Dienstag, 12. April 2011

Bandeiranthe II, 8.April





Warten im Fährhafen von Tabatinga. Ich bin bereits gut erzogen und heute eine der ersten, die auf das Boot wartet. Der Fährhafen ist eine offene moderne Halle, mit Bar und sehr sauberen Toiletten. Wenn das so weiter geht auf dem Schiff, dann kann es nur gut kommen. Die Lancha, die heute Freitag fährt, ist allerdings kleiner als die anderen, doch ich habe mir ja diesmal eine Kabine geleistet. Statt 150 Reals kostet das 600, mehr als der Flug, wie ich später erfahre, aber schliesslich sind da auch noch 4 Tage Kost und Logis inbegriffen. Und eine Steckdose zum Aufladen des Computers, schliesslich rechtfertige ich mir diese Investition damit, dass ich so Zeit habe, mein Portugiesisch mit dem Sprachprogramm wieder aufzupolieren und zu schreiben.

Übrigens wird nun rund um mich herum Brasilianisch gesprochen, ich hoffe, das geht möglichst rasch in mein Ohr. Die Landesgrenze zwischen Kolumbien und Brasilien, die eigentlich mitten durch die Stadt geht und kaum sichtbar ist - keine Kontrollen, der nördliche Teil ist Leticia und der südliche Tabatinga - ist auch gleich die Sprachgrenze.
Dass ich jetzt meinen Computer hervor nehmen kann und auch filmen, das ist ein weiterer Vorteil einer Kabine. In den Hängematten hatte ich nicht gross Lust, dass man wusste, was alles ich in meinem Gepäck mitführte. - Übrigens sind generell die meisten Fotos dieses Blogs mit meinem Sony Ericsson Natel gemacht worden. Das ist klein und unauffällig, beides riesige Vorteile, die die Nachteile, kein Zoom und eine kompliziertere Übertragung auf den Computer, leicht wettmachen. Ich habe mich an dieses Ding gewöhnt und fotografiere nun sehr gerne damit. Nicht immer sehe ich im Display alles genau, es gibt Überraschungen, die Fotos sind eigentlich vor allem nach dem Bildaufbau gemacht. Ich finde das Ergebnis trotzdem überzeugend.

12 Uhr, auf 13 Uhr ist die Abfahrtszeit angesagt. Im Moment hat es mehr Polizei und Militär in der Abfahrtshalle als Passagiere und ein brauner Labrador-Drogenhund geht den Gepäckstücken entlang. Drei weitere warten ungeduldig in Transportkisten und bellen, heute gibt es nicht viel zu tun, nur wenige Passagiere. Die Prozedur bis man dann schliesslich aufs Schiff darf, rechtfertigt die Anwesenheit so vielen Staatspersonales. Ganz unwahrscheinlich, wie man hier durchsucht wird, der Einreisestempel, den ich auf der Polizei in Tabatinga bereits gestern gekriegt habe, war offensichtlich nur ein Vorspiel. Jetzt ist alles nicht mehr neckisch, sondern sehr seriös, da wird nicht gespasst, einer nach dem andern, auch Leibesvisitationen, das ist wie in den Vereinigten Staaten. Ob das die Grenze zu Kolumbien und Peru ist? Beide im Verdacht, Kokainlieferanten zu sein?


13:30, wir sind immer noch im Hafen, eben wird ein ganzer Haushalt aufgeladen. So habe ich Zeit zuzuschauen, wie das Nachbarschiff beladen wird. Ein Polizist mit Maschinengewehr schaut in jede einzelne leere Bierharrasse. Als ich mich beklage, meine Steckdose funktioniere nicht, kommt der Bordjunge mit dem Schraubenzieher, ein paar Handgriffe, alles ist aus Metall hier, und der Ventilator läuft wieder und so nehme ich an, dass es auch möglich sein wird, meinen Computer zu laden und Wasser zu erhitzen für den Kaffee, den ich vorsorglich mitgenommen habe.
Die Fähre gefällt mir eigentlich. Winzig zwar, ich hoffe, wir kommen nicht in schlechtes Wetter, das Frachtdeck unten und im ersten Stock die Hängematten und meine Kabine, mehr als 50 Leute haben kaum Platz auf dem Boot. Auch die Toilettenanlagen scheinen mir zivilisiert, WC-Schüssel mit Brille, ein Luxus hier, den man nur selten antrifft. Im obersten Deck dann – das gab es in den Peruanischen Lanchas nie – eine Bar mit Tischen und Stühlen und lauter Musik. Und auch Bier. Alkohol wurde in öffentlichen Verkehrsmitteln in Peru keiner verkauft, den musste man schon selber mitbringen. Im Schlafdeck sehe ich einen Fernseher, man will unterhalten sein, und auch ein Plakat mit Illustrationen von Fischen, die man nicht fangen darf und auch nicht kaufen und konsumieren soll. Bereits im Markt von Leticia war Schluss mit verbotenem Urwaldgetier. Das sei verboten hier und werde hart bestraft. Auch in den Restaurants ist nichts derartiges im Angebot, Peru scheint in Sachen Umweltschutz und überhaupt doch recht hinterher zu hinken.

14 Uhr, die Taue werden gerade gelöst, als vom Nachbarschiff her Rufe kommen und auf unseren Schiffsrumpf gedeutet wird. Ein Palaver geht los unter den Schiffsleuten, der Schiffsjunge, der meine Steckdose geflickt hat, gut gebaut ist er, stelle ich nun fest, steigt ins Wasser und schwimmt zum Schiffsheck. Weitere Bootsleute steigen in das Beiboot und schauen sich die Sache ebenfalls an. Was, weiss ich nicht, denn man sieht nicht zum Heck, und auch das Mädchen, das an der Bar arbeitet kann mir keine Auskunft geben. Ich stelle mir vor, dass sich die Pflanzenteppiche und das Schwemmholz in der Schiffsschraube verfangen haben könnten, denn nach den starken Regenfällen führt der Amazonas wahnsinnig viel Material mit sich. Eine kleineres Fährschiff will an die Anlegestelle und wird angeordnet unser Boot seitwärts zu schieben. Bereitwillig hilft man, bis von unserem Schiff her das Handzeichen kommt „genug“. Wieder steigen Männer ins Wasser und schauen sich die Sache an, langsam driftet das Schiff nun flussabwärts und dreht in Fahrtrichtung, ein kurzer Start der Motoren, doch der Chefmaschinist ist noch nicht zufrieden und deutet dem Kapitän nochmals die Motoren abzuschalten. Inzwischen ist es 3 Uhr geworden, wir driften nun in der Mitte des Amazonas flussabwärts, nochmals dauert es eine Weile und einige Tauchgänge bis der Kapitän die Motoren endgültig starten darf. Erschreckt stelle ich fest, dass diese viel lauter sind als bei den vorherigen Lanchas. Vielleicht auch, weil das Schiff einen Stock weniger hat und ich folglich näher an den Motoren hause. Der oberste Stock wäre vermutlich ruhiger, doch dort ist die Musik der Bar derartig laut aufgedreht, dass dies für meine Ohren auch keine Entspannung bringt. – Nach dem extrem ruhigen Leticia und dem Innenhof des Hotels Delphinos, in dem höchstens die Zikaden und Vögel manchmal lärmten, bin ich bereits wieder lärmempfindlicher geworden - eine schlechte Eigenschaft beim Reisen.
In meiner Kabine funktioniert die Steckdose schon nicht mehr, ein Wackelkontakt immer noch, ich binde den Stecker mit einer Schnur an die Decke, das hilft, keine Lust, die Mannschaft nochmals zu belästigen. Am Himmel sehe ich das Flugzeug Richtung Manaus fliegen und frage mich kurz, ob die Kanadierin, die ich auf dem Schnellboot kennen gelernt habe und die es bereute, bereits einen Flug nach Manaus gebucht zu haben, vielleicht nicht doch recht gehabt habe mit ihrem Entscheid.

Ich habe zusätzlich meine Hängematte aufgehängt, man will sich schliesslich nicht absondern, ich bin die einzige „Gringa“ auf dem Boot und habe erst noch das Handicap, dass ich mich im Portugiesisch wirklich unsicher fühle, doch wenn ich tapfer mitmache, dann kann ich bis Manaus bereits viel mehr. Deshalb widerstehe ich vorläufig der Versuchung, meine Hängematte vor den Kajüten aufzuhängen. Dort, direkt unter der Kapitänskanzel wäre nämlich der ruhigste Platz auf dem ganzen Schiff.

Nach einer knappen Stunde Fahrt halten wir bereits wieder, Benjamin Constant, zwei Passagiere steigen ein und nach ungefähr einer halben Stunde werden alle paar Minuten noch Säcke mit Lebensmitteln eingeladen, pressiert ist man nicht. Wahrscheinlich dient dieser Halt vor allem den fliegenden Händlern, die ihre Waren feilbieten. Bunte Decken, riesig, aus leichtem Fleece und so kitschig-bunt, dass sie mir bereits wieder gefallen. Made in China, versteht sich. Ich erinnere mich daran, dass es auf den Lanchas des nachts doch recht kühl wurde, vielleicht sogar in der Kabine, etwas zum Zudecken hat es nicht, doch Unterleintuch und Kissen sind sauber. Da meine Erkältung sich verstärkt hat, scheint mir mein Kauf gerechtfertigt. Feuerrot und Sonnengelb ist die Decke, Rosenmotive, ein wenig Grün und mittendrin ein rosaroter Schwan. Ich sehe, dass die Leute 10 Reals dafür bezahlen, knapp 6 Franken, das scheint mir korrekt, nun bin ich auch Besitzerin solch einer Decke. Gekauft wird wie verrückt, als ob sich alle erst jetzt daran erinnern würden, dass die Nächte auf dem Schiff kalt werden, auch ein Händler mit Filzstiften macht ein gutes Geschäft, selbst Scheren und Wattestäbchen bietet der an, das habe ich doch kürzlich in Iquitos lange gesucht.
Lebensmittel werden leider keine angeboten, heute hätte ich zugegriffen, das Mädchen an der Bar meinte nein, nichts zum essen habe sie, später dann. So esse ich geröstete Maiskerne aus meinem Notvorrat und hoffe, dass es am Abend doch noch etwas zu essen gibt. Das sollte eigentlich im Preis inbegriffen sein, doch eine Küche habe ich auf diesem Schiff bisher keine entdeckt. In Benjamin Constant hat auch eine moderne Lancha angelegt, Kabinen mit abgetrennten Balkonen und Klimaanlagen. Die Kanadierin hat mir doch von Luxus erzählt auf den Schiffen. Hier merke ich nicht viel davon.
Kurz nach dem Verlassen der Ortschaft verlangsamt das Schiff, legt nochmals an einem Floss mit Sand an, ich sehe wieder zwei der Schiffsjungen im Wasser, einer steigt auf das Floss und bindet ein Schiffstau kurz daran fest. Dann löst er es, springt ins Wasser und schwimmt zurück zu unserem Schiff. Nun fahren wir endgültig los. Eine kultische Handlung scheint mir das, keine Ahnung wozu sie dient.

Abendlicht gibt den bunten Häusern am Ufer eine warme Farbe, Kinder baden im Wasser, friedlich das Bild, die Schatten wachsen und lassen langsam die Dinge verschwimmen. Und doch nagt in mir ein leises Unbehagen, kein Küchengeruch, war ich wohl diesmal allzu unbesorgt, mich über gar nichts zu erkundigen? Ob Essen inbegriffen, Einzelbad zu der Kabine, was auch immer? Ich war zufrieden mit den 600 Reals, weil in meinem Reiseführer 700 standen, also war der Preis gut, den Rest würde ich schon noch herausfinden. Ich gehe auf das Bardeck hinauf und schaue dem Sonnenuntergang zu. Wie immer eine spektakuläre Angelegenheit, heute zum ersten Mal seit langem den ganzen Tagen kein Regentropfen, der Himmel verfärbt sich rot und gelb, wie Scherenschnitte die schwarzen Baumsilhouetten davor. Da kommt ein Angestellter des Schiffes zu mir. Ob ich essen wolle, gleich gäbe es Huhn. Ich bin erleichtert, ja, gerne, man sorgt sich doch immer viel zu früh. Wir sprechen eine Weile zusammen, irgendwie geht es, mindestens verstehe ich, dass zehn Schiffe zwischen Tabatinga und Manaus verkehren. Dieses hier sei das Kleinste – das habe ich mir doch bereits gedacht. Touristen habe es nicht sehr viele. Einmal zwei Deutsche, vier Franzosen, Engländer auch, aber nicht häufig, nein. Ich gehe mit ihm hinunter und esse eine dicke Suppe mit Teigwaren und ab und zu einem Stück Huhn. Man schüttet da farinha, eine Art Mehl hinein, das macht das ganze noch pampiger, und isst Weissbrot dazu. Der Geschmack ist nicht schlecht, Koriander scheint mir, doch selbst für mich recht viel Salz. Danach spüle ich die Mahlzeit mit einem Bier hinunter. Das Mädchen an der Bar ist hauptsächlich damit beschäftigt, an dem Rad in der Decke zu drehen, welches die Fernsehantenne bedient, jede Schiffsbewegung bringt den Apparat wieder durcheinander, der Sender muss neu gesucht werden. Nach einer Telenovela dann die Nachrichten. Weinende Leute, das kenne ich bereits von Peru, eine Mauer mit vielen Blumen und Schildern, Schüler, ich verstehe, dass einer in Rio einen Amoklauf gemacht haben muss. Stellen aus der Bibel habe er erwähnt, einen Bart habe er sich wachsen lassen und sei komisch geworden. Kein Muslim, ein Christ.

Der Schiffsangestellte erklärt mir, dass wir morgens um 3 Uhr das nächste Dorf anlaufen werden, das übernächste um 10 Uhr, erzählt er weiter, so zirka zehn Halte werden es sein bis Manaus, alle mit exaktem Ankunftsdatum, der Mann hat Vertrauen. Und am Montag, so gegen fünf Uhr, da seien wir in Manaus. - Da bin ich aber gespannt.

Der Mond hängt tief und träge über dem Wasser, viele Sterne, auch dieser merkwürdige helle Nebel, den ich von Sansibar her kenne, die Nacht ist sehr klar. Ab und zu streift ein Scheinwerfer des Schiffes suchend über Wasser und Ufer, das habe ich bei früheren Fahrten nicht bemerkt, doch damals waren die Nächte auch heller. Kurz nach halb zehn schliesst die Bar, das Mädchen räumt die Plastikstühle und Tische zusammen, Ordnung muss sein, doch immerhin lässt sie den zwei Schwarzen, die Karten spielen, ihren Tisch. Zwei Frauen und zwei Männer, die ich noch nie gesehen habe, kommen aus dem Kapitänsbereich und setzen sich hinten aufs Deck. Offensichtlich arbeitet und reist die Führung hier in Begleitung.

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