Montag, 25. April 2011

Manaus, 19.April



In einer Hängematte liegen und etwas schaukeln ist wie im Meer auf dem Rücken zu liegen und seinen Körper den Wellen zu überlassen. Unheimlich wohltuend, einfach loslassen, man bewegt sich von selbst, nichts wollen, nichts planen, das beruhigt. Eine gute Idee, heute doch noch meine Hängematte auf der Dachterrasse aufzuhängen, ein angenehmer Wind kühlt, es ist wieder einmal sonnig und furchtbar heiss, die Stadtlandschaft von Manaus vor den Augen. Irgendwo gegen den Horizont eine Gruppe schwarzer Geier, was hat sie wohl dorthin gelockt, sie nehmen im Amazonasgebiet den Platz unserer Krähen ein, sind jedoch ungefähr so gross wie ein Huhn und sollen furchtbar stinken. Ich bin noch nie einem nahe genug gekommen um das bestätigen zu können.

Oder fühle ich mich plötzlich wieder gut, weil ich heute Morgen endlich entschieden habe, abzureisen? Seit einer Woche bin ich nun in Manaus, Kontakte mit Leuten des Forschungsinstitutes INPA, am Sonntag konnte ich mit einem Ornithologen auf einen 40m hohen Beobachtungsturm im Urwald. Früh aufstehen natürlich, die Dämmerung auf der Fahrt, der Tagesanbruch auf dem Turm, Nebelschwaden zuerst, die sich langsam legen. Wir sehen 5 verschiede Papageienarten, immer paarweise, diese Vögel scheinen ein äusserst monogames Leben zu führen und ein paar Greifvögel, die immer einzeln, und auch noch einen winzigen Vogel, der kein Kolibri ist. Er sieht nicht speziell aus. Doch wie bei den Botanikern - bei allen Sammlern - bereitet natürlich eine seltene Art, rein wegen der Tatsache, dass sie selten ist, viel Freude. Lotte, die junge holländische Biologin, die ebenfalls mitkommt, macht eifrig Notizen. Mir gelingt es nicht mehr, solchen Enthusiasmus aufzubringen. Als junge Studentin habe ich doch auch alles begeistert aufgesogen. Jetzt macht das für mich keinen Sinn mehr. Diese Tatsache wiederum, macht mich etwas traurig. Obwohl: Eigentlich war ich nie eine ernsthafte Sammlerin. Wissen macht für mich Sinn, wenn ich es benötige. Und anwenden kann ich momentan mein Portugiesisch, also ist es wichtiger, hier Energie zu investieren. - Trotzdem, irgendwie macht es traurig festzustellen, dass mich vieles nicht mehr interessiert, was mir früher wichtig war.
Auch bei den wissenschaftlichen Illustrationen. Der amerikanische Ornithologe möchte, dass ich ein Baumpanorama von der Rundsicht des Turmes zeichne. Wissenschaftlich erforscht sei das ganze, die Baumarten bekannt. Unentgeltlich natürlich, Freiwilligenarbeit, das ist man sich ja derartig gewohnt. Ich mache Fotos, bereits das scheint mir schwierig - doch habe ich mich bisher nicht dazu aufraffen können, daran zu arbeiten. Und bin auch nicht mehr sicher, dass ich das will. Eigentlich habe ich bisher nicht besonders gute Erfahrungen gemacht mit Freiwilligenarbeit. Häufig wird viel weniger geschätzt, was nichts kostet, das habe ich in Sansibar gemerkt.

Überhaupt erlebe ich etwas einen Einbruch der Energien. Ich muss warten, dummerweise ist ja diese Woche Ostern, daran habe ich gar nicht gedacht, vier Tage frei, die Stadt wird gänzlich ausgestorben sein. Wo bereits ein normales Wochenende dazu führt, dass das Zentrum so verlassen wirkt wie Bern am Sonntag. Geöffnete Restaurants findet man kaum und die Museen sind auch geschlossen. Damit wird es im Zentrum dann auch gefährlich, kaum Leute.

Vielleicht war es ja auch das Erlebnis letzten Freitag in der Jugendherberge, in der ich wohne. Zum ersten Mal auf dieser Reise wähle ich eine solche Unterkunft. Ich habe Jugis in China schätzen gelernt. Zwischendurch. Denn hier kann man sich mit anderen Backpackern austauschen, wohin, woher, kriegt Informationen und bald schon fast mehr Kontakte als ich mir wünsche. Das entführt mich aus meinem Film, die Spule reisst, was mich durcheinander bringt. Ich habe diese Woche kaum mehr geschrieben, man spricht so viel, das Bedürfnis ist kleiner. Auch wenig gezeichnet. Und bin dann unzufrieden mit mir. Manchmal frage ich mich ja schon, ob ich eine derartig seltsame Person sei, wenn ich so schaue, wie die übrigen reisen. Die nehmen das wirklich easy. Viele sehe ich tagelang herumhängen. Dieses Hospedaje lädt ja auch dazu ein, grosser kühler Empfangsraum mit vielen bequemen Sofas, Fernseher, viele Leute immer, die hier relaxen und plaudern. Irgendwie dünkt es mich eben, dass diese Trägheit der Leute sich auf mich überträgt und mich lähmt. Und unzufrieden macht. Deshalb bin ich froh, um meinen Entschluss, morgen für vier Tage in eine kleine Ortschaft am Rio Negro zu fahren.

Vielleicht liegt meine Trägheit auch daran, dass ich hier kaum zum Schlafen komme. Häufig wird gerade vor meinem Fenster im schönen Innenhof mit Baum bis spät in die Nacht hinein getrunken und geschwatzt und gelacht, gestern ist es wieder einmal 3 Uhr geworden. Ich habe zwar diesmal nicht mitgemacht, aber trotzdem nicht schlafen können. Um 5 Uhr 15 kommt dann regelmässig die Putzfrau und fängt mit dem Aufräumen der offenen Küche auf der anderen Seite des Hofes an, dies rüttelt mich wieder aus dem Schlaf. Tagsüber schlafe ich auch nie recht, das kenne ich von den Tropen. Es ist zu heiss, das geht nicht, nur dösen.
Doch eigentlich kam der Einbruch meiner Energie, mein Reisetief – das gibt es auf jeder Reise, in China war das in Lijang, da erinnere ich mich sehr gut daran – mit dem Freitag Abend. Ich kam gegen elf Uhr von einem Spaziergang nach Hause, nach einem langen Gespräch mit einem brasilianischen Studenten, der sein Englisch üben wollte. Er sprach es gut und war intelligent, ein interessanter Abend. Im Hostal dann noch kurz die e-mails durchschauen, ich setzte mich in den Empfangsraum auf ein Sofa, Rücken Richtung Eingangstür. Plötzlich das Splittern von Glas, die grellen Schreie einer Frau. Freitag Abend, meine ich zu meiner Nachbarin, die Leute haben sich betrunken, das ist mir bereits auf dem Heimweg aufgefallen, ein Streit bricht da schnell los. Ich arbeite weiter, leicht beunruhigt, dass der Lärm noch zunimmt, das scheint in der Nachbarschaft zu sein. Plötzlich rennt eine ganze Schar von Gästen hysterisch vom Eingang her quer durch den Raum zum Hof hinaus, eine Riesenpanik, die auch mich ansteckt, ich bin die letzte, die aufsteht und rennt. Keine Ahnung, was sich in meinem Rücken abspielt, wovor wir davon rennen, die Situation ist extrem unheimlich. Im Hof suchen dann alle irgendwie Deckung, rennen Treppen hinauf, ein wirres Durcheinander, noch immer ist mir nicht klar, was genau passiert ist, ich wiederhole nur immer wieder, „ihr müsst die Polizei anrufen, ihr, die Portugiesisch sprecht“, denn unten geht der Lärm weiter. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, sagt jemand endlich, die Polizei sei nun gekommen. Blaulicht vor dem Haus. Nur langsam beruhigt man sich und noch langsamer wird die Geschichte klarer. Ein Mann sei zum Hostal gekommen und habe die Eingangstüre, eine Metalltüre mit Einsätzen von dickem Glas, eingeschlagen. Der Lärm hat Neugierige angelockt, viele Gäste sind zur Türe gegangen um zu schauen und sind dort von einem Mann mit einer Pistole bedroht worden. Der Mann suchte offensichtlich eine bestimmte Person im Hostal, die grelle Frauenstimme meinte, nein, nicht der ist es, ein anderer, und schliesslich seien noch weitere Leute den Angreifern zu Hilfe gekommen, die Situation gänzlich eskaliert.
Ausser Materialschaden ist zum Glück nichts passiert, der Schaden, der ist innerlich. Ein paar Leute haben einen Schock gekriegt, auch ich fühlte mich einen Tag lang wie betäubt. Und vielleicht wirkt das eben doch noch nach, ein Ortswechsel endlich tut gut. Weit weg möchte ich nicht, denn für nächste Woche haben mir die Leute noch weitere Ausflüge mit Forschern versprochen. – Komisch war übrigens, das sich die Jugendherberge zu einer verschworenen Gemeinde zusammengefügt hat. Ein paar Leute sind am nächsten Morgen abgereist, doch wir übrigen, sind am folgenden Tag kaum aus dem Haus gegangen und haben uns am Abend gemeinsam besoffen. Das war irgendwie notwendig. – Neben mir telefoniert gerade ein junger Deutscher mit seiner Familie, und erzählt von seinen Erlebnissen in Rio. Sehr gefährlich dort, leider könne man sich nicht frei bewegen, des nachts überhaupt nicht, das sei schon etwas schade. Von zwei Überfällen erzählt er gerade, die er mitbekommen habe. - Die Gewalttat hier war übrigens kein Überfall auf ein Hotel, sondern ein Problem eines Gastes, eines Brasilianers, was da genau war, weiss ich nicht. Der Angreifer sei ein gefährlicher Drogendealer aus der Umgebung. Ich bin froh, dass der Gast am folgenden Tag abreisen musste.
Ich gehöre unterdessen zusammen mit einem Italiener und einem Brasilianer zu den ältesten Gästen in mehrfachem Sinne. Der jüngste ist mit 44 Jahren der Italiener, der Brasilianer mit 57 Jahren der älteste. Er sieht aus wie Picasso, nur dass seine Augen auffällig blau sind. Am ältesten sind wir auch deshalb, dass wir am längsten hier wohnen, die anderen beiden bereits mehr als einen Monat, beides Philosophen und intelligent, doch sind sie mit wenigen Aktivitäten zufrieden. Der Italiener umschwänzelt jedes hübsche junge Mädchen und fängt sich regelmässig Körbe ein, die er gelassen und mit Humor trägt, sonst braucht er nicht viel, erzählt aber gerne von seinen Abenteuern im Dschungel. Picasso wiederum, kommt eigentlich von einer Stadt in der Umgebung, ist Forstingenieur und hat ein Problem mit seinem Arbeitgeber. Das zu lösen sei der Grund seines Aufenthaltes hier.

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