Montag, 4. April 2011

Iquitos, den 27.März








Nicht besonders interessanten Ausblicke entscheiden, wo ich mich hinsetze zum Zeichnen. Wichtig ist erstens, dass es ein Schattenplatz ist, zweitens, dass man sich überhaupt hinsetzen kann und drittens, dass er nicht allzu exponiert ist und ich bereits voll am Zeichnen bin bevor mich die Leute, meist sind es Kinder, entdecken und zu belagern beginnen. Heute habe ich eine Madonna unter einem Dächlein gezeichnet und im Hintergrund eine Statue von einem Militär. Sargante Loreto, sagen mir die Kinder sei das, nach ihm sei der ganze Platz benannt.
Plätze in Peru sind immer von Strassen umgeben – auf denen heute allerdings wenig Verkehr herrscht, Sonntagsruhe, ich geniesse das. Durch das Rechteck, das so entsteht, führen symmetrisch angelegte betonierte Wege, von Betonbänken gesäumt, die glücklicherweise ab und zu auch im Schatten eines Baumes stehen, bepflanzt wird meistens mit niedrigen Büschen, häufig Hibiskus, und Palmen, etwas Gras, die Vegetationsflächen zwischen dem Wegnetz sind klein. In der Mitte, alle Wege führen dorthin, ein Standbild auf einem Sockel, der blau und weiss bemalt ist, praktisch immer irgend ein Militär mit Gewehr. Blau und weiss sind auch die Strassenlampen angestrichen, die in regelmässigen Abständen den Platz beleuchten, das gibt ihnen etwas kokettes, auch die Betonbänke sind meist blau, die Randsteine dafür weiss. Auf grossen Plätzen hat es ein Wasserbecken, das im allgemeinen leer steht. Wie erstaunt bin ich da, als mich auf dem Hauptplatz am Samstag Abend plätschernde Springbrunnen begrüssen. Für besondere Gelegenheiten offensichtlich noch betriebsbereit.

Peru hat noch ernorm viele Überreste der Militärdiktaturen, so viele und soviel verschiedene Militär- und Polizeikorps habe ich noch selten in einem Land gesehen. Heute Morgen war auf dem Hauptplatz, der Placa das Armas - nicht dem grössten Platz von Iquitos, aber dem touristisch erschlossensten, rings herum Restaurants und Hostals, Reiseagenturen, die Trips in den Urwald anbieten, eine Kirche, ein Internet, das 24 Stunden offen ist – eine Militärparade. Erst weiss gekleidete Marines mit ihrem Musikkorps, dann schwarz Uniformierte, dann in Tarnanzüge Gekleidete mit Schlapphut, den einer wie einen Cowboyhut auf den Seiten emporgeschlagen trägt, dann wieder schwarz Gekleidete mit Schutzschild und Helm, dann die Defensa Civil mit orangen Gilets, schliesslich die rot uniformierte Feuerwehr. Einmal umrunden sie den Platz, der heute verkehrsfrei ist, dann stellen sie sich auf den Seiten auf und warten. Auf was, ist mir nicht ganz klar. Ich esse an meinem bereits gewohnten Frühstücksplatz, dem „Ari’s“, einen Fruchtsalat und ein Jogurt mit Honig, bestelle noch einen zweiten Milchkaffee und warte, doch nichts passiert in der nächsten Zeit.

Das „Ari’s“, ein grosses Restaurant, liegt in einer Ecke des Platzes, gegen zwei Seiten ist es offen, so dass man einen wunderbaren Blick auf das Geschehen hier hat. Es ist für Peruaner sicherlich ein gutes Restaurant, Touristen sehe ich aber wenig, die etwas kantinenhafte Atmosphäre des grossen Raumes scheint sie abzuschrecken. Für mich hat der Ort mit seinen schwarz-weiss gekachelten Fliessen und den roten, gepolsterten Sesseln eine ästhetische Qualität. Und erinnert mich erst noch an ein Bild, das ich vor Jahren in Isle-sur-Sorgue gemalt habe. Der Blick aus der dunklen Frische des grossen Raumes auf die helle Welt draussen, in der an Werktagen ein unheimliches Treiben und Lärm herrscht, lässt mir das ganze surreal erscheinen, als wäre es ein Film. In den vielen Spiegeln, die geschickt im Raum verteilt sind, vervielfachen sich die Gäste, von vorne, im Profil, von hinten, ein Ratespiel, was zusammen gehört. Geschäftsleute scheinen die meisten zu sein, auch einige ältere Männer von europäischem Typ. Alte Kolonialherren, denke ich. Einer fällt mir besonders auf, weil auch er sich jeden Morgen hier einfindet. Er bestellt ein Glas Mineralwasser und liest Zeitungen. Die freundlichen Serviertöchter sind täglich anders gekleidet, es gibt eine rote, eine gelbe und eine weisse Arbeitskleidung, Miniröcke, die meisten Frauen sehen gut aus, immer von einer passenden Schirmmütze begleitet. Auf einer Seite des Raumes stehen lange, von der Kälte beschlagene Glasvitrinen, in denen unterschiedlichste Crèmes- und Früchtetorten ausgestellt sind, auch Coupes. Wer soll das alles essen? Da ich nur morgens hierher komme, sind die Leute am Verzehren von sehr nahrhaften Frühstücken. Ei, Schinken, Toasts, das kann zu einer vollen Mahlzeit mit Reis und Fisch ausarten. Auf den Glasvitrinen stehen zwei Schädel, Kaimane, das ist hier fast unvermeidlich. Auch auf den meisten Speisekarten werden sie angeboten, ich habe es aufgegeben, diese Restaurants zu boykottieren, praktisch alle machen das. Wenn man über denn Markt läuft, sind die Krokodilschwänze und teils bereits geöffneten und zerlegten Schildkröten, Boas und Gürteltiere und weiteres Urwaldgetier nicht zu übersehen. Ganz offensichtlich fehlt hier jegliches Bewusstsein, dass dies gefährdete Tierarten, ihr Genuss ein Unrecht. Obwohl der offiziell auch hier verboten ist.
Auf der rechten Seite des Platzes - gerade neben dem 5-stern Hotel - ragt ein blau eingefärbtes Betonhochhaus empor, das in einem Zustand des fortgeschrittenen Zerfalles vor sich hindämmert. Eine Bauruine seit Beginn. Das habe vor rund 40 Jahren das Gesundheitszentrum werden sollen. Allerdings sei das Gebäude vor der Fertigstellung abgesackt und etwas gekippt, die Vollendung deshalb unmöglich geworden, zu nahe auch, solch ein riesiges Gebäude, von der Böschung zum Wasser, das Gewicht habe gedrückt. Und seither stehe das eben riesig und hässlich an einer Seite das Hauptplatzes. Seine heutige Funktion: Träger der vielen Telefonantennen. Passiere da einmal etwas, dann sei Iquitos gänzlich von der Umwelt abgeschnitten. - Später lese ich dann in einem Dokument, dass ungefähr zur gleichen Zeit ebenfalls die befestigte Strandpromenade des Boulevards Malecon abgesackt sei und erst etwa vor 10 Jahren wieder hergestellt. Ein Zusammenhang wird allerdings nicht erwähnt.

Der Sonntagmorgen ist auch hier ein spezieller Tag. Friedlich, ich spaziere durch die Wohnviertel, die immer grüner werden, kleine, zusammengebaute Häuser, wenig Planung, die Frontseiten werden gerne aufwändig und fantasievoll gestaltet, bunte Kachlen sind beliebt. Ab und zu dringt lauter Gesang aus einer offenen Türe, die Kirchen, jetzt wird es sichtbar, auch in Iquitos gibt es viele.

Gestern Abend, ein Samstag, befand sich die ganze Bevölkerung in Feststimmung, promenierte am Quai, schaute Gauklern zu, die sehr viel sprachen, ich verstand kaum etwas und beobachtete dafür das Publikum, das sich köstlich amüsierte. In einer der teuren Bars an dem Boulevard Malecon trank ich ein Bier und bewunderte den ausgemalten Raum. Faszinierende Malerei. Meistens stimmt die Anatomie – es werden hauptsächlich Menschen abgebildet, häufig nackte Frauen – überhaupt nicht und trotzdem haben die Gemälde ihren Reiz. Von kraftvollen, erotischen und kaputten Wesen besiedelt, der Stil ändert von präzise ausgemalt, zu comixartigen Schattenrissen, bunt meist, von Realität zu Traumwelt, doch irgendwie hält das ganze zusammen.

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