Dienstag, 12. April 2011

Bandeiranthe II, 10.April


Zwei Uhr nachts, Varejao Ribeirinho, eine kniffelige Landung praktisch seitwärts, der Steuermann dieser Nacht löst sie elegant. Allerdings hat es hier kaum Strömung und Motorräder werden keine ausgeladen, also braucht es auch keine Landungslatte, die Leute steigen einfach auf die Anlegestelle - hier immer schwimmende Flosse, der Wasserstand ändert ja gewaltig im Laufe des Jahres - die Waren werden über Bord hinausgereicht. Bunte Plastikbecken, die müssen flussaufwärts billiger sein, eine Motorsäge und zwei riesige Säcke mit Zwiebeln, der eine davon ist aufgeplatzt. Die dicke Frau, die gerade einen ebenso dicken Mann herzlich begrüsst hat, bückt sich verstohlen und schiebt einige davon in ihre Handtasche und schaut dann hinauf, ob sie niemand beobachtet hat. Natürlich habe ich.

Sonntagmorgen, ich gehe in die Bar hinauf und will schreiben. Ich bin die einzige, deshalb bitte ich das Mädchen, Barmaid passt irgendwie nicht zu ihr obwohl sie sexy angezogen ist, zu jung und zu unschuldig, mit Zahnspange noch, die Musik „mais calma“ zu stellen. Sie lächelt, kommt aus ihrem Häuschen hervor und sucht eine neue Kassette aus. Langsame süsse Musik in genau derselben Lautstärke. Dass die Lautstärke jemanden stören könnte, das versteht hier keiner. Das nächste Mal versuche ich es mit „silencioso“. Calmo, silencioso, quieto finde ich im Wörterbuch für still.

Heute erforsche ich das unterste Deck. Der Steward hat mir erklärt, dass es dort auch Hängematten habe, die billigste Klasse. Die dröhnenden Motoren liegen hinten im Schiff in einem offenen Schacht und sehen eigentlich recht neu aus. Gerade daneben die Küche, 10 Uhr morgens, noch kein Betrieb, alles sauber und aufgeräumt. Der Berg mit den leeren Bierharrassen steht herum, noch ein letztes neues Motorrad, ein paar Kochbananen und wenige Leute, Waschräume hat es auch hier unten.
Der dritte Tag auf dem Boot, einzig der Lärm stört mich zwischendurch, das wird er mich in Südamerika wohl noch einige Male, sonst fühle ich mich sehr wohl und bereue bereits, dass die Fahrt morgen Abend zu Ende geht. Heute beginnen die verschiedenen Parteien auf dem Schiff erstmals Gespräche miteinander zu führen, Brasilianer brauchen offensichtlich etwas mehr Zeit. Die Frau mit Pelzjäckchen und Shorts lehnt sich an einen Mann, ist das ihr Partner oder hat sie den eben aufgegabelt, ein Verführungsspiel, ich habe gelesen, dass diese langen Reisen gute Beziehungsanknüpfpunkte sind. Die Mannschaft macht allgemeine Unterhaltsarbeiten, seit letzter Nacht um 2 Uhr kein Stopp mehr, wir fahren heute Morgen durch ein Gebiet mit stärkeren Siedlungsspuren, kreuzen ab und zu ein Boot, doch keine grösseren Ortschaften am Ufer.

Ich erwache spät, gegen 7 Uhr, das Licht dringt in die fensterlose Kabine kaum ein, ich merke nicht, wenn es Tag wird und gehe als eine der letzten zum Frühstück. Zu den übrigen Speisen werden heute auch Papaya- und Zuckermelonenstücke gereicht, ausserordentlich ist das, bisher habe ich nie das Gefühl gehabt, dass die Leute sich gross um Vitamine kümmern und zwischendurch in Touristenrestaurants aufgetankt. - Zugegeben, es ist auch nicht gerade die beste Jahreszeit dafür, ausser Bananen und Papayas, die keine Saison haben, gibt es nur wenige Früchte zu kaufen, vor allem ölige, Avokadoähnliche, doch ihre Ausbeute ist weit geringer, häufig eine schuppig zerfallende Haut, eine dünne Fruchtschicht und ein riesiger Kern. Sie haben den Weg in europäische Teller berechtigterweise nicht gefunden.

Bandeirante II heisst unser Schiff, „Bandeirantschi“ ausgesprochen, das heisse in meiner Sprache Räuber, Krimineller, der Steward lacht. Später lese ich dann, dass dies auch hier der Fall sein muss. Während dem 17.und 18.Jahrhundert schlossen Mischlinge mit indigenen Müttern und portugiesischen Vätern sich zu Banden zusammen und strömten in den Urwald aus um dort aus den Indios Sklaven zu machen oder sie kaltblütig zu ermorden, die Bandeirantes waren als besonders grausam bekannt. Die Indios gaben allerdings keine guten Sklaven ab, wollten nicht dienen, hungerten sich zu Tode und waren gegen die Krankheiten der Weissen ohne Schutz und wurden dahingerafft. Als Ausweg boten sich schwarzen Sklaven an, die aus Afrika importiert wurden. Und ihre Verwendung erst auf den Zuckerplantagen fanden, später auch in den Goldminen von Minas Gerais. Endlich hatte man das Gold gefunden, das man weiter nördlich im Amazonasbecken schon vor 200 Jahren vermutet hatte. Im Gegensatz zu den Nachbarländern gab es in Brasilien keine früheren Hochkulturen wie die der Inkas, Azteken oder Mayas, doch besiedelt war die Gegend bereits früh, Höhlenmalereien bekunden davon.
Nach dem Zuckerboom kam der Kaffeeboom, wie das Gold weiter im Süden angesiedelt, ein erneuter Aufschwung im Amazonasgebiet kam erst mit der Erfindung von Pneus und damit der Kautschukgewinnung Ende des 19. Jahrhunderts. Damals wurden Städte wie Manaus und Belem, auch Iquitos, wo der berühmte Kautschukbaron Fizzgeraldo gewohnt hat, unermesslich reich. Um kurz nach der Blüte wieder in Bedeutungslosigkeit zurück zu fallen, der billigere Plantagenanbau von Kautschuk mit Samen, die vom Engländer Henry Wickhamin gestohlen und nach Asien gebracht worden waren, liess die Preise für Kautschuk zerfallen. Die ganze Geschichte Brasiliens ist von Boomzeiten und Krisen geprägt, auch später geht es mit der Wirtschaft auf und ab, ganz offensichtlich befindet sich dieses Land wieder einmal in einer Boomzeit. Ich bin gespannt zu erkunden, wie sich diese wechselvolle Vergangenheit auf die Einwohner Brasiliens auswirkt.

Brasilien hat sich bereits zur Zeit Napoleons von Portugal abgelöst - lese ich weiter im Reisebuch – vollzogen durch einen portugiesischen Prinzen, der es vorzog, in Brasilen zu leben und eine Trennung vom Mutterland durchsetzte, denn die hohen Abgaben missfielen den Leuten seit langem. Nach den Königen, die sich zu Kaisern ernannt hatten, bestimmten schon bald einmal mächtige reiche Grossgrundbesitzer die Politik, sie wurden Mitte des letzten Jahrhunderts von Militärdiktaturen abgelöst. Diese sollen hier etwas weniger brutal vorgegangen sein als in Argentinien und Chile, demokratisch regiert wird Brasilien ab 1980.

Gegessen wird heute früher, zwischen 11 und 12 Uhr am Mittag und zwischen 5 und 6 Uhr das Nachtessen. So, wie es über dem Esstisch angeschrieben steht. Nach dem Nachtessen - Resten wieder, oder auch das Standartessen, Reis, Bohnen in Sauce und Teigwaren gibt es jedes Mal, dazu am Abend noch etwas Poulet - bekreuzigt sich der grosse, pokenhäutige Indiotyp, was bleibt ihm anderes übrig mit seinen fünf kleinen Kindern. Die Frau liegt mit den drei Kleinsten bereits auf der Decke am Boden genau über den Motoren, doch der Lärm macht ihnen kaum etwas aus, eines der Kinder schreit sowieso immer mordio. Am Mittag gab es Rindfleisch in Sauce und einen Russischen Salat, nach dem Essen offeriert der Steward Mokkabonbons, die ich erstaunlicherweise gut finde. Nein, keinen Halt mehr, meint er auf meine Frage, wann wir denn das nächste Mal anlegen würden, morgen Nachmittag um 5 Uhr in Manaus. Das finde ich nun fast etwas schade, ich habe gerne zugeschaut beim Treiben in den Häfen.
Der Nachmittag verläuft also ruhig und gleich wie der vorherige, kaum Siedlungen an den Flussufern, links muss das Mamiraui-Schutzgebiet liegen. Um 1 Uhr passieren wir die letzte grössere Siedlung, Tefe meint der Steward, ich habe es vermutet, ein grosses älteres Gebäude und eine Kirche, das muss die Missionsstation sein, von der ich im Führer gelesen habe. Der Fluss sei hier etwa 18 Meter tief meint er weiter, in der Trockenzeit viele Sandbänke, da brauche man mehr Zeit. Kapitän gäbe es nur einen auf dem Schiff, noch Steuermänner, alle 6 Stunden werde gewechselt. Auch er sei Kapitän. Das glaube ich ihm nicht recht. Mindestens nicht auf diesem Schiff, doch hat er mir bereits gesagt, dass er erst zum fünften Mal hier mitfahre. Früher immer Cargo-Schiffe, da braucht es kaum einen Steward. In diesem Schiff habe es ein Messgerät, das die Flusstiefe angebe, sehr praktisch sei das, der Tiefgang des Schiffes sei ungefähr 2 Meter. Das habe ich mir doch gedacht beim Kapitän in Peru, der gänzlich ohne Instrumente gefahren ist. 20m Tiefgang meinte der, das wäre doch etwas gar viel gewesen.

Beim Sonnenuntergang bin ich wie immer auf dem Bardeck, Stuhl rückwärts, Richtung Westen, alle übrigen schauen in die andere Richtung, in den Fernsehapparat. Mir reicht das Naturschauspiel, gewaltig täglich, da wird man ganz klein. Daneben schaue ich einer Spinne zu, die sich eifrig auf etwas Winziges stürzt, dass sich in ihrem Netz verfangen hat. Keine gute Idee, sich auf einem Schiff einen Platz zu suchen, Insekten gibt es nur beim Warten in den Häfen, zu schnell der Fahrtwind. Auch dies etwas unschätzbar Tolles auf einer Schifffahrt. Von Moskitos wird man nicht belästigt, ich hoffe, bis morgen Abend sind all meine Stiche wieder ausgeheilt.

Neun Uhr abends, es ist seit zwei Stunden finster, wieder mehr Lichter und Schiffe, wir fahren auf einen hell erleuchteten Punkt zu. Ein PetrolTerminal meint der Steward, da werde Erdöl und Erdgas verschifft. Viel Erdöl habe Brasilien, das werde auch exportiert. Oder in Manaus raffiniert.

Als ich so richtig bettmüde bin und am einschlafen, bremst das Schiff plötzlich, Stimmen, wir halten in einem grösseren Hafen, das Schiff wird voll getankt. Alle nehmen ihr Handy hervor, hier hat man Empfang, Mitteilungen senden oder empfangen, ein Telefon machen. Coari, mehrstöckige Häuser im Hafen, das muss eine grössere Stadt sein. Die vier Schwarzen, ich denke, sie sprechen Portugiesisch, verstehe das aber trotzdem nicht, haben nun den ruhigen Platz vor den Kajüten besetzt und lassen ihre Ghettoblaster volle Lautstärke laufen. Die hören ihre Musik wohl auch lieber ohne Nebengeräusche. Trotzdem nervt mich das, der einzige einigermassen ruhige Platz auf dem Schiff. Wahrscheinlich bin ich da allein – obwohl die übrigen Leute doch sehr viel weniger Krach machen. Mein Hängemattennachbar, tagsüber liege ich gerne zwischendurch dort, sieht sehr asiatisch aus, Japaner sollen anfangs des 20. Jahrhunderts viele in Brasilien eingewandert sein, liest entweder in einem Buch oder schläft. Immer mit derselben stoischen Ruhe und gänzlich ohne Gemütsregungen. Wie dies den Asiaten eigen ist.

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