Montag, 28. März 2011

Iquitos, 15. März






Wenn man auf Reisen ist, passiert vieles an einem einzigen Tag. Der heutige scheint mir besonders lang, obwohl es erst drei Uhr nachmittags ist, als ich von der winzigen Cevicheria, einem Ort, wo dieses rohe Fischgericht serviert wird, zum Hotel zurückkehre. Die Leute liegen oder sitzen dösend und ermattet irgendwo im Schatten, die Stadt ist ruhig geworden. Am Morgen, als ich ins Zentrum gelaufen bin, lagen nur wenige Leute herum. Es waren zerlumpte und übel riechende Obdachlose. Die von der Bevölkerung nicht weiter beachtet werden.


Mein Tag hat jedoch bereits viel früher begonnen, als mich meine Nachbarn auf dem Schiff mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf geweckt haben. Ich müsse mich beeilen, gleich seien wir in Nauta. Schlaftrunken hole ich meine Hängematte herunter und versuche so gut es geht meine Sachen zu verstauen. Am Quai von Nauta wartet dann auch bereits mein Guide, Antonio Tapulima, kein Problem sich zu erkennen, ich bin die einzige Touristin, die hier aussteigt. Mit dem Motorradtaxi geht es dann auch gleich zu den Collectivos, den grösseren Fahrzeugen, die nach Iquitos fahren. - Doch halt, ich wollte doch gerade eben nicht nach Iquitos, deshalb bin ich bereits in Nauta ausgestiegen. Der Antonio redet um den Brei herum, das Gepäck sei bereit für die Expedition, doch noch in Iquitos, er müsse das zuerst holen gehen. Weshalb? gerade diesen Umweg habe ich doch vermeiden wollen mit meinem Stopp in Nauta. Ausflüchte, das gehe eben nicht, ich müsse zuerst noch eine Bewilligung holen in Iquitos. Ich merke, dass etwas faul ist und entscheide mich schliesslich, eben doch mit nach Iquitos zu fahren und nicht in Nauta, einem kleinen Kaff, in dem es kaum passable Hostals hat, einen Tag auf ihn zu warten. Ich wünsche mir eine warme Dusche. Nach zwei Stunden holpriger Fahrt durch die Nacht erreichen wir Iquitos. Antonio meint, ich solle gleich zu ihm nach Hause kommen, er habe ein grosses Haus. - Ich habe nur eine schlechte Laune. Da wäre ich besser gar nicht aus der Lancha ausgestiegen und am Morgen ausgeschlafen im Hafen von Iquitos angekommen. Antonio spricht viel - ich habe wenig Lust dazu - stellt mir seine Frau vor, auch zwei Kinder schlafen im Hauptraum am Boden als wir ankommen. Mir wird das Elternschlafzimmer offeriert, eigentlich wahnsinnig grosszügig, doch ich kann trotzdem nicht so recht dankbar sein, das ganze ist ja so unnötig.
Das Elternschlafzimmer ist ein Bretterverschlag, offene Gestelle mit sorgfältig gefalteter Wäsche an den Wänden, auch das Motorrad, offensichtlich das Wertvollste, was sie haben, steht in diesem staubigen Raum. Über dem Bretterverschlag hängt zeltartig eine blaue Plastikplane, offensichtlich ist das darüber liegende Blechdach bei Regen nicht absolut dicht. Ich versuche zu schlafen, doch das Bett ist eigentlich nur eine Lage Bretter mit einer Decke und einem Leintuch darüber, für meinen Rücken viel zu hart, ich muss mich dauernd umdrehen. Vor dem Schlafengehen führt man mich noch in den Hinterhof. Unter Plastikplanen steht dort eine WC-Schüssel auf einem Zementpodest, so genau sehe ich das nicht, es hat kaum Licht, dafür beissen mich irgendwelche Viecher in die nackten Füsse. Ihre Maskottchen, meint die Frau und lacht, als ich schreiend ins Haus renne. Das seien Ameisen, die seien eben um diese Zeit herum. Sie sind es dann allerdings auch noch am frühen Morgen, bei Tagesanbruch, als mir Antonio stolz die Pflanzen in seinem Hinterhof zeigen will. Sofort krabbeln die Dinger wieder an meinen Füssen hoch und beissen zu und jetzt sehe ich diese aggressiven winzigen Ameisen auch. Weisse Haut, meint man jetzt, das sei das Problem, etwas, das man auch immer sagt bezüglich der Mosquitos. Die mögen eben weisse Haut besonders gut, scheint es. Oder auch besonders schlecht - mindestens die Ameisen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich diese Tiere mit ihren Gastwirten, oder umgekehrt betrachtet vielleicht auch mit ihren Eindringlingen, arrangiert haben. Ich aber, mit meinen Füssen, die nach Moskitospray riechen, für die Ameisen ein unliebsamer Eindringling bin. Den man verjagen muss.
Der Garten besteht mehr oder weniger aus einem jungen Mangobaum und zwei weiteren Fruchtbäumchen und nacktem Boden, der sich bei Regenfall in ein Schlammbeet verwandeln muss.
Geschlafen habe ich kaum, immer wieder ein langer Natelklingelton, ein Musikstück, das sich mehrmals wiederholt, bis jemand dem Spuk ein Ende bereitet, dazwischen bellen die Hunde um die Wette oder ein Kind weint. Am Morgen wird mir die ganze Familie vorgestellt. In einem anderen Bretterverschlag hausen die drei Kinder, in einem weiteren eine Tochter, bereits verheiratet, mit Baby und Schwiegersohn, der uns als Koch in den Dschungel begleiten wird, noch zwei weitere kleine Mädchen, Verwandte, man schaue zu ihnen. An afrikanische Verhältnisse erinnert mich das.
Noch immer bin ich schlechter Laune und habe Mühe, das zu verbergen. Gleichzeitig schäme ich mich auch. Diese Familie gehört sicherlich noch nicht zu den ärmsten, doch für mich ist ihre Art zu Leben bereits unerträglich. – Doch Antonio scheint das nicht zu bemerken. Meint zwar zwischendurch, da sei halt noch viel Arbeit übrig, er mache etwas, wenn er das Geld dazu habe, doch ich bin erstaunt, dass er sich offensichtlich nicht im geringsten schämt, mir sein Zuhause zu zeigen. Er kann keine Vorstellung davon haben, wie das Leben bei uns ist, sonst wäre er wohl befangener.

Später bringt er mich ins Hostal Alfert, Calle Garcia Sanz No 01, Iquitos – Loreto – Peru, Zimmer No13. Dort habe der Markus, der Schweizer, mit dem er viele Touren gemacht habe, auch immer gewohnt.
Das liegt am Fluss, direkt über den Häusern von Belem. Ich habe bereits in einem Guidebook davon gelesen. Belem ist das Armenquartier, Holzhäuser auf Stelzen gebaut oder wie Flosse schwimmend. Belem wird als Ausflugsziel für Touristen angepriesen, doch aufgepasst auf das Portemonnaie! Ich frage Mr.Tapulima „sicher hier?“ Er meint natürlich, ganz klar, no problem. Eine Frau später, in der Strasse, bei der ich einen Kokosnusssaft trinke hingegen meint, ich solle aufpassen. Wem soll man da glauben?

Bei Kaffee und Zeitung lese ich, dass es noch weitere Probleme mit dem Atomkraftwerk in Japan gegeben habe und dass Obama, von ihm wird in der peruanischen Zeitung ein äusserst grimmiges Bild gezeigt - eindrücklich, was Pressefotos bereits zur Stimmung in einem Land aussagen - und die Vertreter der EU das Handeln Gadafis verurteilten. Was seit meiner Abreise in Libyen passiert ist, darüber nichts, die Auslandnachrichten nehmen sowieso nur gerade die letzte Seite ein, vorher Mord und Todschlag, Fotos von weinenden Frauen. Genau derselbe Mix wie in den Fernsehnachrichten, von Politik, über die anstehenden Wahlen, kaum etwas. Dafür sehe ich in den Strassen eine Menschenmenge mit Fahnen und Megaphon, die sich für einen der Kandidaten engagiert.

Am Mittag treffe ich Antonio Tapulima zusammen mit einem Deutschen, der bereits einmal in Iquitos war und ihn kennt. Vielleicht könnte man auch eine gemeinsame Tour organisieren, das müsste eigentlich billiger kommen, das wäre mir recht. Auch weil ich dem Antonio nicht so recht traue, zu viele Geschichten bisher. – Obwohl ich eigentlich von Anfang an hätte darauf kommen müssen: Das Beschaffen des notwendigen Materiales, des Benzins für die Reise und der Nahrung für die Tage im Dschungel kostet Geld. Das hatte der Antonio natürlich nicht, das musste ich ihm erst geben. Trotzdem, er hätte mir das bereits am Telefon erklären können, dann hätte ich mir diesen nächtlichen Stopp in Nauta erspart und wäre in Ruhe nach Iquitos gefahren. Ich nehme ihm das immer noch übel. Und rede mir selber ein, dass es auch gut sei, weil ich so endlich Einblick erhalten habe in das wahre Leben hier.
Der Deutsche will dann doch nicht mitkommen, ein Unfall, die beiden Füsse seien kaputt, das Laufen für ihn ein Problem. 5 Tage in den Urwald, das könne er nicht. Als Antonio gegangen ist, meint er dann auch noch, er finde es zu teuer, diese 70 Dollar pro Tag, die er verlange. Das finde ich ebenfalls, wenigstens bezahle ich ihm den ersten Reisetag, der mich die genau gleiche Strecke einen Tag lang zurück führt, nicht, da willigt er ein. Wäre ja noch schöner, wenn ich diesen doppelt gefahrenen Teil der Strecke, auch noch bezahlen würde!

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