Mittwoch, 8. Juni 2011

Rio, 30.Mai






Ankunft in Rio, 21 Grad, mir kommt das kühl vor, das Taxi fährt lange Zeit praktisch durch die Finsternis. Eine Autobahn durch Industriequartiere, später sehe ich Hafenkräne, es riecht übel, dann das Centro, alles dunkel, kein Licht in den Bürotürmen, es ist Sonntag – auch kaum Licht in den Strassen, alles menschenleer, richtig unheimlich sieht das aus. Nun verstehe ich, weshalb teils schöne Hotels in alten Kolonialhäusern hier billig sind. Zu gefährlich im Zentrum zu wohnen, sagt man mir.

Copacabana sieht überhaupt nicht so aus, wie ich mir das vorgestellt habe. Das Youth Hostal CabanaCopa liegt in einer steilen engen Strasse, soll aber sicher sein. Ich gehe Richtung Strand hinunter essen, alles sieht hier sehr provinziell aus, die Beizen und Bars, die Leute auch, bereits wie sie gekleidet sind, Trainer häufig, das ist nun wohl das echte Brasilien. Urchige Gestalten, doch freundlich zu mir. Das Essen passt dazu: Fischfilet gebacken, Reis, Bohnen und Frites (das läuft unter Fisch mit Gemüse). Um 11 Uhr abends, im Hotel ist es ruhig geworden, höre ich ganz deutlich die Brandung vom Meer herauf. Und eine Polizeisirene. Sonst Stille.

Bei Tageslicht macht sich mein winziges Zimmerchen bereits besser aus, vor dem Fenster ein Pflanzengestrüpp, gleich hinter dem Gebäude beginnt offensichtlich der Atlantische Regenwald, der hier die steilen Hänge überzieht. Das Zimmer ist höher als breit, Teile des Gebäudes sind in einem alten Kolonialhaus untergebracht, ich richte mich im oberen Kajütenbett ein mit Blick direkt aus dem Fenster. Im winzigen Bad die grosse Überraschung, das Warmwasser ist heiss, da bin ich froh, habe ich doch die ganze Nacht etwas gefroren. Gerade vor meiner Türe ist ein bequemer Aufenthaltsraum mit Ledersofas und einer Landschaft aus Sitzkissen und riesigen Fenstern, die ebenfalls ins Grün des Waldes blicken. Doch die jungen Gäste, es hat zu jeder Zeit einige dort, blicken offensichtlich lieber in den Fernseher. Selbst spät nachts dringen die aufreibenden Melodien der Triller zu mir hinüber. - Doch eigentlich ist das weit besser als lauter Strassenlärm oder die dumpfen Bässe einer Disko. Und eben gerade habe ich mir mit einem Rohr noch einen Stock gebastelt, mit dem ich das Licht von meinem oberen Bett aus an- und ablöschen kann. Eine gewaltige Komfortsteigerung.
Am Morgen begrüsst mich auf der Mauer vor der Küche ein winziges Affchen mit weissen Ohrpinseln und einem gestreiften Schwanz. Es ist nicht grösser als bei uns ein Eichhörnchen. Und bewegt sich ebenso.

Mein Morgenspaziergang führt in die Bucht von Copacabana. Ein wütendes Meer empfängt mich, Gischt trübt die Luft, Wolkenschwaden hängen über der Küste, ein gedämpftes Sonnenlicht. Wenige Leute am Strand, keine Badenden, ein paar Surfer in den Wellen genau dort, wo es mir am gefährlichsten scheint, bei dem Felssporn, der die Bucht von Copacabana von derjenigen von Ipanema trennt. Der Sand hier ist weich, das Laufen anstrengend, bei Flut wird er kaum 50m schmäler, das Meer fällt steil ab. Riesige Wellen rollen an Land und überschlagen sich. Ich wandere die 4 km lange Copacabanabucht entlang, die von einem breiten Quai und Hochhäusern gesäumt wird. Hinter wenigen Hausreihen erheben sich bereits steile bewaldete Hänge oder Felsflächen, an einigen Stellen erklimmen die kleinen Häuser der Favelas die Steilhänge.
Danach die Ipanemabucht. Die soll jetzt mehr „in“ sein, heisst es, ich kann das nicht bestätigen, die Hochhäuser finde ich eher weniger interessant, weil jüngeren Datums und ohne ästhetische Ambitionen erstellt. Dafür werden hier im Sand Flächen abgetrennt und mit Küstenpflanzen renaturiert. Vom Strand her biege ich ab Richtung „Lagoa Rodrigo de Freitas“ und quere einen wunderschönen Lebensmittel-Strassenmarkt, so frisches Gemüse und so viele Früchte habe ich bisher in Brasilien noch nie gesehen. An der Lagune ändert die Landschaft gänzlich, das wilde Meer wird durch einen sanften, tatzelwurmartigen See ersetzt, der mich an den Luganersee erinnert. Die steilen Ufer, Felsflächen oft die Hänge, häufig mit Wäldern überwuchert. In einem dieser Wälder in einem Tal gerade unterhalb des Corcovados, des Hügels mit der Christusfigur, befindet sich der Botanische Garten. Er ist landschaftlich ausserordentlich schön, ein Teil davon natürlicher atlantischer Regenwald mit Baumriesen, Lianen und wenig Gebüsch, undurchdringlich, kaum Blumen, auch eine Horde Äffchen entdecke ich. Etwas grösser als Katzen sind sie, dunkelbraun, mit einem gerollten Greifschwanz und Ohren wie Bären, nur etwas kleiner. Daneben Bäche, Seen und Pflanzensammlungen. Alles in ein sanftes rötliches Herbstlicht gehüllt. Das fällt mir auf, der Sonnenstand. In Rio sind wir bereits wieder 2000km weiter südwärts, das spürt man jetzt in der Winterzeit. Bereits vor 4 Uhr versinkt die Sonne hinter einem der vielen Hügel, ich spaziere weiter, rings um die Lagune herum, auf der anderen Seite hat es noch Sonne, bis zur letzten Metrostation von Copacabana. Die Metro in Rio funktioniert gut und ist einfach zu begreifen. Eine einzige Linie hat es.
Trotzdem rät mir die deutsche Austauschstudentin Kate, nach 10 Uhr nachts ein Taxi zu nehmen. Ich besuche die Studenten, die ich auf einem Amazonasschiff kennen gelernt habe, in ihrer Wohnung in Ipanema und sehe so, wie die Leute in Brasilien wohnen. Die Besseren natürlich in diesem Quartier, es hat auch ein winziges Zimmer für die Angestellte, etwas das eine brasilianische Mittelklassfamilie offensichtlich immer noch hat.

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