Mittwoch, 30. März 2011

St.Rita de Castilla, 26.März







Auch bei der Rückreise klappt nicht alles wie geplant. Als wir nach St.Rita de Castilla, einem grossen Dorf am Maranòn gelangen, fährt an diesem Tag keine Lancha. Zum Glück finde ich hier eine unerwartet hübsche Unterkunft, das Hospedaje „El Gran Diego“. Sauberes Bett mit Moskitonetz, Tisch und Stuhl, Sicht auf Grün. Im Garten ein Holzhäuschen mit den Badekabinen. Eine Wassertonne mit Schöpfeimer steht darin, so wie ich mir das von Indonesien her gewohnt bin.

St.Rita hat ein Problem: Der Betonweg entlang des Wassers reisst auf der Höhe des zentralen Fussballfeldes plötzlich ab, das Ufer ist unterspült, die Gemeindeverwaltung bereits abgesackt und im Fluss verschwunden, der Rio Huallaca reisst mit aller Wucht an den Ufern. Viele Wirbel, „Molinas“, tiefes, unruhiges Wasser schäumt braun vorbei. Da kann man nichts machen, immer wieder verlegen die Flüsse ihren Lauf. Das neue Dorfzentrum wurde gut eine viertel Stunde Fussweg ins Landesinnere verlegt. Dort steht jetzt die neue Präfektur und ein überdimensionierter Platz mit Blumenrabatten, alles noch kaum bewachsen, Betonbänke, Strassenlampen und wenige Bäume warten auf Leben. Doch im Moment konzentriert sich das immer noch auf das alte Zentrum am Fluss.

St.Rita de Castilla ist ein stilles Dorf. Ein Motorrad, ein dreirädriges Mototaxi, mehr braucht es nicht, so ausgedehnt sind die schmalen Betonbahnen, die hier als Strassen dienen, auch wieder nicht. Strom hat es vom Eindunkeln bis 11Uhr nachts, die Leute versammeln sich vor den paar Fernsehern, bald kennt man uns drei, eine friedliche Zeit. Ich versöhne mich wieder mit Antonio, böse ist er ja nicht, nur chaotisch, spricht viel, verspricht viel und versucht seine Unsicherheit damit zu überdecken.

Alles in allem denke ich, dass eine Exkursion ohne professionellen Veranstalter zwar nur rund einen Drittel oder weniger kostet, dafür aber auch ungleich viel anstrengender ist. Mehr Tiere sieht man dabei sicherlich nicht, die Möglichkeit mit besserem Material weiter in den Urwald einzudringen und mehr zu sehen scheint mir logisch. Dafür habe ich aber vieles über die Bevölkerung hier erfahren, ihre Art zu leben kennen gelernt. Was für verwöhnte Wesen sind wir doch!
Und viele interessante Gespräche geführt. Walter, Antonios Schwiegersohn entpuppt sich als sehr intelligenter und belesener Mensch. Trotz Sprachschwierigkeiten sprechen wir über Gott und die Welt. Über Politik und Religion, Evolutionstheorie und Kreativismus, über die „Senderos Luminosos“ und die „Tupak Amarus“, Terrortruppen, die noch immer im höheren Urwaldgebiet überlebten. Drogenbarone, die ihrer Arbeit ohne die Kontrolle des Staates nachgehen wollten. Die frustrierte Jugend dort - die Gegend sei arm, vom Staate vernachlässigt - unter dem Deckmantel des Kommunismus aufwiegle. Walter schreibt für sein Pharmaziestudium eine Arbeit über einheimische Pflanzen, denen eine positive Wirkung nachgesagt wird gegen Aids. Versucht, ihre Wirkung bei Personen nachzuweisen und ihre chemische Zusammensetzung im Labor heraus zu finden. Und betätigt sich daneben in einer Studentengruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die vielen Jugendlichen in den Armenquartieren von Iquitos, unten am Wasser in Belem, besser aufzuklären. Weit verbreitet sei Aids hier, meint er. Viele Homosexuelle, Prostituierte auch, manche Touristen kämen ihretwegen in die Stadt. Und ja, Kokain sei sicherlich auch ein Grund.
Walter erinnert mich an mich selber, als ich noch jung war, soviel Engagement, so viele Illusionen. Daneben schreibt er auch, möchte ein Buch heraus geben, und zeichnet. Landschaften vor allem, die habe er früher gut an Touristen verkauft. Doch aus der Erinnerung, nicht wie ich. - Ich versuche das darauf ebenfalls und bin erstaunt, das Resultat ist gar nicht so schlecht, eine Flusslandschaft, chinesisch angehaucht. Viele Bilder sind bereits in meinem Hirn eingespeichert, eigentlich müsste es ohne die Realität gehen.

Nach der Rückkehr aus dem Urwald verabschiede ich mich von meinen beiden Führern. Das schmerzt etwas. Fünf Tage im Urwald, man wächst zu einer Familie zusammen. Immer wieder beim Reisen gibt es solche Momente, Trennungen, man fühlt sich verlassen. Und macht schnell wieder neue Bekanntschaften. Oder trifft alte Bekannte wieder. - Ich treffe vor meinem Hotel die junge Frau aus Israel, die ich bereits von einer früheren Fahrt her kenne. Sie muss einen furchtbaren Unfall gehabt haben, ein Terroranschlag vielleicht, Ihr ganzes Gesicht ist mit Brandwunden bedeckt, der Hals ebenfalls, sicherlich war sie einmal eine sehr schöne Frau. Und hat ein unbefangenes Verhalten ihrer Verunstaltung gegenüber, die ich selber nur mit Mühe übersehen kann. Sie habe hier in Iquitos einen Schamanen aufgesucht, einen Heiler, mit Kundschaft aus der ganzen Welt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen