Sonntag, 6. März 2011



Lima, den 4. März 2011

„No usar en caso de sismo o incendo“ lese ich unten am Lift angeschrieben. „Zona secura en caso de sismo“ steht an einer Betonstütze. „Ruta de escape en caso de sismo“ wiederum an verschiedenen Orten in der Stadt und unten am Meer. Dort aber auch noch „Ruta de escape en caso de tsunami“, obwohl es einen Tsunami hier noch nie gegeben hat (und man den Weg gar nicht finden würde, ich mindestens habe keine Ahnung was damit gemeint ist). Also doch, Erdbebengefahr, das habe ich mir ja gedacht, von der Lage der Stadt her ist das logisch. Die Betonstütze, die etwas unorganisiert in einem Winkel meines Hotelzimmers frei steht beruhigt mich aber, man hat offensichtlich danach gebaut, das Gebäude ist nicht alt. In dieser Gegend werden allgemein alte niedrige Gebäude ersetzt durch neue und höhere. Dass unten vor meinem Fenster auch Baustellen sind, das habe ich bereits gestern Nacht bemerkt. Nur war ich da zuversichtlich, die sehen ganz so aus, wie wenn sie nur ab und zu in Betrieb sein würden, dann, wenn Geld vorhanden ist um weiter zu machen. Heute Morgen gab es deshalb auch keinen Baulärm, einzig ein Pekinese, der auf ein Dach kam hat mich wütend angebellt hat. Wieder ein Gebrüll, ich nehme an, dass es in der Nähe eine Schule hat und dort gerade Pause ist, ein Ausrufer bietet irgendetwas an, die Peruaner sind alles andere als ruhige Leute, das stellte ich bereits gestern Abend fest. Ich wollte Ruhe. Und schlief dann trotzdem sofort ein. Klar, das ist immer etwas, woran man sich gewöhnen muss. Auch die Chinesen schienen mir lärmig und die Afrikaner palavern laut und lachen, wir Schweizer sind da eben schon sehr empfindlich. Gehupe, Autolärm, das ebenfalls und alles hört man hier besser, denn die Fenster stehen in warmen Ländern offen.
Obwohl das erste, was ich heute Morgen gehört habe, Vogelgezwitscher war. Ich bin um sechs Uhr nach sechs Stunden Schlaf wieder aufgewacht, wollte eigentlich liegen bleiben, doch es war bereits hell und ich spürte, dass weiter liegen nichts bringen würde. So erkundete ich mein Zimmer. Sehr weite Sicht über niedrige Häuser bis an einen weit entfernten kahlen Hügel, Favelas ziehen sich daran empor, sehe ich mit dem Feldstecher, bunt bemalte kleine Häuschen kleben an den steilen, ausgetrockneten braunen Hängen.

Ich solle das Fenster besser schliessen, meint der Taxichauffeur gestern Abend. Wegen der Diebe. Das Quartier um den Flughafen herum sei nicht sicher. Der Hafen eben auch, immer bei Häfen sei es gefährlich, meint er. Mein Quartier, der Barranco, das sei kein Problem. Touristisch, viel Polizei, keine Kriminalität, da sei ich sicher. In einer gut 1-stündigen Fahrt erreichen wir das Hotel. Der Chauffeur behauptet, er kenne das. Und beginnt dann sofort herum zu fragen durchs offene Wagenfenster, wo denn diese Strasse sei, sobald wir in das Quartier gelangen. Ich glaube ihm natürlich nun nicht mehr, dass er das Hotel kennt, soviel Spanisch verstehe ich auch noch, und meine zu ihm, einen Stadtplan, das brauche es nicht hier, genügend Auskunftgeber am Strassenrand. Wir finden dann das Hotel auch ohne Umweg. Entlang der Schnellstrasse am Meer, hat es viele Parkplätze, auch oft parkierte Autos im Finsteren, Liebespärchen nehme ich an. So gefährlich kann das Leben hier also doch nicht sein.

Auf meinem ersten Spaziergang verlaufe ich mich fürchterlich. Das ist merkwürdig, eigentlich habe ich einen sehr guten Orientierungssinn. Und stelle dann erst spät fest weshalb: Die Sonne steht hier im Norden. Daran hätte ich doch denken müssen, gestern im Flugzeug ist mir ja aufgefallen, dass die Sonne irgendeinmal am Nachmittag nicht mehr von Süden, sondern von Norden direkt zu meinem Fenster herein geschienen hat. Wir hatten den Äquator überquert. Das ändert alles, wenn man sich zu orientieren versucht. Statt nach Süden, bin ich der Strasse Richtung Norden gefolgt. Der richtigen mindestens und so war der Fehler dann recht gut auszubügeln. - Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie es für mich am Anfang in Sansibar war, dort steht die Sonne ja entweder im Norden oder dann praktisch direkt über einem am Mittag. Nur hat die verwinkelte Stone Town wohl noch ganz andere Orientierungsprobleme geboten, das fiel gar nicht mehr ins Gewicht.

Als ich vom Strand wieder in die Stadt hinauf komme, esse ich unterwegs auf einer Restaurantterrasse Cevice. Wunderbar, frischer roher Fisch in Chilipfeffer und Limettensaft mariniert und mit frischem Koriander gewürzt, dazu viele rohe Zwiebeln, Maiskörner, andere geröstete Körner und ein oranges Wurzelgemüse, es könnten Süsskartoffeln sein. Und natürlich ganz bestimmt etwas, zu dem einem in einem Reiseführer am Tag nach der Ankunft in einem fremden Land dringend abgeraten würde. Ich selber sorge mich einzig etwas über die rohen Zwiebelringe. Das war einfach zu gut, da konnte ich nicht widerstehen.

Disco ist hier immer und überall. Ich bin am Nachmittag zurück ins Hotel gekommen, ich möchte mich noch etwas ausruhen, den fehlenden Schlaf mit einer langen Siesta ausgleichen. Doch neben Gehupe und lauter Musik aus irgend einem Fenster, auch laute Stimmen, jemand singt mit der Musik mit, ein Gehämmer nun doch, alles ist für mich momentan etwas gedämpft, ich bin bereits in das berauschte Dasein meiner Tropenstimmung abgerückt, die Realität verschwimmt.

Übrigens: Das Cevice mit den vielen Zwiebeln hat sich erstaunlich gut verdaut. Ob dies an der Art der Zwiebeln, an ihrer Zubereitung oder nur daran liegt, dass die Anspannung der letzten Tage vor der Reise von mir abgefallen ist? Am Abend esse ich auf alle Fälle noch einen riesigen Teller

chinesischen gebratenen Reis, viel Poulet und eine Unmenge knackig gekochte Broccoli, Krautstiele und Kefen. Die Portionen hier sind mehr als grosszügig. Ich kämpfe mich mit bestem Willen nie ganz durch. Kein Wunder, dass die meisten Leute doch etwas beleibt sind. Gedrungen und muskulös übrigens auch, ich gehöre hier zu den grossen Frauen. Das habe ich nicht erwartet.
Und wurde bereits mehrmals für eine Asiatin gehalten. Chinesin, Koreanerin? Dem Portier im Hotel sage ich halb. Man muss ja nicht immer ganz bei der Wahrheit bleiben, denn ich nehme das als ein Kompliment. Auch ich frage mich hier häufig, ob es sich um Asiaten handelt. Es soll ja recht viele Chinesen hier geben. Auch das Restaurant eben, das zwar gar nicht so aussah, ich stellte das erst bei der Speisekarte fest. Die ich schlecht verstand, weshalb ich Pollo wählte, kein Ort wo Ausländer hinzugehen scheinen. Chinesen also - oder vielleicht häufig auch nur die Ähnlichkeit, die Indios mit Asiaten haben. In ferner Vergangenheit sind sie ja von dort eingewandert.

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