacabana. Die Metro in Rio funktioniert gut und ist einfach zu begreifen. Eine einzige Linie hat es.
Trotzdem rät mir die deutsche Austauschstudentin Kate, nach 10 Uhr nachts ein Taxi zu nehmen. Ich besuche die Studenten, die ich auf einem Amazonasschiff kennen gelernt habe, in ihrer Wohnung in Ipanema und sehe so, wie die Leute in Brasilien wohnen. Die Besseren natürlich in diesem Quartier, es hat auch ein winziges Zimmer für die Angestellte, etwas das eine brasilianische Mittelklassfamilie offensichtlich immer noch hat.

Donnerstag, 2. Juni 2011

Pipa, 29. Mai





Hier erwache ich früh, die Sonne scheint bereits um halb sechs Uhr morgens durch die Lamellen der Fensterläden, wieder einmal ein Zeitwechsel, dafür ist es nun bereits um halb sechs Uhr abends finster. Mindestens wenn der Himmel bewölkt ist. Insgesamt der fünfte Zeitwechsel seit meiner Abreise aus der Schweiz, Fernando de Noronha war Europa eine Stunde näher und hatte für mich einen angenehmeren Tagsrhythmus mit späterem Sonnenuntergang. - Und ganz plötzlich, und eigentlich erstmals denke ich an die Schweiz und freue mich auf die langen Nächte dort im Juni auf meiner Dachterrasse. Schon bald ist es wieder soweit, die letzten Tage hier.

Ein paar Beobachtungen zu Brasilien. Charakteristisch hier scheinen mir grosse Styroporboxen, mit denen gekühlte Getränke praktisch überall hingeschleppt und verkauft werden, wo ein Tourist sich dies wünschen könnte. Man stelle sich vor: Zuoberst auf dem Matterhorn steht ein Mann mit einer Styroporbox und bietet dir ein kühles Bier an. Die zweite Auffälligkeit sind die Häubchen, die sich alle Leute, die etwas mit Essen zu tun haben über die Haare stülpen. Das habe ich so auffällig noch nirgendwo gesehen.

Eine weitere Besonderheit sind die luftgefüllten WC-Brillen. Über die Brille zieht sich eine robuste Plastikhaut - besonders hygienisch und einfach zu putzen scheint mir das ja nicht gerade - in der eine Polsterung oder mindestens Luft gespeichert ist. Letztere entweicht langsam und pfeifend aus der Brille wenn man sich darauf setzt. Sei dies ein Defekt oder so vorgesehen, das kann ich nicht mit Gewissheit sagen. – Weshalb diese Erfindung gerade in Brasilien derartig verbreitet ist, bleibt mir schleierhaft. Hier sind doch die meisten Hinterteile gut gepolstert.

Heute Abend esse ich in Pipa ein rotes indisches Curry. Gestern habe ich eine mexikanische Guacamole gegessen, auf Salat serviert, auch das war korrekt und vor zwei Tagen habe ich ein peruanisches Ceviche ausprobiert. Das war zwar gut gewürzt, aber leider ohne gekochte Süsskartoffeln und Maiskörner serviert und nicht mit Zwiebelringen und Algen dekoriert. Doch ich bin zufrieden mit der Küche in Pipa. Äusserst international. - Ein schlechtes Zeichen für die brasilianische Küche: Wenn immer möglich wähle ich ausländische Restaurants. Doch halt, am Eingang des Ortes hat es ein ausgezeichnetes Restaurant, in welchem man die Speisen von einem riesigen Buffet auswählt und dann nach Gewicht bezahlt. Solche Restaurants sind in Brasilien am Mittag eine gute Option. Das Buffet am Eingang von Pipa ist wirklich ausgezeichnet. Nur leider verdauen sich die Speisen bei mir schlecht. Obwohl die brasilianische Küche wenig Zwiebeln und Knoblauch verwendet.
Was hingegen diskriminierend ist in Brasilien, ist die Tatsache, dass viele Restaurants ihre Speisen für zwei Personen anbieten. Paare sind hier offensichtlich derartig symbiotisch, dass sie selbst auswärts, wo das ja nicht unbedingt notwendig wäre, immer dasselbe essen. – Unangenehm ist dies für allein Speisende. Viele Gerichte werden gar nicht für eine Person gekocht. Wenn doch, dann kostet das mehr als die Hälfte. - Vom Aufwand her gesehen ist das ja verständlich - aber trotzdem unangenehm.

Avenida Baia dos Golfinhos, Delphinbucht, wenn ich das recht übersetze - gesehen habe ich dort zwar noch keinen - der Catwalk von Pipa. Samstag Abend, ich setze mich in eine Bar hangseitig der Strasse mit ausgezeichnetem Blick auf das Geschehen. „Filme pela televisao“, Fernsehfilm nenne ich das - viel besser noch - das Treiben auf dieser Strasse. Flaniert wird, die meisten Leute sehe ich mehrmals vorbei ziehen. Manche sind sich selbst und damit echt und schön. Doch viele spielen irgend etwas im Wissen, das sie beobachtet werden.
Ein Paar spaziert vorüber, er den Arm um seine Frau oder Freundin gelegt, auf der anderen Seite seine Mutter, ganz offensichtlich, die sich bei ihm einhängt. Eine Szene, wie sie wohl nur in Brasilien möglich ist, häufig sehe ich Paare und nicht nur blutjunge, die vom Mammi des Partners begleitet werden. - Ihr Mütter in der Schweiz. Alle, die Mühe damit haben, ihre Söhnchen abzugeben. Brasilien wäre ein Paradies für euch. Hier müssen die Mütter ihre Söhne nie abgeben. Und die Frauen wohl ein Leben lang mit den Schwiegermüttern zurecht kommen.

Oder all diejenigen, die etwas linkisch, etwas schwach auf den Beinen sind. Viele hat es davon, obwohl es noch gar nicht so spät ist. Alkohol? Mir scheint da häufig mehr im Spiel. Auch das unsicher sich bewegende Pärchen neben mir an der Bar. Die Frau um die vierzig, der Typ ein älterer Crooner, wie die Franzosen sagen, lange gewellte graue Haare, ein weisses langärmliges Hemd und Jeans. Beide bewegen sich auffällig, die Frau rührt stundenlang in ihrem Espresso herum, ihr geschminkter Mund bleibt meist offen und wirkt etwas verkrampft. - Auch die vier Norweger in der Bar grölen zu der Musik. Doch bei ihnen ist der Fall klar: Alkohol.

Zur Feier des Tages, es ist mein letzter Abend vor Rio, genehmige ich mir Frites zum Caipirinha. Der Barkeeper hier scheint gleichzeitig der Koch zu sein, er stülpt sich sein Häubchen über und barmant nun in dieser Montur. Eine rechte Weile dauert es, bis die Frites knusprig sind. Sein Aussehen scheint ihn nicht im geringsten in Verlegenheit zu bringen, er trägt das Häubchen mit Stolz, wie ein Kapitän seine Uniform.

Die Brasilianer und ihr Aussehen. Bekannt sind sie dafür, das Volk zu sein, das prozentual am meisten Schönheitsoperationen machen lässt. Viele Brüste scheinen mir hier doch recht unnatürlich aufgeblasen. Bei den Mündern ist es schwieriger, der negroide Einfluss, da möchte ich nichts wetten. – Doch umgekehrt scheinen mir die Brasilianer auch das Volk zu sein, das am unbekümmertsten seine Hässlichkeit zur Schau stellt. Das ist schon erstaunlich. Und verwirrend. Heute Morgen sehe ich eine Frau, deren eines Bein vom Knie an gänzlich verkümmert ist, Kinderlähmung vermutlich, mit einem kurzen Minirock. Wenn ich daran denke, dass Valéries Schwester in Paris bis heute, sie wird nun etwa 45 Jahre alt sein, noch nie einen Mann an sich heran gelassen hat aus lauter Angst, dass der ihr lahmes Bein sehe. Diese Frau jedoch zieht weder einen langen Rock an noch Hosen, sondern zeigt ihr Bein. Das Verhältnis der Brasilianer zu ihrem Körper gibt mir Rätsel auf.

Ich will noch Fotografien der bunten Felsen machen. Eigentlich hätte ich die mit einem Aquarell festhalten sollen, schwarz-weiss ist das schwierig umzusetzen. Am Sonntag ist der Strand stärker belebt, eine Unmöglichkeit, nun Fotos einer einsamen Küste zu machen.
Weshalb will ich eine menschenleere Bucht? Für Brasilianer scheint es doch gerade das Wichtigste jedes Ausfluges zu sein, Fotos von Personen, im allgemeinen sich selber vor malerischer Kulisse, nach Hause zu bringen. Deshalb sind alle Fremdenführer, selbst Kellner, zusätzlich gute Fotografen, denn ein Teil ihrer Arbeit besteht darin, die Gäste zu fotografieren. Immer setzten die Fotografierten ein Lächeln auf und werfen sich in Pose wie Schauspieler. Ist das wohl ernst gemeint? – Auch die Chinesen lieben es, sich zu fotografieren und setzten dabei ein Lächeln auf - doch haben sie dieses undurchdringliche und wohl bedeutungslose Lächeln sowieso immer im Gesicht, weshalb das viel weniger penetrant wirkt.

Pipa, 27.Mai







Die Küstenlinie von Pipa ist keine liebliche. Purpur-ockerfarben-weiss gestreifte Steilhänge fallen zum Meer hinab, bunt und eindrücklich, am Strand unten schwarzrötliche Felsbrocken im hellen Sand, das scheint mir Vulkangestein, manchmal auch zusammen gebacken aus kleineren Steinen, wie schwarze Nagelfluh, häufig auch kantige dunkle Felsen im Wasser. Gefährliche Strömungen ebenfalls, der Partner der Hotelbesitzerin macht mich darauf aufmerksam, dass ich nicht überall schwimmen könne. Vieles sei nur für Surfer geeignet. Und wenn ich bei Ebbe am Strand entlang in die nächste Bucht spaziere, dann solle ich aufpassen, gerade jetzt nach den starken Regenfällen. Da rutsche immer wieder von diesem bröckeligen Gestein (ist es Sandstein? Bestimmt aus Roterdeböden entstanden) in die Bucht. – Eine wilde, von Wind und Wellen gepeitschte Küste. Seevögel habe ich bisher nicht viele gesehen, doch ankern noch mehr als ein dutzend Fischerboote vor dem Dorf, der Tourismus konnte hier also dieses Gewerbe nicht auslöschen. - Auch diese Küste entspricht damit wenig meinen Vorstellungen von einem türkisfarbenen, sanft sich kräuselnden Tropenmeer. Gibt es das in Brasilien überhaupt?

Der Ort Pipa schmiegt sich in die Hügel oberhalb der Felsabstürze, eine geschäftige holprig gepflasterte Hauptstrasse mit vielen Restaurants, Bars und Läden, die schöne und teure Sachen anbieten. In der Hochsaison sei Pipa kein Ort zum schlafen, lacht der Partner der Besitzerin. Auch diesmal habe ich nach langem Suchen das Hotel eines Europäers gewählt – ein Schweizer, wie es im Reiseführer steht - jetzt allerdings ist der weg und die brasilianische Frau führt die „Pousada Aconchego“ zusammen mit ihrem jugoslawischen Partner, der verschmitzt zu mir meint, er wohne hier seit 12 Jahren. Nein, keine grossen Verpflichtungen, das Leben sei schön.
Ich bewohne ein einfaches, aber geräumiges Häuschen mit Terrasse und Blick in den schön angelegten Garten. Und hier oben auf dem Hügel hat man mindestens letzte Nacht nichts gehört von dem lärmigen Barbetrieb in der Hauptgasse unten, einzig das Rauschen der Blätter im Wind. Gewählt habe ich diese Pension, weil Pipa weniger als Jericoacoara von Ausländern aufgebaut worden zu sein scheint. Hier habe ich Mühe, einen Wohnort zu finden, der mir gefällt. Brasilianer stehen eben auf klimatisierten Räumen mit Scheiben, selbst das Ökohotel, das ich anschauen gehe, ist klimatisiert und mit ökologisch ist wohl gemeint, dass die Häuschen in einem dichten Buschwald verteilt sind und aussen ein urchiges Aussehen haben. Durch mein Häuschen hingegen streicht der Wind, nicht einmal den Ventilator habe ich bisher eingeschaltet, letzte Nacht sogar meine warme Decke hervorgeholt, die mir auf den Schiffen im Amazonas bereits gute Dienste geleistet hat. Die habe ich auch die Nacht davor in Natal benutzt, es regnete stark, nach Fernando de Noronha kommt mir die Gegend hier kühl vor.

Die Busfahrt von Natal hierher hat ungefähr 2 Stunden gedauert, ein „Sammlerbus“, der Chauffeur hält überall, nicht nur an den Stationen wo „Halt obligatorisch“ steht, und auch längere Gespräche mit Freunden am Strassenrand, und ein Kaffeehalt bei einer Busstation liegen problemlos drin. Wir fahren durch eine Gegend mit Kokospalmen, Viehweiden - gepflegter als weiter nordwärts - und riesigen Feldern mit einem schilfartigen Gewächs. Ist das wohl eine Pflanze, die für den Biodiesel eingesetzt wird? - Unterwegs sehe ich Frauen, die von Hand in Bächen oder Waschhäuschen ihre Wäsche machen. Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist riesig.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Natal, 26.Mai




Natal überzeugt mich immer mehr. Weil ich zu spät lande, um noch einen Bus nach Pipa zu nehmen, übernachte ich nochmals in Ponte Negra. Die „Pousada do Alemao“ hat eine gute Beschreibung, mein Taxiführer findet sie selbst, wenn sie nun „Olho do tigre“ heisst und der deutsche Mann weg ist.

Das Hotelzimmer ist weniger als halb so teuer als dasjenige auf der Insel, viel grösser und auch gepflegter. Einzig die Aussicht ins Grün, etwas, das bei mir auch immer viel zählt, fehlt. Dafür hat mein Zimmer einen Arbeitstisch mit Stuhl und einen Schrank. Das Hotel ist hufeisenförmig in den Hang gebaut, um einen Garten mit mehrstämmigem Palmengebüsch und weiteren Pflanzen und einem Teichlein und einem Bächlein und in einer Ecke sogar noch der Sicht auf das Meer. Die brasilianische Exfrau, die es nun führt, spricht deutsch.
Sie meint, natürlich, auch am Abend könne ich an den Strand hinunter gehen. Was ich dann auch mache. Eigentlich ist der wunderschön. Eine mit dunklen und hellen und etwas rötlichen Pflastersteinen kunstvoll und modern gestaltete Quaipromendade mit Palmen, auch einige Schatten spendende Baumkronen. Dahinter eine zweispurige kaum befahrene Strasse. Anschliessend Restaurants und Läden und kleine Hotels. Alles vielleicht etwas allzu gemütlich und bieder, kein modernes Design, doch dafür echt. In der Bar „do Suiço“ bestelle ich einen Salatteller, den mir der schweizerisch aussehende Kellner rasch bringt. Das Essen ist erstaunlich gut und billig. Einzig der Caipirinha schmeckt mir nicht. Der Kellner stellt das fest und meint, dann müsse ich ihn auch nicht bezahlen. Und nein, er sei nicht der Schweizer, das sei sein Boss. Der lebe halb in Spanien und halb hier. Und habe an beiden Orten Restaurants und Hotels. Ein Zimmer hier würde übrigens nur 40 Reais kosten.

Die Besitzerin des Hotels meint, Fernando de Noronha. Das sei nun völlig überteuert. Vor 20 Jahren, da sei noch kaum jemand dort hinaus gegangen, da habe man bei den Einheimischen Zimmer fast gratis mieten können. Und nein, die Einheimischen, die seien nicht glücklich über die Entwicklung. Die fühlten sich hinaus gedrängt. Sie habe kürzlich eine Sendung im Fernsehen gesehen. Die dürften nun nichts mehr anbauen, nicht einmal mehr Gemüse, und keine Tiere mehr halten. Wegen dem Naturschutz, denn die Insel ist ja ein Schutzgebiet. Ich selber habe mich gefragt, weshalb denn dort überhaupt nichts angebaut wird, eigentlich müssten doch bei dem Klima Gemüse und Früchte gut gedeihen. Und nicht alles eingeflogen werden. Ich bin mir mit der Frau einig, dass das Schwachsinn ist. Sicherlich müssen die Ufer geschützt werden, denn dort sollen verschiedene seltene Schildkröten hausen. Doch die ganze Insel? - Und dafür die Touristen in einer Unmenge von Buggys durch die Gegend rattern lassen, bis zum entferntesten Strand dürfen die fahren. Das scheint mir ein schräges Verständnis von Ökologie.

Ein Nachtrag. Die Pousada „Olho do tigre“ bietet auch ein ausgezeichnetes Frühstück mit selbstgebackenem Vollkornbrot. Auch die drei Sorten Konfitüren aus Tropenfrüchten habe sie selber gemacht, meint die Besitzerin stolz. Ich gratuliere ihr zu dem ausgezeichneten Brot und stelle fest, dass die Brasilianer – also die übrigen Gäste – nicht davon probiert hätten. „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“, meint sie auf gut Deutsch.

Montag, 30. Mai 2011

Fernando de Noronha, 23.Mai











Halb elf Uhr nachts. Nachdem zwei Motorräder der Polizei Richtung Praia do Cachorro, der nächsten Bucht, gestartet sind, fährt nun auch noch ein Polizeiauto mit Blaulicht, bzw. Rotlicht los. Obwohl hier keine Kriminalität bekannt ist. Der Polizeiposten von Fernando de Noronha besitzt eben zwei Einsatzwagen und ein paar Motorräder und x Männer im Einsatz. Und genügend Geld für ein gratis Internet (auch wenn das nicht so ganz überall zufrieden stellend funktioniert) und einen gepflästerten Fussweg, der mehr oder weniger der Strasse folgt, hat man auch. - Hat es wohl eine Bedeutung, dass die Polizei in Brasilien nicht mit Blaulicht, sondern mit Rotlicht fährt?

Meine Nachbarn stellen als erstes, wenn sie erwachen ihren Fernseher ein. Brasilianer haben ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Fernseher. - Ob sie denn das Schiffswrack gesehen habe? fragt mein Zimmernachbar beim Frühstück seine Partnerin. Er habe nur Steine gesehen. Doch, da sei etwas gewesen, meint sie. Die beiden haben sich gestern von einem Motorboot an einem Seil durch den Hafen ziehen lassen, eine beliebte Touristenattraktion. Ich habe dem Treiben aus der Höhe, von meinem Aquarellierplatz aus zugesehen (es gab ein wütendes Bild, düstere Wolken, kräftiges Grün, harte Kontraste). Es erstaunt mich nicht wirklich, dass die Leute, die in einem unheimlichen Tempo durch den Hafens gezogen werden, wenig sehen. Mit dem starken Wellengang und den Regenfällen ist das Meer sowieso getrübt, viele Schwebestoffe. Gestern bin ich mit einer Gruppe über die - heisst es - zwei schönsten Buchten Brasiliens geschnorchelt. Allerdings waren wir immer soweit vom Boden entfernt, dass man die Sachen am Grund nur noch schemenhaft wahrnehmen konnte. Meistens war es sowieso Sand, und somit uninteressant. Ausser der Farbe des Wassers. Die ist dunkeltürkisintensifblau leuchtend.

Heute leiste ich mir zum Abschluss noch eine auf dem Feuer gebratene Fischscheibe am Strand. Am Morgen bin ich auf den Rat des Beizers hin um zehn Uhr dort schnorcheln gegangen. Flut, die schwarzen Felsen waren um diese Zeit vom Wasser bedeckt. Nur ein einzelner Mann mit Schnorchelbrille und Fischernetz ist auch in der Bucht. Er arbeitet mit dem etwas weiter aussen liegenden Fischerboot zusammen. Erst als sie gegangen sind, tauchen plötzlich ganze Schwärme von Fischen auf. Vor allem Blaue und Zebragestreifte. Auch ein paar unauffällige grössere Dinger, die wären den Fischern sicherlich willkommen gewesen. Über dem Sand gleich am Strand riesige Schwärme von sandfarbenen kleinen Fischen, die man erst kaum sieht. Doch das Glitzern und die Schatten, wenn sie sich bewegen! Auch ganze rötliche Wolken von winzigen Fischlarven hat es im Wasser. Viele von ihnen werden von der Brandung in den Sand gedrückt und sterben dort. Was für eine Verschwendung die Natur doch immer wieder macht!
Die Fischscheibe ist sehr gut, etwas versalzen, dafür aber der Reis völlig geschmacklos. Einige Körner fallen mir zu Boden. Sofort blitzen schillernde Eidechsen mit grossen, etwas hervorstehenden Augen um meine Füsse herum und fressen die Reiskörner. Immer mehr rücken heran - doch nicht alle mögen den Reis.

Gestern Abend spricht mich ein sturzbesoffener Mann auf der Strasse an. Ob ich auch Forrò tanzen komme fragt er. Er sei ein echter Einheimischer meint er, offensichtlich stolz darauf, etwas Besonderes zu sein. - Von den 3500 Einwohnern von Fernando de Noronha, seien gerade einmal 20% ursprüngliche Bewohner der Insel, erklärt mir der Kunstmaler in dem kleinen Atelier, das der Künstlervereinigung der Insel zur Verfügung gestellt wird. 30 Künstler gäbe es hier, die eingeschrieben seien, doch habe es auch noch andere. Er selber komme aus Recife, andere aus Natal. Bereits bei den Kellnern und den Angestellten auf dem Flughafen ist mir das aufgefallen. Die meisten Leute, die hier arbeiten, kommen aus einer dieser Städte.
Ich sei eben zur falschen Zeit gekommen, meint der Kunstmaler weiter. Jetzt sei das Wasser aufgewühlt und heftig. Eine Wechselzeit eben. Normalerweise sei entweder die dem Festland abgewandte oder die dem Festland zugewandte Seite der Insel ruhig. Das mag stimmen. Doch stelle ich nun auch noch auf meiner Brasilienkarte fest, dass um Noronha herum gar keine Korallenbänke eingezeichnet sind. Die Insel besteht aus schroffe Felsbrocken vulkanischen Ursprungs, die steil in den Ozean abfallen. Einige unspektakuläre, manchmal gelbe, krustenartigen Korallen kleben darauf. Auch eine kleine weisse Hirnkoralle sehe ich, das ist bereits das Spektakulärste. Den Tauchern werden vor allem vier Sorten Haifische angepriesen, alles ungefährliche. Doch trotzdem, der Nervenkitzel - auch beim gesunkenen Wrack. Die Gäste im Gästebuch meiner Senhora mindestens scheinen alle begeistert gewesen zu sein, wenn ich die Einträge lese. Ich schreibe auch einen. In Deutsch. Und schreibe nicht, dass ich von der Unterwasserwelt enttäuscht bin, dass mich einzig die Landschaft fasziniert. Und dass das, was mit der Tourismuswerbung transportiert wird, mir ein falsches Bild gab.

Im Flughafen von Fernando de Noronha läuft ein Video über die Insel - 25 Reais kostet der Kauf wird immer wieder eingeblendet – ich verfolge aufmerksam die Unterwasserszenen, die von Tauchern gemacht wurden. Schöne Fotos von Haien und Tintenfischen, doch auch hier am Boden Stein, Sand oder Algenbewuchs. Es gibt also definitiv kein Korallenriff.

Ich bin einen Tag früher abgereist als geplant. Nicht, dass mir die Insel nicht gefallen hätte. Eigentlich ist der Mix der Gäste ganz angenehm. Keine Snobs, denn Luxushotels gibt es hier nicht. Nur Pousadas, Pensionen. Häufig im Besitz von Einheimischen und das ist ja ebenfalls schön. Die Hotelzimmer kosten zwar hier ungefähr gleich viel wie an anderen Ortes Luxuriöseres, doch locken sie natürlich nicht dieselben Gäste an. Normale Brasilianer sind im Moment hier - zeitweilig auch Europäer und Amerikaner erzählt man mir, das komme auf die Saison an. Der einzige Unterschied zu anderen Stränden ist vielleicht, dass die Leute sich dezenter und bekleideter zeigen. Keine Bikinigäste ausserhalb der Strände, da ist man schon fast auffällig prüde für Brasilien, auch kaum Tangas, „fio dental“ genannt, übersetzt Zahnseide, wie dieses Kleidungsstück hier sprechenderweise genannt wird. Vielleicht ist ja bereits dies ein Indiz für die Gesellschaftsklasse. Die Besucher kommen hauptsächlich aus Sao Paulo oder Rio oder anderen südlichen Städten. Wo die Leute allgemein wohlhabender sind. Viele Honeymooner habe ich das Gefühl. Und die haben sowieso die Tendenz, alles toll zu finden. Auch einzelne ältere Gäste, welche die Insel wie ich zu Fuss erkunden. Fernando de Noronha hat landschaftlich einiges zu bieten mit dem charakteristischen penisförmigen Felsstock in der Mitte und den zwei nebeneinander liegenden gerundeten Inselchen mit Brustwarzen, die diskreterweise, aber unlogisch „dois irmaes“, also Schwestern heissen.
Ich könnte also nicht sagen, dass irgend etwas falsch sei an dem Ort. Er ist einfach die übertriebenen Preise nicht wirklich wert.

Samstag, 28. Mai 2011

Fernando de Noronha, 21.Mai











Die letzte Nacht habe ich in einer Hotelsuite in Natal verbracht. Mindestens 50 Quadratmeter gross, die Einrichtung nicht unbedingt nach meinem Geschmack, doch auch nicht schlecht, nach meinem Lieblingszimmer in der Pousada „Aqua“, war es sowieso schwierig. Bezahlt habe ich etwa 70 Franken, ich hätte wahrscheinlich auch noch etwas günstigeres gefunden, doch für die eine Nacht, heute Morgen ging es ja bereits weiter nach Fernando de Noronha, fand ich den Aufwand nicht wert. Eine Apartementanlage, viele Familien, die Suiten gruppieren sich um einen grossen Innenhof mit Schwimmbad und Pflanzen, das Fenster auf der gegenüber liegenden Seite hinter der grosszügigen Kochnische gibt den Blick frei über ein Grasstück, dahinter Hochhäuser von Natal, links noch ein Stück Meer. Das Frühstücksbuffet ist beachtlich. – Hier in Fernado de Noronha habe ich für 100 Franken ein kleines Zimmer in einer Poussada gefunden, kleiner Sitzplatz davor und Blick ins Grün. Eigentlich auch ganz sympathisch. Aber eben erstaunlich, der Abstieg. Doch die Besitzerin ist freundlich, der Raum ist auch recht liebevoll gestaltet, wenn auch winzig, auf die Grösse kommt es nämlich nicht an, ob ich einen Raum mag oder nicht. Ich erinnere mich an ein winziges Dachzimmer in China, das ich durchaus wundervoll fand, obwohl neben dem schmalen Bett und der kleinen Schreibfläche wirklich überhaupt nichts im Raum Platz hatte.

Natal war übrigens weniger hässlich, als ich das nach der Beschreibung im Reiseführer gedacht habe. Die Bucht von Ponte Negra ist von steil abfallenden Hängen gesäumt, auf denen kleinere Häuser und älteren Pousadas stehen. Häufig mit Blick auf das Meer. Erst oben auf dem Hügel schiessen jetzt Hochhäuser empor. Hoffentlich ist das geplant und bleibt so.
Auch diese Stadt wird von Sanddünen umrahmt. Hier sind sie mit hohem Buschland bewachsen und nicht mit Gras, einzig die Steilhänge zur Küste leuchten nackt und hell aus den dunklen Wäldern hervor.

Der Flug nach Fernado de Noronha dauert eine knappe Stunde, das Flugzeug ist nicht zur Hälfte gefüllt, doch die Preise sind trotzdem nicht gefallen, auf dieser Linie gibt es kaum Konkurrenz. Dafür werden wir von einer schönen Stewardess betreut. An eine spanische Adlige erinnert mich ihr Gesicht, lange Nase, grosse stolze Augen, ein etwas strenger Mund. Nebst Getränken erhält jeder Gast einen kleinen Plastiksack mit einer Portion Nüsschen, Käse, Crackern und Süssigkeiten.

Die Notration für Fernando de Noronha, sage ich mir, nachdem ich die Preise hier sehe. Selbst Kokosnusssaft, Kokospalmen stehen viele auf der Insel herum, kostet hier doppelt soviel wie auf dem Festland. Und die Händler wollen alle Kleingeld. Denn dies, so erklärt mir einer, das müssten sie auch extra bezahlen, denn die Bank verlange eine Gebühr dafür. Wie dem auch sei, ob sich die Preise wirklich rechtfertigen lassen durch die Transportwege, den Leuten hier geht es gut. Keine Slums und was mich vollends erstaunt, die Hauptstrasse, die der Länge nach über die Insel führt, ist geteert und in einem guten Zustand und wird von einem Trottoir gesäumt. Und wird selbst zwischen den Ortschaften von Strassenlampen beleuchtet, stelle ich fest, als ich heute Abend im Finsteren vom Hafen zurück in den Hauptort laufe. Welch ein Luxus! Bin ich doch praktisch die einzige, die hier zu Fuss herumgeht. Die Brasilianer mieten alle Strandbuggys, damit sie auch hier genügend motorisiert sind. Selbst wenn diese Insel mit Ökotourismus wirbt. Und es jede halbe Stunde einen Bus hat, der die 10km lange Strecke abfährt.
Bereits der gute Zustand der Strassen macht, dass ich mich überhaupt nicht auf einer Tropeninsel wähne. Doch auch die Küste hat für mich nichts Tropisches. Heute war ich zwar erst an der, dem Festland zugekehrten Seite. Von schroffen Felsen wird sie gesäumt, an denen die Brandung empor schiesst und zerstiebt. Das erinnert mich an die Bretagne. Zumal heute der Wind wirklich stürmisch ist, schwere Wolken, letzte Nacht soll ein gewaltiger Regenguss auf die Insel nieder gegangen sein, riesige Pfützen überall.

Kurz vor dem Sonnenuntergang, wechsle ich auf die Aussenseite der Insel. Hier zeigen sich abgerundete hohe Felsen, wie ich sie von Fotografien aus Thailand her kenne. Dicht mit Vegetation bewachsen, das entspricht schon eher meinem Bild einer tropischen Insel. Die Bucht ist aber gleichzeitig der Hafen, eine Mole hält die Brandung fern, sie eignet sich schlecht als Vordergrund für ein Foto vom Sonnenuntergang. Das ich dringend dem Erivando senden will. Dann ganz bestimmt, beim farbentrunkenen Versinken der Sonne im Meer, denke ich an ihn.