Donnerstag, 17. März 2011

auf dem Schiff, 14.März






Eine Lancha ist ein 3-stöckiges Lastschiff, das auf den Flüssen des Amazonas verkehrt. Im untersten Stockwerk die Lasten, im zweiten und dritten Stock die Hängematten mit den Passagieren. Auch Geschichten reisen da mit, denn man hat Zeit, viel Zeit. Langsam streichen die üppig bewachsenen Ufer vorüber, am Anfang kaum Siedlungen, je weiter flussabwärts wir fahren, desto häufiger tauchen Dörfer aus dem Grün auf und desto grösser werden sie. Indianerdörfer, Plattformen auf Stelzen, darüber Bretterverschläge, die im allgemeinen nur einen kleinen Teil der mit Palmblättern überdeckten Fläche einnehmen. Nahe der Anlegestelle ein buntes gemauertes Haus, die Dorfschule. - Doch meistens legen wir gar nicht an, die Lancha verlangsamt, und ein Beiboot bringt Passagiere an Land oder holt Waren, meistens Bananen, auch Kartoffeln sehe ich, Wild aus dem Urwald für die Feinschmeckerlokale in Iquitos, wird mir berichtet, sicherlich auch gefährdete Tiere, die Kühe, die vorne auf der Ladefläche in einem Korral herumstehen, sind zwar nicht gefährdet, aber brandmager und – scheint es – ebenfalls zum Essen bestimmt. Ich habe während der 2-tägigen Reise nie gesehen, dass sie gefüttert oder getränkt worden wären. Doch die Tiere nehmen ihr Schicksal äusserst stoisch.

Wenige Wildtiere am Ufer bisher. Immer wieder weisse Reiher, das scheinen weltweit erfolgreiche Tiere zu sein, manchmal kreist ein Raubvogel über uns, andere Vögel sehe ich kaum.

Die Abreise war gestern auf 12 Uhr mittags angesetzt. Bis wir dann tatsächlich abgefahren sind und die Waren von 10 Lastwagen durch Träger auf dem Boot verstaut worden waren, wurde es 3 Uhr nachmittags. Der Agent, der mich zum Schiff gebracht hat, hat mir geholfen, meine Hängematte korrekt aufzuhängen. Ich bin nicht sicher, ob ich das alleine geschafft hätte. - Zum Glück gibt es immer sehr freundliche und hilfsbereite Leute. Eine Hängemattennachbarin, immer gut geschminkt und zurechtgemacht, ruft mir jedes Mal, wenn die Glocke zum essen erklingt. Ich müsse mir jetzt mein Essen holen gehen. Und leiht mir auch gleich ein Essgefäss aus. Womit man dann einen Stock tiefer geht und in der Reihe ansteht fürs Essen, das von zwei ziemlich koketten und ziemlich schwulen Köchen geschöpft wird. Eine andere Frau leiht mir ihre Gabel aus, nachdem mein Plastiklöffel aus dem Flugzeug seinen Dienst aufgegeben hat, eine andere streckt mir ihr Abwaschmittel hin als sie sieht, dass ich den Teller nur mit Wasser spüle.

Apropos Wasser. Das Wasser in der Toilette ist braun, als ich erstmals dorthin gehe, denke ich, dass da wohl jemand zu spülen vergessen hat. Und spüle, was aber nichts verändert. Ich merke nun, dass das Wasser offensichtlich aus dem Fluss geschöpft wird und der ist eben von Erde rotbraun. Auch das Duschwasser ist so und das Wasser, mit dem ich die Zähne putze ebenfalls. Bisher habe ich damit keine Probleme gehabt, trinken tue ich es nicht. Und einen riesigen Vorteil hat das. Ich denke, mit der Fahrt des Schiffes werden die Tanks dauernd aufgefüllt, so dass das Wasser nie ausgeht. Überhaupt ist auch jetzt am zweiten Tag das Schiff noch erstaunlich sauber, die Toiletten wurden am Morgen geputzt, ich bin eine der ersten, die um sechs Uhr aufwacht und sie benutzt. Ganz allgemein ist die Fahrt auf dem Schiff viel zivilisierter, als ich mir das vorgestellt habe. Es hat sogar Steckdosen, ich kann mein Natel aufladen und in der Nacht hat es Licht und einen Raum, mit einem grossen Tisch, wo man sich hinsetzen kann, wenn man nicht schlafen will.
Hier sitze ich jetzt gerade. Neben mir 7 Schwarze, grosse Typen, auffällig gekleidet, sie wechseln ihre Kleidung mehrmals, sie erinnern mich an Drogendealer in Bern. So bin ich dann sehr erstaunt, als mich andere Hängemattennachbarn fragen, was die Schwarzen, ein Grüppchen, das unter sich bleibt, denn für eine Sprache sprächen. Das seien Leute vom Drogenbekämpfungsdienst. Schwarze scheinen also auf beiden Seiten zu arbeiten. Einer von ihnen erzählt mir, er sei Franzose, und verstummt dann, als ich ihm sage, auf dem Schiff habe es noch andere Franzosen. In den Ferien, frage ich? Er meint knapp ja. Was ich ihm natürlich nicht abnehme. Trotzdem bin ich nun etwas weniger misstrauisch. Und bewache mein Gepäck weniger ängstlich, wenn sie sich in meiner Gegend herumtummeln. Obwohl: Stimmt diese Geschichte? Ich höre wie ein anderer Schwarzer einem Franzosen sagt, er sei aus Haiti. Französisch und Kreolisch spreche er. Doch als Tourist hier? Das glaube ich nicht. Die Frau, die auch mitreist, eine pfeilförmige Frau, hat riesige Brüste und einen breiten Oberkörper, bereits wesentlich schmaleren Hüften und schliesslich durchaus schlanke Unterschenkeln und Fesseln. In ihr sehe ich jetzt eine Polizeikommissarin, ihr forschender distanzierter Blick erinnert mich an Fernsehserien. Ich male mir gerne Geschichten aus, ich habe viel Zeit.

Doch, natürlich werde immer noch Coca angepflanzt, meinen Mitpassagiere, aber von 60% der Produktion sei das auf 20% gesunken. Kaffeeanbau und Kakao würden nun gefördert. Transportiert auf dem Fluss werden im Moment aber Bananen, manchmal auch Brennholzbündel.

Das mit der „Rassentrennung“ zwischen den Gästen des zweiten und des dritten Stockes, das in Internetforen diskutiert wird, scheint mir eine Legende. Ebenso, wie die Behauptung, dass es wenig schicklich sei, eine Kabine zu mieten. Die Passagiere bewegen sich, mischen sich, ein Kabinenbesitzer lädt bereitwillig mein Natel auf, die Leute sind neugierig, viel wird gesprochen, lange Gespräche ermüden mich aber. Häufig merken meine Gegenüber nicht, dass ich ihren Dialogen in Spanisch nur mit Anstrengung folgen kann. Von vielen weiss ich nun, woher sie kommen und wohin und weshalb sie unterwegs sind. Auch Geschichten von den Gefahren des Urwaldes werden mir erzählt, davon, dass die Pirranhas immer in der Mitte der Flüsse seien, nicht am Ufer, wenn man dort hineinfalle, sei man in Kürze bis auf die Knochen abgenagt. Auch riesige Schlangen habe es im Wasser. Dies ausgerechnet von einem Herrn aus Lima, der geschäftehalber ein paar Tage nach Iquitos geht.
Zurück zu den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Klassen auf dem Boot. Die oberste und teuerste hat den Vorteil, eindeutig die ruhigste zu sein, der Lärm des Schiffsmotores ist hier auf ein erträgliches Mass abgesunken und Familien mit kleinen Kindern reisen im allgemeinen im billigeren Teil, was den Lärmpegel zusätzlich herabsetzt.

Am Sonntag, kaum auf dem Schiff angelangt, haben viele Leute bereits die Gelegenheit genutzt und eine Dusche genommen, ein Duschkopf befindet sich in jeder, der drei WC-Kabinen unseres Stockwerkes. Eine rudimentäre Kammer, wohin mit den Kleidern? Doch die einheimischen Passagiere scheinen damit kein Problem zu haben, immer wieder erscheint jemand geduscht und duftend, mit nassen Haaren frisch eingekleidet. Ich überwinde mich erst heute Mittag, als ich von der Hitze starkes Kopfweh habe, zu einer erfrischenden Dusche. Die tut gut.

Verhungern tut man nicht auf einer Lancha. Das Essen der Köche ist zwar nicht genial, doch essbar, und bei jedem Stopp an Land kommen Frauen und Kinder herein und verkaufen Früchte, gebratenen Fisch und gewürzten Reis mit einem Fleischstückchen darin, gegart in einem Bananenblatt, wunderbar finde ich, man isst mehr als notwendig, die Zeit ist lang.

Auf diesen Schiffen ist es tagsüber wahnsinnig heiss, obwohl die Dächer Schatten spenden. Zum Glück kann man nach vorne gehen und auf das Gehege mit den Kühen hinunterschauen - ein junger Stier ist trotz der widrigen Umständen äussert giggerig und besteigt immer wieder Kühe. Zur allgemeinen Erheiterung, passieren tut ja sonst nicht viel - und sich dort dem kühlenden Fahrtwind aussetzen. Wenn das Schiff nicht gerade hält und Waren ein- und ausgeladen werden. Der Fahrtwind jedoch dörrt einen selbst in den feuchten Tropen aus, das habe ich mir nicht vorgestellt. Und erst recht nicht, dass es in der Nacht ganz empfindlich kalt werden könnte, mehrmals stehe ich auf, bis ich am Schluss meine ganze Winterkleidung aus dem Koffer hervorgeklaubt und angezogen habe. Meine hauchdünne und super leichte Hängematte schützt viel schlechter gegen die Kälte als die schweren Hängematten der Einheimischen. Die ziehen sich zum „in die Hängematte gehen“ aus und hüllen sich in dicke Decken. So gut ausgerüstet bin ich natürlich nicht.

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