Mittwoch, 30. März 2011

St.Rita de Castilla, 26.März







Auch bei der Rückreise klappt nicht alles wie geplant. Als wir nach St.Rita de Castilla, einem grossen Dorf am Maranòn gelangen, fährt an diesem Tag keine Lancha. Zum Glück finde ich hier eine unerwartet hübsche Unterkunft, das Hospedaje „El Gran Diego“. Sauberes Bett mit Moskitonetz, Tisch und Stuhl, Sicht auf Grün. Im Garten ein Holzhäuschen mit den Badekabinen. Eine Wassertonne mit Schöpfeimer steht darin, so wie ich mir das von Indonesien her gewohnt bin.

St.Rita hat ein Problem: Der Betonweg entlang des Wassers reisst auf der Höhe des zentralen Fussballfeldes plötzlich ab, das Ufer ist unterspült, die Gemeindeverwaltung bereits abgesackt und im Fluss verschwunden, der Rio Huallaca reisst mit aller Wucht an den Ufern. Viele Wirbel, „Molinas“, tiefes, unruhiges Wasser schäumt braun vorbei. Da kann man nichts machen, immer wieder verlegen die Flüsse ihren Lauf. Das neue Dorfzentrum wurde gut eine viertel Stunde Fussweg ins Landesinnere verlegt. Dort steht jetzt die neue Präfektur und ein überdimensionierter Platz mit Blumenrabatten, alles noch kaum bewachsen, Betonbänke, Strassenlampen und wenige Bäume warten auf Leben. Doch im Moment konzentriert sich das immer noch auf das alte Zentrum am Fluss.

St.Rita de Castilla ist ein stilles Dorf. Ein Motorrad, ein dreirädriges Mototaxi, mehr braucht es nicht, so ausgedehnt sind die schmalen Betonbahnen, die hier als Strassen dienen, auch wieder nicht. Strom hat es vom Eindunkeln bis 11Uhr nachts, die Leute versammeln sich vor den paar Fernsehern, bald kennt man uns drei, eine friedliche Zeit. Ich versöhne mich wieder mit Antonio, böse ist er ja nicht, nur chaotisch, spricht viel, verspricht viel und versucht seine Unsicherheit damit zu überdecken.

Alles in allem denke ich, dass eine Exkursion ohne professionellen Veranstalter zwar nur rund einen Drittel oder weniger kostet, dafür aber auch ungleich viel anstrengender ist. Mehr Tiere sieht man dabei sicherlich nicht, die Möglichkeit mit besserem Material weiter in den Urwald einzudringen und mehr zu sehen scheint mir logisch. Dafür habe ich aber vieles über die Bevölkerung hier erfahren, ihre Art zu leben kennen gelernt. Was für verwöhnte Wesen sind wir doch!
Und viele interessante Gespräche geführt. Walter, Antonios Schwiegersohn entpuppt sich als sehr intelligenter und belesener Mensch. Trotz Sprachschwierigkeiten sprechen wir über Gott und die Welt. Über Politik und Religion, Evolutionstheorie und Kreativismus, über die „Senderos Luminosos“ und die „Tupak Amarus“, Terrortruppen, die noch immer im höheren Urwaldgebiet überlebten. Drogenbarone, die ihrer Arbeit ohne die Kontrolle des Staates nachgehen wollten. Die frustrierte Jugend dort - die Gegend sei arm, vom Staate vernachlässigt - unter dem Deckmantel des Kommunismus aufwiegle. Walter schreibt für sein Pharmaziestudium eine Arbeit über einheimische Pflanzen, denen eine positive Wirkung nachgesagt wird gegen Aids. Versucht, ihre Wirkung bei Personen nachzuweisen und ihre chemische Zusammensetzung im Labor heraus zu finden. Und betätigt sich daneben in einer Studentengruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die vielen Jugendlichen in den Armenquartieren von Iquitos, unten am Wasser in Belem, besser aufzuklären. Weit verbreitet sei Aids hier, meint er. Viele Homosexuelle, Prostituierte auch, manche Touristen kämen ihretwegen in die Stadt. Und ja, Kokain sei sicherlich auch ein Grund.
Walter erinnert mich an mich selber, als ich noch jung war, soviel Engagement, so viele Illusionen. Daneben schreibt er auch, möchte ein Buch heraus geben, und zeichnet. Landschaften vor allem, die habe er früher gut an Touristen verkauft. Doch aus der Erinnerung, nicht wie ich. - Ich versuche das darauf ebenfalls und bin erstaunt, das Resultat ist gar nicht so schlecht, eine Flusslandschaft, chinesisch angehaucht. Viele Bilder sind bereits in meinem Hirn eingespeichert, eigentlich müsste es ohne die Realität gehen.

Nach der Rückkehr aus dem Urwald verabschiede ich mich von meinen beiden Führern. Das schmerzt etwas. Fünf Tage im Urwald, man wächst zu einer Familie zusammen. Immer wieder beim Reisen gibt es solche Momente, Trennungen, man fühlt sich verlassen. Und macht schnell wieder neue Bekanntschaften. Oder trifft alte Bekannte wieder. - Ich treffe vor meinem Hotel die junge Frau aus Israel, die ich bereits von einer früheren Fahrt her kenne. Sie muss einen furchtbaren Unfall gehabt haben, ein Terroranschlag vielleicht, Ihr ganzes Gesicht ist mit Brandwunden bedeckt, der Hals ebenfalls, sicherlich war sie einmal eine sehr schöne Frau. Und hat ein unbefangenes Verhalten ihrer Verunstaltung gegenüber, die ich selber nur mit Mühe übersehen kann. Sie habe hier in Iquitos einen Schamanen aufgesucht, einen Heiler, mit Kundschaft aus der ganzen Welt.

Samiria, 21.März






Auf unserer Exkursion in den Dschungel erklärte mir Antonio immer wieder gewichtig sein Programm. Doch überhaupt nichts ereignete sich anschliessend wie geplant und mit der Zeit merkte ich, dass Antonio eigentlich laufend improvisierte und gar nichts vorbereitet hatte. Am meisten nervte mich, dass Antonio mir laufend Lügen auftischte - wir seien gleich hier, gleich komme man an - und ich bereits lange im voraus wusste, dass das nicht stimmen konnte.

Beispielsweise am ersten Abend, als wir an einem Zusammenfluss von zwei Gewässern, kein Dorf nichts, aus der „Lancha“ ausstiegen und in ein Einbaumboot mit Motor wechselten. Damit fuhren wir eine halbe Stunde weiter, die Sonne schickte sich bereits an, in der üppigen Vegetation zu versinken, als wir schliesslich bei einem kleinen Mestizendorf mit Namen Shapaha landeten, all unser Gepäck, da war ja auch noch das Essen, Decken und Moskitonetze, die rund 500m landeinwärts zu den Häusern schleppten. Es gehe gleich weiter, ins Naturschutzgebiet, meinte Antonio - mir war natürlich klar, dass das Dorf unser heutiger Übernachtungsplatz. Doch damit rückte Antonio erst viel später heraus, mit langen Erklärungen, weshalb denn diese Programmänderung, und dass wir am Morgen früh, mit einem Boot, dem man ein Schattendach mache zu meinem Schutz, gleich weiter fahren würden. Bis wir reisebereit waren wurde es dann Mittag und erst am nächsten Abend kamen wir wirklich im Naturschutzgebiet an. - Doch eigentlich machte mir das nichts an. Eine Gelegenheit, mir einmal ein Urwalddörfchen anzuschauen, dazu wäre ich sonst kaum gekommen. Rund 20 Palmblatt gedeckte Häuser auf Plattformen, in einem dürfen wir übernachten, man bietet mir sogar die einzige Schaumstoffmatratze des Hauses an. Alles ist etwas staubig, wie könnte es anders sein, die einzelnen Kammern sind mit Brettern abgetrennt, auf dem Rücken liegend sieht man das Palmdach und in einem Winkel auch noch die Sterne.
Walter erklärt mir, dass ich die Kleider und Schuhe immer erst ausschütteln müsse, bevor ich sie wieder anziehe. Wegen Skorpionen und einigen wenigen stark giftigen Spinnen, die sich am liebsten im Finsteren aufhielten. Ich vergesse das zwar am Morgen, doch habe ich Glück - und werde das Risiko auch nicht weiter eingehen. Nachdem ich in der Nacht gefroren habe und die Kleider morgens durchtränkt von der feuchten Luft wieder anziehe, beschliesse ich, fortan besser angezogen zu schlafen. Die weiteren Übernachtungsgelegenheiten in den Camps der Parkwärter - sie sind noch weit schmutziger, wir schlafen am Boden - erleichtern mir diesen Entschied.

Die Leute im Mestizendorf Shapaha sind freundlich und neugierig, jedoch nicht in einer Art, dass ich annehme, hier sei noch nie ein „Gringo“ aufgetaucht. Die alten Eltern unserer Gastgeber sitzen stumm auf der Veranda, beachten uns kaum, die Frau ist damit beschäftigt, sich die Moskitos vom Leibe zu halten, der Mann starrt in die Luft hinaus. Er soll noch als einziger die Indianersprache beherrschen. Einer seiner Söhne studiert sie jetzt in Iquitos. Unsere Gastfamilie wird auch den Bootsführer und das Boot liefern, Antonio hat einen der Söhne auf der Fähre kennen gelernt. Eigentlich wollte er ja in einem anderen Dorf aussteigen, doch wird das von den Lanchas nicht mehr angelaufen.
Hühner, Enten und Hunde bevölkern den Raum rund um die Häuser auf Stelzen und durch die Siedlung führt ein Betonweg, etwas erhöht im Gelände angelegt, man kann sich fortbewegen ohne in den vom Regen durchweichten Boden zu treten, ein breiter Holzsteg mit Dach überwindet den Sumpf zwischen dem Bootsanlegeplatz und der Siedlung. Von der Petroleum Compagnie am Rio Tigre bezahlt, erklärt man mir. Ebenso wie die Wasserfilter, die hier an alle Bewohner verteilt worden sind. Weiter oben, ein paar Bootstagesreisen von hier entfernt, weil die Leute dort ihr Wasser nicht mehr trinken könnten. Verschmutzt von der Erdölindustrie. Auch von der Suche nach Gold, das am Rio Tigre ausgebeutet wird. - Nein, dort hingehen, das könne man nicht. Zu gefährlich. Die Indianerstämme würden sich gegen die Zerstörung ihrer Lebensräume wehren. Vergeblich, die Regierung nehme gerne Geld, zwischendurch komme es zu Zusammenstössen zwischen Eingeborenen und Petroleumarbeitern.

In Shapaha leben 350 Menschen, eine Schule hat es und eine Kirche, einen Wasserturm ebenfalls, doch funktioniert der nicht, man pumpt das Wasser von Hand herauf. Die meisten Dörfer werden übrigens von Mestizen bewohnt, Indianer mit traditionellem Lebensstil, das gibt es kaum noch in der Gegend.
Antonio hat für mich in einem grossen Bidon Trinkwasser aus Iquitos mitgenommen. Allerdings schmeckt das nach purer Seife, ich vermute, der Bidon wurde für den Gebrauch als Wassertank mit Seife gereinigt, diese jedoch nicht genügend ausgespült. Chlor, will mir Antonio weismachen, das sei gutes Trinkwasser. Doch ich weiss wie Chlor schmeckt, das ist es nicht. Er verspricht mir, das Wasser gegen das gefilterte Wasser der Dorfbewohner auszutauschen. Das schmeckt zwar auch nicht gerade gut, doch erträglich. Ein neuer Behälter also, doch riecht auch dieses Wasser wieder nach Seife. Ich vermute, der Inhalt blieb derselbe. - Das erleichtert es mir, kaum Wasser zu trinken, eine weise Massnahme, denn in den folgenden Tagen werden wir häufig stundenlang im Boot unterwegs sein und keine Gelegenheit haben, auf die Toilette zu gehen. Es sei denn im Busch, wo die unerträglich vielen Moskitos sich sofort auf meinen nackten Hinteren stürzen.

Die Mücken. Von Mosquitos zu sprechen ist falsch, das lerne ich, es gibt mindestens vier verschiedene Typen von Mücken, die Leute hier unterschieden sie, verschiedene Namen, auch die Eskimos haben viele Wörter für Schnee. Bei den wichtigen Dingen im Leben wird genau hingeschaut. Die Mückensorte, die Malaria - die hier selten ist - und Denguefieber überträgt, heisst „Zangudos“ und soll im Reservat zwar in Massen vorhanden, aber nicht Träger dieser Krankheiten sein. Hoffe ich. Denn trotz Mückenspray, schlafen unter dem Moskitonetz und der Behandlung der Kleider mit einem speziellen Spray, bin ich innert Kürze von hunderten von Stichen bedeckt. Alle Leute wandeln in einen Schwarm von Mücken eingehüllt in der Gegend herum, einzig der Bootsfahrer aus Shapaha, der Einheimische, der sich nie etwas einstreicht, scheint von den Mücken weniger belagert zu werden. In keinem der Wachtposten sind die Fenster lücken- und löcherlos vergittert, es gibt kein Entrinnen, selbst drinnen. Die einzigen ruhigen Stunden verbringen wir auf dem Fluss, wenn das Boot fährt, denn Mücken sind schlechte Flieger. Die schlimmsten Stunden auf Wanderungen im Urwald, immer von einem gewaltigen, lästig schrillen Sirren umgeben.
Auf der Rückfahrt nach Iquitos mit der Lancha „Edurardo“ sind die Travellers, die auf einem Urwaldtrip waren leicht zu erkennen. Arme und Beine voller Mückenstiche. Ich treffe auf fünf junge Leute aus der Westschweiz, die ersten Landsleute in Peru, sie haben Ähnliches erlebt wie ich. Viele Mosquitos, Abenteuer, nicht allzu viele Tiere, denn die sind wegen des, der Jahreszeit entsprechenden hohen Wasserspiegels viel tiefer in den Urwald eingedrungen, vier bis fünf Bootsreisen weit, das ist nicht mehr zu machen. Auch sind Tiere am Rande des Reservates selten geworden und schlecht sichtbar, denn im Moment gibt es keine Sandbänke oder vegetationslose Uferplätze, wo sie beobachtet werden könnten. Tröstlich sind die jungen Westschweizer für mich auch in dem Sinne, dass sie ebenfalls finden: Ein Abenteuer, wert gemacht worden zu sein. - Aber vielleicht ein nächstes Mal doch lieber eine bequeme Lodge. Wo man mehr Zeit mit dem Beobachten der Natur verbringen kann und weniger, mit der Bewältigung des Urwaldalltages.

Nach ungefähr 3 Stunden, es ist bereits tiefe Nacht, ruft Walter, unser Koch in Shapaha zum Nachtessen. Das Kochen ist hier nicht einfach, erst muss Feuer auf der tiefen, tischartigen Konstruktion gemacht werden, die mit Erde abgedeckt ist. Die Küche steht auf einer speziellen, offenen Plattform hinter den Häusern. Wir essen gebratenes Huhn und gebratene Bananen. Wenn ich gewusst hätte, dass das Huhn lebend mitgeführt würde, hätte ich wohl eher gesagt, „nur Fisch“ auf die Frage, ob Huhn recht sei als Proviant. Gegessen haben wir die ganze Zeit einfach, Bananen, Maniok, Reis, Eier, einmal gebratenen Fisch und einmal durften wir bei der Fischsuppe der Parkwärter mitessen, Tallares, gänzlich verkochte Teigwaren, einmal ein Gemüse aus Gurken, Zwiebeln und Tomaten, das hat mir sehr gut geschmeckt, eine wässerige Reissuppe ein anderes Mal, die mit Zucker gewürzt wird. Der Tee, der aus frischem Zitronengras gemacht wird, und der Kaffee riechen immer nach Rauch, das offene Feuer, ein Geschmack, der zusammen mit dem Seifengeschmack konkurriert und Kaffee und Tee nur noch schwach erkennen lässt.
„Es muy rica“, gute Speise, gesunde Speise, nahrhafte Speise, was auch immer das heissen soll. „Es muy rica“, sagt Antonio bei praktisch allem, was wir essen. Auch sonst höre ich das immer wieder, ich bin eben ein Ceviche essen gegangen, leicht in der Hitze, „muy rica“ ganz bestimmt. - Ebenso gehört „grazias“ nach jedes Essen. Keine Wünsche im voraus, doch „grazias“, Danke, bevor man wieder aufsteht. „Grazias dios“ ist wohl damit gemeint.

Bei praktisch allen Pflanzen des Urwaldes wird darauf hingewiesen, dass es gute Heilpflanzen seien. Meist das Harz von Bäumen, die Rinde auch häufig, alle Pflanzen scheinen ihre Nützlichkeit zu haben für die Gesundheit des Menschen. Unterschiedlichste Medizinfläschchen und Tinkturen gibt es auf dem Markt zu kaufen und sowohl ein Parkwärter im zweiten, wie auch im dritten Wachposten gibt mir ein Gläschen seines selber gebrauten Wunderheilmittels zu trinke. Stärke, schütze vor Krankheiten, eine Wurzel mit Knoblauchgeschmack, Ingwer scheint mir auch darin, in starkem Alkohol aufgelöst. Doch es wirkt, beide Male fühle ich mich nach einer schlecht verbrachten Nacht sofort viel besser.

Schwarz, weiss - und grün. Das sind die Farben des Reservates Pacaya-Samiria. Unheimlich schwarz ist das Wasser des Rio Samiria, von vermodernder Vegetation gefärbt, Torfwasser. Ein Taucher habe einmal versucht, die Tiefen des Flusses zu erkunden. Doch das gehe nicht, keine Sicht, alles schwarz, sofort, da sehe man keine Tiere und könne sich in den Baumleichen am Flussgrund verfangen. Der Zusammenfluss des rostroten Wassers des Rio Maranòn mit dem schwarzen des Rio Samiria, war beeindruckend. Unheimlich, die rotbraunen Wolken, die aus dem tiefschwarzen Wasser aufstiegen. Inzwischen bade selbst ich Hände und Füsse darin und habe seine Ästhetik entdeckt. Besonders intensive Spiegelungen zeichnen sich auf der dunklen Fläche ab. – Weiss wiederum leuchten die Baumstämme ufernah aus dem Grün, Pilze und Flechten verleihen ihnen eine auffällige Farbe. Weitere Farben sind nur sehr punktuell. Das Gefieder der blau-gelben Aras , ein paar weitere Vögel mit auffälligen Farben, Blüten gibt es ganz selten, rote Passionsblumen sind das Auffälligste.

Mirò ist der Wächter von PV2, wie der zweite Wachtposten bezeichnet wird. Ganz alleine wohnt er dort, die Station ist total verlottert, die Moskitogitter eingerissen, kaum mehr Möbel oder Material im Inneren, selbst das Radio, wie sie den Funk hier nennen, fehlt. Die Station sei vor drei Jahren ausgeraubt worden, alles weg, selbst die Betten, alles habe es hier gegeben, eine ausländische Hilfsorganisation habe das bezahlt. Doch damals, die Diebe und Wilderer, nichts sei davon übrig geblieben. Inzwischen scheint man diese Banden mit Hilfe der Polizei und der Marines aufgerieben zu haben, doch vorher sei es gefährlich gewesen. Zwei Biologen und ein Wärter seien damals ermordet worden, seien wohl den Wilderern und Holzräubern im Wege gewesen.
PV2 wurde ganz offensichtlich seitdem aufgegeben. Mirò sitzt ganz alleine in seinem von Moskitos extrem verseuchten Posten, alle Monate komme ein Boot mit Verpflegung, alle 6 Wochen habe er Urlaub, 10 Tage mit seiner Familie in Iquitos. Im Reservat sind Familien nicht erlaubt, nicht einmal Hühner, meint er, die Fauna. Der Mann mit dem verheissungsvollen Namen spricht viel, wer kann es ihm verübeln, Besuch erhält er hier nicht oft. Tagsüber ab und zu ein Boot mit Fischern und Jägern aus den umliegenden Dörfern. Für den Eigenbedarf sei das wieder erlaubt, eine Weisung aus Iquitos. Doch wer wolle da kontrollieren, ob nur Eigenbedarf......... Mirò mindestens lässt sich nicht darauf ein. Füllt die Papiere aus, wie ihm geheissen, es lebe die Bürokratie in Peru, doch eingreifen, das würde er nie, meint er, wenn wieder Wilderer in grossem Stil auftauchen sollten. Viel zu gefährlich, schliesslich habe er eine Familie.

In PV3 herrscht ein anderer Geist. Vier Parkwärter sind hier stationiert, das Gebäude ist einigermassen im Schuss, sogar die Toiletten werden gereinigt angesichts meines Besuches. Hier wird kontrolliert, Israel, der Chef und seine Gehilfen fahren täglich hinaus und schauen die Fischernetze an. Und wissen, wo ihre wenigen verbliebenen Laguartos, Krokodile sind. Die muss man in der Nacht suchen gehen, denn nur dann sind sie aktiv. Ihre Augen sollen rot aufleuchten, wie mir Antonio erklärt. Ich sehe zuerst überhaupt nichts, weil ich etwas viel Grösseres erwarte, und später Punkte in Gelb. Israel fängt gleich beim Camp ein 2-monatiges Krokodil von der Länge einer Eidechse. Allerdings gibt es sich weit kämpferischer als eine solche. Wütend stürzt es sich auf unsere Gummistiefel, die verhindern wollen, das es sich zurück ins Wasser flüchtet. Antonio springt erschreckt zur Seite, ich rücke nicht weg, habe ich doch bemerkt, dass auch die Parkwärter nicht weichen und das Krokodilchen wohl kaum bis zur Haut kommt. Später zeigt uns Israel noch ein etwa 80 cm langes Tier, grössere sehen wir nicht in dieser Nacht. Doch es soll sie noch geben, versichert man mir, ein 4m langes habe es in der Umgebung. Vor den Wilderern sicher hier beim Posten. - Erst hier, zwei Tage Bootsfahrt vom Rand des Reservates entfernt, hat es überhaupt wieder richtig Tiere. Zum Glück ist das Schutzgebiet riesig. Und birgt 4 Tagesreisen einwärts auch noch eine Erdölabbaustelle. Auch dorthin könne man nicht, versichert man mir. Weshalb das in einem Naturreservat überhaupt möglich ist, das kann man mir nicht beantworten. Die in Lima, da sei wohl etwas bezahlt worden.
Israel macht mit uns einen Rundgang zu Fuss durch den Dschungel. Dabei sind die Moskitos die einzigen Tiere, die wir näher betrachten können. Dafür lerne ich, dass aus manchen Lianen getrunken werden kann. Der Parkwächter schneidet ein armlanges Stück aus einer Ranke und hält sie hoch. Wie aus einer Flasche fliesst Wasser heraus, das trinkbar ist. Doch müsse man die Lianen genau kennen. Viele Giftige gäbe es auch. Wir betrachten Termitenbauten in Bäumen und schliesslich holt der Wächter ein Palmherz für mich. Das ist alles andere, als eine einfache Sache. Diese Palmen, von denen man nur den Vegetationspunkt isst, die etwa 50 cm lange Knospenspitze, ist eine elegante, rund 20m hohe Fiederpalme mit schlankem Stamm. Mit Machetenhieben wird sie gefällt, doch da sie in umgebende Bäume fällt, kann Israel nicht zu der Spitze gelangen, drei weitere kleinere Bäume müssen daran glauben, eine schweisstreibende Arbeit, bis er mir schliesslich das zylinderförmige beigefarbene Palmherz in die Hand drückt. Mit Limettensaft beträufelt eine Delikatesse. 1 Sole kriege man dafür in der Gegend. 2 Soles in Iquitos, weiss Antonio zu berichten. Für ein erlegtes Krokodil kriege man in der Stadt 200 Soles, ein Vermögen. - Dies ist derselbe Betrag, den ich dem Antonio pro Tag für seine Dienste bezahle. Damit ist er sicherlich grosszügig entschädigt, 70 Dollars entspricht das, es schien mir von der Schweiz aus nicht teuer für Kost und Logis und Transport und Führer. In Afrika kostete eine Lodge 200 $. - Allerdings habe ich mir die Unterkünfte doch etwas komfortabler vorgestellt und die Reise professioneller organisiert.

unterwegs, den 18.März






Im Morgengrauen landet unsere Lancha in Nauta, dem ersten grösseren Ort nach Iquitos. Ein Aufschrei in der Menschenmenge, die am Strand wartet, auch ich sehe das voraus, unser Schiff hat zu früh abgedreht, die Strömung des Flusses treibt es in die übrigen kleineren Boote hinein, ein Knall, die drei nächsten werden ineinander geschoben, das kleinste und schäbigste nimmt dabei Schaden. Obwohl flussaufwärts kaum Waren eingeladen werden – transportiert wird, was in Yurimaguas nicht produziert wird, diesmal eine ganze Ladung dieser fürchterlich laut knatternden Mototaxis - dauert unser Aufenthalt in dem Hafen diesmal länger. Verhandlungen, wie gross der Schaden sei, der Kapitän wird zur Rechenschaft gezogen.

Am Nachmittag gehe ich ihn in seinem Hochsitz besuchen. Er bietet mir einen Sitz an. Drei Kapitäne seien sie, Wechsel alle 4 Stunden. Und nein, ein Unfall sei das nicht gewesen in Nauta, ein kleiner Zwischenfall. - Ich rechne mir später aus, dass er zu dieser Zeit am Steuer gewesen sein muss und muss zugeben, dass seine Aufgabe schwierig war. Zwischen eng geparkten Booten, mit der Strömung genau richtig zu landen, das ist nicht einfach. Im Kapitänshaus hat es nur das riesige Steuerrad, dessen Bedienung offensichtlich viel Kraft erfordert, da werden häufig auch die Beine zu Hilfe genommen, und zwei Hebel, je einer für jeden Motor. Nach vorne: vorwärts, nach oben: Stillstand, nach hinten: rückwärts. Andere Instrumente gibt es nicht. Keine Karten, kein Funk, gerade ein Natel liegt herum, das wohl dazu dient, die Zeit abzulesen, denn Empfang hat man hier nur ab und zu.

In der Mitte sei der Fluss etwa 20m tief. Sein Schiff brauche mindestens 10m tiefes Wasser. Was mich etwas erstaunt, denn die Boote fahren immer sehr nahe dem Ufer entlang, nie in der Mitte. Flussabwärts nutzen sie die Strömung, flussaufwärts wird diese gemieden. Wird an Land angelegt, so drücken die Schiffsmotoren das Boot während der ganzen Aufenthaltsdauer gegen die Böschung, denn richtige Anlegestellen gibt es keine, jede ca. 2m hohe Böschung kann als Landeplatz dienen. Solche Orte liegen immer in den Aussenseiten der Flusswindungen, wo das Wasser tief ist und rasch fliesst.

Walter, Gehilfe und Koch unserer Expedition, erklärt mir, dass die Boote Richtung Pucallpa immer von einem Sicherheitsdienst begleitet würden, zu viele Überfälle habe es da schon gegeben. Richtung Yurimaguas aber noch nie, da müsse das normale Bootspersonal schauen, das sei auch bewaffnet. Auch Walter ist der Meinung, dass der Urwald dort, wo die Berge ins Tiefland übergehen am artenreichsten und interessantesten sei. Nur könne man da nicht hingehen, wegen der Terrororganisationen. Deshalb werde für diese Reservate kaum Werbung gemacht. Und nein, Pirranhas, die lebten nicht mitten im Fluss, sondern immer in Nebenarmen und langsam fliessenden Gewässern, das, was mir der Herr aus Lima erzählte hat, ist also Unsinn.

Am Morgen gibt es auf den Lanchas immer gummige Brötchen und ein heisses Gebräu. Kaffee noch nie. Heute ist es eine Schokolade mit Gewürzen. Das tut gut nach der kalten Nacht. Politische Diskussionen zum Frühstück, bald Wahlen, alle sind korrupt, wollen nur sich selber bereichern, das scheint hier ein gemeinsamer Konsens zu sein. Die vielen Kontrollen, die Bürokratie im Lande, alles sei nur zur Bereicherung dieser Leute gedacht. Auch der illegale Handel mit geschützten Tieren und Hölzern und Kokain sei deshalb gängig. Wenn man erwischt werde, dann müsse man eben die richtigen Leute schmieren, dann sei das kein Problem.

Die Passagiere vertreiben sich die Zeit mit reden, dösen und lausen. Letzteres scheint eine sehr beliebte Tätigkeit zu sein. Immer wieder sehe ich Frauen, die einander - oder ihren Kindern - die Haare durchsuchen. Was mit den entdeckten Läusen passiert, das habe ich nicht beobachtet. Auf dem Oberdeck spaziert ein Mann mit einem winzigen Äffchen herum, dessen Fell mir einen grünlichen Schimmer zu haben scheint. Eine Waise, beteuert er, die Mutter sei verspiesen worden.
Am Nachmittag halten wir in einem Dorf. Eisbarren, die unter Reisspelzen und Plastikplanen verborgen waren, werden ausgeladen. So soll das Eis selbst bei den tropischen Temperaturen - tagsüber wird es immer brennend heiss - 8 Tage halten. An Land wird das Eis dann zerkleinert und mit der Fischladung vermischt die dort wartet. Danach wird alles wieder eingepackt, mit Reisspelzen und Plastik umhüllt und aufs Schiff gebracht. Das dauert seine Zeit, alles ist Handarbeit, acht kräftige Männer zerren an den schweren Kisten und rücken sie über Holzbretter wieder an Bord.

Montag, 28. März 2011

Iquitos, 16. März






In der Nacht sind es die Hunde, die die Szene beherrschen, ihr Geheul und Gejaule dringt vom Stadtteil Belem herauf, gegen Morgen immer mehr auch das Schreien von Hähnen. Sobald das Tageslicht kommt, werden diese Geräusche überdeckt von den hunderten von Radios, die in Betrieb genommen werden und die um die Wette Musik und Nachrichten bringen. In Peru ist es nie ruhig. Das wird es auch nicht im Urwald sein, doch die Geräusche werden ändern. Heute Abend fahre ich wieder stromaufwärts mit Antonio, eine weitere Nacht in der Hängematte und dann ab in den Busch.
Auch Iquitos ist übrigens praktisch frei von Mosquitos, hier besonders erstaunlich, weil die Stadt nicht umgeben ist von fliessendem Wasser, sondern von Lagunen und Sümpfen, den idealen Brutplätzen der Blutsauger. Iquitos ist die erste Amazonasstadt mit einem Uferquai. Erhöht auf dem Hügelabbruch über den Armenquartieren am Fluss verläuft eine Uferpromenade, viele Häuser noch aus der Kolonialzeit, etwas zerfallen, die mit schönen Ornamenten versehenen Kacheln, mit denen die ganzen Fassaden bedeckt sind, fallen langsam herab. Ein Prunk muss das zu Zeiten der Kautschukbarone gewesen sein. Dazwischen jetzt Betongebäude jüngeren Datums, mit bunten abblätternden Farben gestrichen, der Zustand des Zerfalles gleicht demjenigen der viel älteren Prunkbauten. Diese Uferpromenade ist sehr belebt, Strassenhändler und Essstände und sogar Wanderprediger mit Mikrophon finden sich am Abend ein. Am Tag bietet sie wenig Schatten, die Bäume sind noch klein. Friedlich schient mir Iquitos ebenfalls, selbst am Abend nach zehn Uhr kein ungutes Gefühl bei der Rückkehr ins Hotel.

Habe ich schon gesagt, dass die peruanische Küche wunderbar ist? Ob teures Restaurant oder Strassenküche, die Speisen sind sehr vielfältig und ausgezeichnet. Immer werden verschiedene Saucen dazu gereicht, meistens hausgemachte in Schälchen, scharfe und delikat gewürzte, Saucen mit gehackten marinierten Zwiebeln häufig ebenfalls. Und wenn es einmal Richtung Fastfood geht, dann stehen vier Plastikflaschen auf dem Tisch, in Rot, Gelb, Grün und Weiss. Die Weisse eignet sich als gar nicht so schlechte Salatsauce, denn einzig dies, Salatsaucen, sind nicht immer nach meinem Geschmack hier, nicht sauer genug.

Am Abend gegen sechs Uhr marschiert ein Umzug mit Musik die Treppen neben meinem Hotel hinunter ins Armenquartier Belem. Kurz darauf gehe ich hinaus, um die malerisch schwarzen Gewitterwolken zu fotografieren, erste Blitze und Donnergrollen. Noch bevor ich zurück bin, setzen heftige Windstösse ein, die den Staub aufwirbeln, erste schwere Tropfen fallen, die Menschenmenge eilt die Treppen hinauf und verläuft sich. Kaum bin ich im Zimmer, legt das Gewitter dann wirklich los. Danach, haben wir einen äusserst angenehm kühlen Abend.
Als ich ins Zentrum spaziere, finde ich plötzlich, dass es dort schon recht schummrig sei. Habe ich das gestern nur nicht bemerkt, weil ich in Begleitung war? Ich biege vom Quai weg Richtung Hauptplatz - denke ich - doch war das zu früh, ich verlaufe mich. Und merke dann irgendeinmal auch, weshalb diese Finsternis. Stromausfall, die Leute zünden Kerzen an, nur manche Strassen und Gebäude bleiben beleuchtet, eine Logik erkenne ich darin nicht. Bei Kerzenschein esse ich Backkartoffeln und Schweinskotelett. Das ist jedoch zäh und ich nicht hungrig genug. Ich lasse mir das einpacken für die Hunde. Der erste magere Köter, dem ich eines der Koteletts hinwerfe, weicht erschrocken zurück und auch später, als er sich hinzu getraut, weiss er nichts damit anzufangen. Nun liegt dieses Fleischstück mitten auf der schönen Quaipromendade, ich muss das das nächste Mal diskreter machen.
Die zweiten Fleischreste werfe ich zwei mageren Hunden vor. Auch die zögern, bis sich ein starker, grosser Hund heranmacht und die beiden knurrend verscheucht.

Die Peruaner sagen nie, sie sprächen Spanisch. „Kastilianisch“ sagen sie, wenn sie von ihrer Sprache reden. Heute will erstmals ein junger Peruaner sein Englisch testen. Gar nicht so schlecht, ich lobe ihn. Und sein Vater meint, der Sohn, der lerne nun Englisch, das sei wichtig. Aber eben auch teuer, die Sprachkurse, in der Schule lerne man nicht viel. In der Zeitung lese ich, dass gestern in der Gegend ein Mann mit 6kg Kokain erwischt worden sei. Versteckt in der Bananenladung auf seinem Boot. Seit anfangs Jahr seien bereits 20kg Kokain beschlagnahmt worden, das meiste in der Gegend nahe der Grenze zu Kolumbien und Brasilien.

Iquitos, 15. März






Wenn man auf Reisen ist, passiert vieles an einem einzigen Tag. Der heutige scheint mir besonders lang, obwohl es erst drei Uhr nachmittags ist, als ich von der winzigen Cevicheria, einem Ort, wo dieses rohe Fischgericht serviert wird, zum Hotel zurückkehre. Die Leute liegen oder sitzen dösend und ermattet irgendwo im Schatten, die Stadt ist ruhig geworden. Am Morgen, als ich ins Zentrum gelaufen bin, lagen nur wenige Leute herum. Es waren zerlumpte und übel riechende Obdachlose. Die von der Bevölkerung nicht weiter beachtet werden.


Mein Tag hat jedoch bereits viel früher begonnen, als mich meine Nachbarn auf dem Schiff mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf geweckt haben. Ich müsse mich beeilen, gleich seien wir in Nauta. Schlaftrunken hole ich meine Hängematte herunter und versuche so gut es geht meine Sachen zu verstauen. Am Quai von Nauta wartet dann auch bereits mein Guide, Antonio Tapulima, kein Problem sich zu erkennen, ich bin die einzige Touristin, die hier aussteigt. Mit dem Motorradtaxi geht es dann auch gleich zu den Collectivos, den grösseren Fahrzeugen, die nach Iquitos fahren. - Doch halt, ich wollte doch gerade eben nicht nach Iquitos, deshalb bin ich bereits in Nauta ausgestiegen. Der Antonio redet um den Brei herum, das Gepäck sei bereit für die Expedition, doch noch in Iquitos, er müsse das zuerst holen gehen. Weshalb? gerade diesen Umweg habe ich doch vermeiden wollen mit meinem Stopp in Nauta. Ausflüchte, das gehe eben nicht, ich müsse zuerst noch eine Bewilligung holen in Iquitos. Ich merke, dass etwas faul ist und entscheide mich schliesslich, eben doch mit nach Iquitos zu fahren und nicht in Nauta, einem kleinen Kaff, in dem es kaum passable Hostals hat, einen Tag auf ihn zu warten. Ich wünsche mir eine warme Dusche. Nach zwei Stunden holpriger Fahrt durch die Nacht erreichen wir Iquitos. Antonio meint, ich solle gleich zu ihm nach Hause kommen, er habe ein grosses Haus. - Ich habe nur eine schlechte Laune. Da wäre ich besser gar nicht aus der Lancha ausgestiegen und am Morgen ausgeschlafen im Hafen von Iquitos angekommen. Antonio spricht viel - ich habe wenig Lust dazu - stellt mir seine Frau vor, auch zwei Kinder schlafen im Hauptraum am Boden als wir ankommen. Mir wird das Elternschlafzimmer offeriert, eigentlich wahnsinnig grosszügig, doch ich kann trotzdem nicht so recht dankbar sein, das ganze ist ja so unnötig.
Das Elternschlafzimmer ist ein Bretterverschlag, offene Gestelle mit sorgfältig gefalteter Wäsche an den Wänden, auch das Motorrad, offensichtlich das Wertvollste, was sie haben, steht in diesem staubigen Raum. Über dem Bretterverschlag hängt zeltartig eine blaue Plastikplane, offensichtlich ist das darüber liegende Blechdach bei Regen nicht absolut dicht. Ich versuche zu schlafen, doch das Bett ist eigentlich nur eine Lage Bretter mit einer Decke und einem Leintuch darüber, für meinen Rücken viel zu hart, ich muss mich dauernd umdrehen. Vor dem Schlafengehen führt man mich noch in den Hinterhof. Unter Plastikplanen steht dort eine WC-Schüssel auf einem Zementpodest, so genau sehe ich das nicht, es hat kaum Licht, dafür beissen mich irgendwelche Viecher in die nackten Füsse. Ihre Maskottchen, meint die Frau und lacht, als ich schreiend ins Haus renne. Das seien Ameisen, die seien eben um diese Zeit herum. Sie sind es dann allerdings auch noch am frühen Morgen, bei Tagesanbruch, als mir Antonio stolz die Pflanzen in seinem Hinterhof zeigen will. Sofort krabbeln die Dinger wieder an meinen Füssen hoch und beissen zu und jetzt sehe ich diese aggressiven winzigen Ameisen auch. Weisse Haut, meint man jetzt, das sei das Problem, etwas, das man auch immer sagt bezüglich der Mosquitos. Die mögen eben weisse Haut besonders gut, scheint es. Oder auch besonders schlecht - mindestens die Ameisen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich diese Tiere mit ihren Gastwirten, oder umgekehrt betrachtet vielleicht auch mit ihren Eindringlingen, arrangiert haben. Ich aber, mit meinen Füssen, die nach Moskitospray riechen, für die Ameisen ein unliebsamer Eindringling bin. Den man verjagen muss.
Der Garten besteht mehr oder weniger aus einem jungen Mangobaum und zwei weiteren Fruchtbäumchen und nacktem Boden, der sich bei Regenfall in ein Schlammbeet verwandeln muss.
Geschlafen habe ich kaum, immer wieder ein langer Natelklingelton, ein Musikstück, das sich mehrmals wiederholt, bis jemand dem Spuk ein Ende bereitet, dazwischen bellen die Hunde um die Wette oder ein Kind weint. Am Morgen wird mir die ganze Familie vorgestellt. In einem anderen Bretterverschlag hausen die drei Kinder, in einem weiteren eine Tochter, bereits verheiratet, mit Baby und Schwiegersohn, der uns als Koch in den Dschungel begleiten wird, noch zwei weitere kleine Mädchen, Verwandte, man schaue zu ihnen. An afrikanische Verhältnisse erinnert mich das.
Noch immer bin ich schlechter Laune und habe Mühe, das zu verbergen. Gleichzeitig schäme ich mich auch. Diese Familie gehört sicherlich noch nicht zu den ärmsten, doch für mich ist ihre Art zu Leben bereits unerträglich. – Doch Antonio scheint das nicht zu bemerken. Meint zwar zwischendurch, da sei halt noch viel Arbeit übrig, er mache etwas, wenn er das Geld dazu habe, doch ich bin erstaunt, dass er sich offensichtlich nicht im geringsten schämt, mir sein Zuhause zu zeigen. Er kann keine Vorstellung davon haben, wie das Leben bei uns ist, sonst wäre er wohl befangener.

Später bringt er mich ins Hostal Alfert, Calle Garcia Sanz No 01, Iquitos – Loreto – Peru, Zimmer No13. Dort habe der Markus, der Schweizer, mit dem er viele Touren gemacht habe, auch immer gewohnt.
Das liegt am Fluss, direkt über den Häusern von Belem. Ich habe bereits in einem Guidebook davon gelesen. Belem ist das Armenquartier, Holzhäuser auf Stelzen gebaut oder wie Flosse schwimmend. Belem wird als Ausflugsziel für Touristen angepriesen, doch aufgepasst auf das Portemonnaie! Ich frage Mr.Tapulima „sicher hier?“ Er meint natürlich, ganz klar, no problem. Eine Frau später, in der Strasse, bei der ich einen Kokosnusssaft trinke hingegen meint, ich solle aufpassen. Wem soll man da glauben?

Bei Kaffee und Zeitung lese ich, dass es noch weitere Probleme mit dem Atomkraftwerk in Japan gegeben habe und dass Obama, von ihm wird in der peruanischen Zeitung ein äusserst grimmiges Bild gezeigt - eindrücklich, was Pressefotos bereits zur Stimmung in einem Land aussagen - und die Vertreter der EU das Handeln Gadafis verurteilten. Was seit meiner Abreise in Libyen passiert ist, darüber nichts, die Auslandnachrichten nehmen sowieso nur gerade die letzte Seite ein, vorher Mord und Todschlag, Fotos von weinenden Frauen. Genau derselbe Mix wie in den Fernsehnachrichten, von Politik, über die anstehenden Wahlen, kaum etwas. Dafür sehe ich in den Strassen eine Menschenmenge mit Fahnen und Megaphon, die sich für einen der Kandidaten engagiert.

Am Mittag treffe ich Antonio Tapulima zusammen mit einem Deutschen, der bereits einmal in Iquitos war und ihn kennt. Vielleicht könnte man auch eine gemeinsame Tour organisieren, das müsste eigentlich billiger kommen, das wäre mir recht. Auch weil ich dem Antonio nicht so recht traue, zu viele Geschichten bisher. – Obwohl ich eigentlich von Anfang an hätte darauf kommen müssen: Das Beschaffen des notwendigen Materiales, des Benzins für die Reise und der Nahrung für die Tage im Dschungel kostet Geld. Das hatte der Antonio natürlich nicht, das musste ich ihm erst geben. Trotzdem, er hätte mir das bereits am Telefon erklären können, dann hätte ich mir diesen nächtlichen Stopp in Nauta erspart und wäre in Ruhe nach Iquitos gefahren. Ich nehme ihm das immer noch übel. Und rede mir selber ein, dass es auch gut sei, weil ich so endlich Einblick erhalten habe in das wahre Leben hier.
Der Deutsche will dann doch nicht mitkommen, ein Unfall, die beiden Füsse seien kaputt, das Laufen für ihn ein Problem. 5 Tage in den Urwald, das könne er nicht. Als Antonio gegangen ist, meint er dann auch noch, er finde es zu teuer, diese 70 Dollar pro Tag, die er verlange. Das finde ich ebenfalls, wenigstens bezahle ich ihm den ersten Reisetag, der mich die genau gleiche Strecke einen Tag lang zurück führt, nicht, da willigt er ein. Wäre ja noch schöner, wenn ich diesen doppelt gefahrenen Teil der Strecke, auch noch bezahlen würde!

Donnerstag, 17. März 2011

auf dem Schiff, 14.März






Eine Lancha ist ein 3-stöckiges Lastschiff, das auf den Flüssen des Amazonas verkehrt. Im untersten Stockwerk die Lasten, im zweiten und dritten Stock die Hängematten mit den Passagieren. Auch Geschichten reisen da mit, denn man hat Zeit, viel Zeit. Langsam streichen die üppig bewachsenen Ufer vorüber, am Anfang kaum Siedlungen, je weiter flussabwärts wir fahren, desto häufiger tauchen Dörfer aus dem Grün auf und desto grösser werden sie. Indianerdörfer, Plattformen auf Stelzen, darüber Bretterverschläge, die im allgemeinen nur einen kleinen Teil der mit Palmblättern überdeckten Fläche einnehmen. Nahe der Anlegestelle ein buntes gemauertes Haus, die Dorfschule. - Doch meistens legen wir gar nicht an, die Lancha verlangsamt, und ein Beiboot bringt Passagiere an Land oder holt Waren, meistens Bananen, auch Kartoffeln sehe ich, Wild aus dem Urwald für die Feinschmeckerlokale in Iquitos, wird mir berichtet, sicherlich auch gefährdete Tiere, die Kühe, die vorne auf der Ladefläche in einem Korral herumstehen, sind zwar nicht gefährdet, aber brandmager und – scheint es – ebenfalls zum Essen bestimmt. Ich habe während der 2-tägigen Reise nie gesehen, dass sie gefüttert oder getränkt worden wären. Doch die Tiere nehmen ihr Schicksal äusserst stoisch.

Wenige Wildtiere am Ufer bisher. Immer wieder weisse Reiher, das scheinen weltweit erfolgreiche Tiere zu sein, manchmal kreist ein Raubvogel über uns, andere Vögel sehe ich kaum.

Die Abreise war gestern auf 12 Uhr mittags angesetzt. Bis wir dann tatsächlich abgefahren sind und die Waren von 10 Lastwagen durch Träger auf dem Boot verstaut worden waren, wurde es 3 Uhr nachmittags. Der Agent, der mich zum Schiff gebracht hat, hat mir geholfen, meine Hängematte korrekt aufzuhängen. Ich bin nicht sicher, ob ich das alleine geschafft hätte. - Zum Glück gibt es immer sehr freundliche und hilfsbereite Leute. Eine Hängemattennachbarin, immer gut geschminkt und zurechtgemacht, ruft mir jedes Mal, wenn die Glocke zum essen erklingt. Ich müsse mir jetzt mein Essen holen gehen. Und leiht mir auch gleich ein Essgefäss aus. Womit man dann einen Stock tiefer geht und in der Reihe ansteht fürs Essen, das von zwei ziemlich koketten und ziemlich schwulen Köchen geschöpft wird. Eine andere Frau leiht mir ihre Gabel aus, nachdem mein Plastiklöffel aus dem Flugzeug seinen Dienst aufgegeben hat, eine andere streckt mir ihr Abwaschmittel hin als sie sieht, dass ich den Teller nur mit Wasser spüle.

Apropos Wasser. Das Wasser in der Toilette ist braun, als ich erstmals dorthin gehe, denke ich, dass da wohl jemand zu spülen vergessen hat. Und spüle, was aber nichts verändert. Ich merke nun, dass das Wasser offensichtlich aus dem Fluss geschöpft wird und der ist eben von Erde rotbraun. Auch das Duschwasser ist so und das Wasser, mit dem ich die Zähne putze ebenfalls. Bisher habe ich damit keine Probleme gehabt, trinken tue ich es nicht. Und einen riesigen Vorteil hat das. Ich denke, mit der Fahrt des Schiffes werden die Tanks dauernd aufgefüllt, so dass das Wasser nie ausgeht. Überhaupt ist auch jetzt am zweiten Tag das Schiff noch erstaunlich sauber, die Toiletten wurden am Morgen geputzt, ich bin eine der ersten, die um sechs Uhr aufwacht und sie benutzt. Ganz allgemein ist die Fahrt auf dem Schiff viel zivilisierter, als ich mir das vorgestellt habe. Es hat sogar Steckdosen, ich kann mein Natel aufladen und in der Nacht hat es Licht und einen Raum, mit einem grossen Tisch, wo man sich hinsetzen kann, wenn man nicht schlafen will.
Hier sitze ich jetzt gerade. Neben mir 7 Schwarze, grosse Typen, auffällig gekleidet, sie wechseln ihre Kleidung mehrmals, sie erinnern mich an Drogendealer in Bern. So bin ich dann sehr erstaunt, als mich andere Hängemattennachbarn fragen, was die Schwarzen, ein Grüppchen, das unter sich bleibt, denn für eine Sprache sprächen. Das seien Leute vom Drogenbekämpfungsdienst. Schwarze scheinen also auf beiden Seiten zu arbeiten. Einer von ihnen erzählt mir, er sei Franzose, und verstummt dann, als ich ihm sage, auf dem Schiff habe es noch andere Franzosen. In den Ferien, frage ich? Er meint knapp ja. Was ich ihm natürlich nicht abnehme. Trotzdem bin ich nun etwas weniger misstrauisch. Und bewache mein Gepäck weniger ängstlich, wenn sie sich in meiner Gegend herumtummeln. Obwohl: Stimmt diese Geschichte? Ich höre wie ein anderer Schwarzer einem Franzosen sagt, er sei aus Haiti. Französisch und Kreolisch spreche er. Doch als Tourist hier? Das glaube ich nicht. Die Frau, die auch mitreist, eine pfeilförmige Frau, hat riesige Brüste und einen breiten Oberkörper, bereits wesentlich schmaleren Hüften und schliesslich durchaus schlanke Unterschenkeln und Fesseln. In ihr sehe ich jetzt eine Polizeikommissarin, ihr forschender distanzierter Blick erinnert mich an Fernsehserien. Ich male mir gerne Geschichten aus, ich habe viel Zeit.

Doch, natürlich werde immer noch Coca angepflanzt, meinen Mitpassagiere, aber von 60% der Produktion sei das auf 20% gesunken. Kaffeeanbau und Kakao würden nun gefördert. Transportiert auf dem Fluss werden im Moment aber Bananen, manchmal auch Brennholzbündel.

Das mit der „Rassentrennung“ zwischen den Gästen des zweiten und des dritten Stockes, das in Internetforen diskutiert wird, scheint mir eine Legende. Ebenso, wie die Behauptung, dass es wenig schicklich sei, eine Kabine zu mieten. Die Passagiere bewegen sich, mischen sich, ein Kabinenbesitzer lädt bereitwillig mein Natel auf, die Leute sind neugierig, viel wird gesprochen, lange Gespräche ermüden mich aber. Häufig merken meine Gegenüber nicht, dass ich ihren Dialogen in Spanisch nur mit Anstrengung folgen kann. Von vielen weiss ich nun, woher sie kommen und wohin und weshalb sie unterwegs sind. Auch Geschichten von den Gefahren des Urwaldes werden mir erzählt, davon, dass die Pirranhas immer in der Mitte der Flüsse seien, nicht am Ufer, wenn man dort hineinfalle, sei man in Kürze bis auf die Knochen abgenagt. Auch riesige Schlangen habe es im Wasser. Dies ausgerechnet von einem Herrn aus Lima, der geschäftehalber ein paar Tage nach Iquitos geht.
Zurück zu den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Klassen auf dem Boot. Die oberste und teuerste hat den Vorteil, eindeutig die ruhigste zu sein, der Lärm des Schiffsmotores ist hier auf ein erträgliches Mass abgesunken und Familien mit kleinen Kindern reisen im allgemeinen im billigeren Teil, was den Lärmpegel zusätzlich herabsetzt.

Am Sonntag, kaum auf dem Schiff angelangt, haben viele Leute bereits die Gelegenheit genutzt und eine Dusche genommen, ein Duschkopf befindet sich in jeder, der drei WC-Kabinen unseres Stockwerkes. Eine rudimentäre Kammer, wohin mit den Kleidern? Doch die einheimischen Passagiere scheinen damit kein Problem zu haben, immer wieder erscheint jemand geduscht und duftend, mit nassen Haaren frisch eingekleidet. Ich überwinde mich erst heute Mittag, als ich von der Hitze starkes Kopfweh habe, zu einer erfrischenden Dusche. Die tut gut.

Verhungern tut man nicht auf einer Lancha. Das Essen der Köche ist zwar nicht genial, doch essbar, und bei jedem Stopp an Land kommen Frauen und Kinder herein und verkaufen Früchte, gebratenen Fisch und gewürzten Reis mit einem Fleischstückchen darin, gegart in einem Bananenblatt, wunderbar finde ich, man isst mehr als notwendig, die Zeit ist lang.

Auf diesen Schiffen ist es tagsüber wahnsinnig heiss, obwohl die Dächer Schatten spenden. Zum Glück kann man nach vorne gehen und auf das Gehege mit den Kühen hinunterschauen - ein junger Stier ist trotz der widrigen Umständen äussert giggerig und besteigt immer wieder Kühe. Zur allgemeinen Erheiterung, passieren tut ja sonst nicht viel - und sich dort dem kühlenden Fahrtwind aussetzen. Wenn das Schiff nicht gerade hält und Waren ein- und ausgeladen werden. Der Fahrtwind jedoch dörrt einen selbst in den feuchten Tropen aus, das habe ich mir nicht vorgestellt. Und erst recht nicht, dass es in der Nacht ganz empfindlich kalt werden könnte, mehrmals stehe ich auf, bis ich am Schluss meine ganze Winterkleidung aus dem Koffer hervorgeklaubt und angezogen habe. Meine hauchdünne und super leichte Hängematte schützt viel schlechter gegen die Kälte als die schweren Hängematten der Einheimischen. Die ziehen sich zum „in die Hängematte gehen“ aus und hüllen sich in dicke Decken. So gut ausgerüstet bin ich natürlich nicht.

Mittwoch, 16. März 2011

Yurimaguas, 13.März











Ich wohne im Rio Huallaca & business center. Mit leicht schlechtem Gewissen, denn ein echter Backpacker würde in Yurimaguas in einem muffigen Hostal für 3-6 Franken absteigen. Ich bin mir zwei Zimmer anschauen gegangen, alle nur mit Oberlicht und der Geruch der ungelüfteten Räume war derartig modrig, dass ich gleich wieder hinaus gehen musste. Obwohl der Besitzer des einen wirklich sehr nett war und mich auf eine Terrasse führte, von der man direkt auf den Fluss sah und mir ein Chamaeleon in den Zweigen eines Baumes zeigte. Am Morgen habe es noch viel mehr Tiere, meinte er. Seine Zimmer hatten verfleckte Matratzen und Betonböden und kaum Licht. Ich konnte ihm nicht sagen, dass mir das alles doch ein wenig zu einfach sei, das hätte er nicht verstanden. Viele Leute hier leben sehr einfach, am Fluss unten hat es noch Holzhütten mit Palmdächern, die auf Stelzen im Wasser stehen. Rostiges, durchlöchertes Wellblech auf Dächern und an Wänden, bunte Farbe, wenn es geht, doch häufig sind die Häuser im Rohbau, erst Teile davon stehen, andere beherbergen den Unrat, doch bewohnt sind sie bereits. Häufig sehe ich angeschrieben „zu verkaufen“, Yurimaguas schient nicht unbedingt eine boomende Stadt zu sein. Doch eine lebhafte und fröhliche. Und der Mann an der Rezeption, der sogar Englisch spricht, meint, ich könne überall hin gehen, es sei nicht gefährlich. Obwohl gerade hier die Armut für mich bedrückend ist. Für uns ist all das exotisch, malerisch halt auch, doch so zu wohnen, das könnten wir uns kaum vorstellen. Die Einheimischen scheinen das gelassener zu nehmen. Fernseher gibt es erst wenige, wenn irgendwo in der Strasse einer läuft, bilden sich davor Menschentrauben. Und die vielen öffentlichen Telefonstellen deuten darauf hin, dass das Natel kaum verbreitet ist. Schmutzige Kinder und räudige Hunde im Strassengraben, viele Frauen laufen mit Säuglingen herum.

Am Abend besuche ich einen Markt, wo auch Indianer ihre Produkte anbieten. Fisch gibt es zu kaufen, Frauen braten verschiedene Speisen mit Mais und Bohnen und Reis, grillen Fisch und Fleisch, viele Früchte und Gemüse, die ich noch nie gesehen habe, aber auch getrocknetes Fleisch, das mich wenig gelüstet, dicke, lebende Maden und viel Getier, von dem ich lieber nicht wissen möchte was es ist. Auffallen tun mir vor allem die Verkäufer von duftenden Blumen. Trotz der Armut, schmückt man sein Haus, das gefällt mir. Ich habe das in Afrika immer vermisst. Dort besteht kein Bedürfnis für solch „nutzlose“ Sachen, wie Blumen.


Und ich wohne nun also im besten Hotel hier, das kostet mich knapp 25 Franken. Touristen hat es im Moment sonst keine, deshalb bekomme ich das Zimmer so billig. Die erste wirklich perfekte Warmwasserdusche, ein Balkon mit Blick auf den Fluss, der braun und träge vorbei fliesst. Leer ist das Hotel trotzdem nicht. Leute, die hier arbeiteten heisst es. Ingenieure vom Strassenbau, kaum einfachen Arbeiter. Heute Samstag sehe ich sie dann im Hotel, viel zu machen gibt es nicht in Yurimaguas, wenn man nicht von der Exotik verzaubert ist wie ich. Sie trinken Bier, sitzen herum, drei Männer spritzen stundenlang im Schwimmbad herum und heute gibt es sogar einen Film im einzigen Kino von Yurimaguas, der sich im Untergeschoss des Hotels befindet. „Terminator“ wird gezeigt, das interessiert mich leider nicht, doch bereits eine halbe Stunde vorher ist der kleinen Kinosaal halbvoll. Die Zeit scheint ebenso langsam zu fliessen am Wochenende, wie der Rio Huallaca vor den Fenstern.

Yurimaguas, 12.März










Nicht dass man in Peru nichts auf den Umweltschutz geben würde. Die Umweltorganisationen scheinen sogar sehr aktiv zu sein, überall entlang der Strasse hängen Schilder, man solle den Urwald nicht zerstören. Insbesondere der Weg zu dem nicht wahnsinnig spektakulären, doch dafür in üppige Vegetation gekleideten Wasserfall, den ich in Tarapoto besucht habe, ist voller solcher Anschriften. Rettet den Planeten. In Spanisch und Englisch. Die Besucher sind zum grössten Teil peruanische Touristen. Vielleicht hinterlässt das doch Spuren?

Die Fahrt von Tarapoto nach Yurimaguas mache ich in einem Collectivo, einem Gemeinschaftstaxi. Der Fahrer kommt mich zwar mit seinem gut erhaltenen Personenwagen im Hotel abholen, das ist praktisch, doch nachdem er noch einen weiteren Mann in der Stadt einlädt, fährt er auf eine Art Sammelstelle, wo wir dann fast eine Stunde auf zwei weitere Fahrgäste warten. Ich unterhalte mich mit einem älteren Mitfahrer. Aus Deutschland und Schweden seien seine Vorfahren, der Grossvater sei nach Peru gekommen. Nein, die Sprache könne er nicht mehr und in Europa sei er noch nie gewesen, zu teuer. Unterwegs merke ich, dass er viel von Pflanzen versteht, denn er sammelt eine Schlingpflanze - gut für Hautverletzungen, meint er - während wir anhalten, weil ein anderer Fahrgast die rasante Fahrt durch die kurvenreiche Strasse nicht verträgt und sich erbricht. Einen weiteren Stopp aus demselben Grunde benutzen die Fahrgäste, um bei einer kleinen Hütte am Strassenrand frisches Brot einzukaufen. Besonders gutes, meint man und gibt mir auch davon.

Die Strasse nach Yurimaguas hinunter, es liegt noch 180m über Meer, ist extrem kurvenreich und wurde erst vor drei Jahren fertig gestellt. Vorher sei die Reise ein Abenteuer gewesen und habe gut 8 Stunden gedauert. Das erstaunt mich nicht, denn der Weg führt durch schroffe und mit dichter Vegetation überzogene malerische Berggipfel und damit erstmals durch etwas, was man einen natürlichen Regenwald nennen könnte. Die Strasse ist nur einspurig befahrbar, am Morgen früh und am Mittag von Tarapoto aus, dazwischen aus Richtung von Yurimaguas. Sie ist zwar asphaltiert, das Trasse ist gut gemacht, doch dass man die Berghänge darüber absichern müsste, wenn man in derartig steile Hänge eine Kerbe schneidet, daran hat man offensichtlich nicht gedacht. So gleiten die Hänge nach starken Regenfällen auf die Strasse hinunter. Mindestens an 30 Stellen sieht man noch Spuren davon. Ein Rutsch ist ganz frisch, die Lastwagen bleiben im morastigen Boden stecken, nun bin ich froh, einen kleinen Wagen und keinen Bus gewählt zu haben. Das erinnert mich an die vielen rasch in die Berge getriebenen Strassen in China. Dasselbe Problem. Nur schien man mir dort gegenüber der Vielzahl der neuen Strassen und damit Rutschen gänzlich machtlos, Männer mit Schaufeln standen an den schlimmsten Stellen herum, man half sich gegenseitig. Hier ist das anders. Schwere Strassenbaumaschinen und Bagger stehen an verschiedenen Stellen, die Strasse wird rasch wieder freigeschaufelt. Doch das ursächliche Problem, die Verbauung der rutschenden Hänge, wird wohl kaum angegangen. Deshalb nehme ich an, dass diese neue Strasse noch lange nur einspurig befahrbar sein wird. Bis dass sich die verletzten Berghänge alle entladen haben und beruhigt.
Später erreichen wir dann das Tiefland, allzu schnell, finde ich, denn jetzt sind die malerischen, häufig in Wolken gehüllten Bergsilhouetten bereits weg. Im Tiefland ist dann wieder nichts mehr von Regenwald. Auch kaum Kleinbauernbetriebe, vor allem Plantagen mit Ölpalmen und riesige Viehweiden säumen den Strassenrand. Trotz all den Schildern „rettet unseren Planeten“.

Schilder scheinen die Peruaner sowieso zu mögen, überall hängen Anschriften herum, auch dort, wo es eigentlich klar ist, steht ein Schild mit einem Pfeil „Salida“, Ausgang, auf der anderen Seite dafür eines mit einem umgekehrten Pfeil „Entrada“. „Peligro riesgo Electrico“ auch häufig (wobei das wiederum stimmt, wenn man die Arbeit der Elektriker betrachtet). Jeder Betonpfeiler ist angeschrieben mit einem Schild „sicherer Platz im Falle eines Erdbebens“. Obwohl das Amazonasbecken nicht mehr in der Erdbebenzone liegt. Auch Rauchverbote gibt es und merkwürdigerweise sind dies die Verbote, die am besten befolgt werden. Man geht zum Rauchen hinaus aus den Restaurants. Obwohl die gar keine Fenster haben. Während man sich beispielsweise überhaupt nicht um die Schilder kümmert, die das Hupen verbieten. Oder vorgeben, dass eine bestimmte Fahrspur für den öffentlichen Verkehr, oder für den Schwerverkehr bestimmt sei. Das kümmert die Leute wenig.

Erdbeben sind hier im Bewusstsein der Leute tief verankert. Nach dem Nachtessen laufe ich an einem offenen Tor vorbei, aus dem laute Musik dringt. Ich bleibe stehen und schaue. Sofort bittet mich eine Frau herein, ich merke, das ich den Raum einer Pfingstkirche betrete (Iglesia pentecostal del Espiritu Santo), weitere Besucher kommen mir die Hand schütteln, ich werde freundlich aufgenommen, es ist mir etwas unwohl, während eine Sängerin, eine gute übrigens, Halleluja und Allegria singt und ein Mann sie auf dem Harmonium begleitet. Toller Sound, mit riesigen Lautsprechern verstärkt, die Leute hüpfen herum und klatschen in die Hände. Ich mache mit, die Musik lädt zum tanzen ein, meine Nachbarin schafft es immer wieder, Leute von der Strasse herein zu holen, die neugierig stehen bleiben.
Nach einer guten Viertelstunde, ich bin schweissgebadet, hört die Musik auf, starker Regen hat unterdessen eingesetzt und hämmert auf das Wellblechdach, das Timing ist perfekt, die Leute gehen auf die Knie und strecken die Arme empor und empfangen den Segen. Ich und ein paar andere Neugierige von der Strasse machen nicht mit. Darauf die Predigt eines Pfarrers, der ein guter Entertainer zu sein scheint, häufig lachen die Leute oder klatschen, ich verstehe leider nicht alles. Er spricht die Besucher auch gerne direkt an, stellt Fragen, ein eindringlicher Blick, auch von mir will er wissen, woher ich komme und wie ich heisse.
Das heutige Thema der Predigt: Die Grenzen der Geduld Gottes. Der Pfarrer spricht von der Untreue der Ehepartner, unterlegt das mit Fernsehberichten von verwerflichen Fällen ehelicher Untreue und den schlimmen Folgen davon, Sodom und Gomorrah und Aids, eine Frau gibt ihrem Baby ungeniert in der Kirche die Brust, alle Anwesenden haben die erwähnten Sendungen gesehen und stimmen zu. Die Geduld Gottes ist zu Ende, meint der Prediger, ein paar Seitenhiebe an die Amerikaner, die Twin Towers, mächtige und gut gebaute Gebäude werden zusammenfallen, Jesaiah Vers 26, die Endzeit ist nah.

Tarapoto, 11.März





Heute ein Ausflug mit einem Dreirad, diese Motorradtaxis sind die häufigsten Verkehrsmittel, der Lärm in den Strassen ist unerträglich, das Geknatter, zum Glück liegt mein Hotel etwas am Rande, zu oberst auf einem Hügel, mit Rundsicht von der Dachterrasse aus. Der freundliche Chauffeur bringt mich zu einer Sehenswürdigkeit der Gegend, einem Wasserfall, ich erwarte nicht allzu viel, doch eine Fahrt durch die tropische Landschaft lockt mich. Auch wenn in dieser Gegend kaum mehr vom ursprünglichen Wald übrig geblieben ist als in der Schweiz. Dafür gibt es Käse und Jogurt zu kaufen, das haben wohl die Spanier hierher gebracht. Maniokkulturen sehe ich ebenfalls, Yuka, meint mein Chauffeur und das macht mein kürzlich in Lima bestelltes Essen bereits viel weniger exotisch, Yuka gleich Maniok, vom Kokain sehe ich nichts. Nicht hier an der Strasse, meint der Fahrer und jetzt sowieso nicht mehr.

Carretera ecologica sehe ich am Strassenrand angeschrieben und denke, dass diese Strasse wohl eben so ökologisch sei wie gestern mein Essen im vegetarischen Restaurant vegetarisch. Gebratenes Gemüse bestellte ich. Das war nicht schlecht, doch auch Fleischstückchen hatte es darin und Lomo, also Rindfleisch stand ebenfalls auf der Speisekarte.

Der Wasserfall im Wald ist dann auch für eine Schweizerin beeindruckend, wenn auch weniger durch die Höhe oder die Wassermassen, als durch die üppige Vegetation und kühle Frische dort. Die übrigen Besucher schlüpfen in ihre Badekleider und gehen kreischend in den Gischt, ich begnüge mich mit einem Fussbad, so furchtbar kalt finde ich es gar nicht.

Roger Federer meint mein Chauffeur, als ich sage, ich komme aus der Schweiz. Das passiert mir nicht das erste Mal. Roger Federer scheint hier bekannter zu sein als Schweizer Uhren und Schweizer Schokolade.

Anschliessend besuche ich das Museum in Tarapoto. Der Wärter führt mich durch die Sammlung, ich bin die einzige Besucherin. Archäologische Funde, Tonscherben und Gefässe der Indianer, neben Versteinerungen, Ammoniten, auch Mastodonten scheint es gegeben zu haben, Vorläufer der Elefanten, Saurier und weiteres, nicht alles sind gute Exponate. Eine Menschenmumie hat es ebenfalls, manche Indianer scheinen ihre Begräbnisse so zu gestalten, die meisten aber, so erklärt mir der Wächter, die würden ihre Toten erst 3 Jahre neben dem Haus vergraben. Wenn das Fleisch einmal weg sei, nur noch Knochen übrig, dann würden diese ausgegraben und in Tongefässe gelegt und die wiederum im Boden der Hütte vergraben. Man schätzt offensichtlich den Kontakt mit den Toten - wenn ich recht verstehe. Mein Führer spricht viel, Interessantes auch, doch ich merke, das ich rasch ermüde beim Spanischen. Zu den von Motten zerfressenen Tierfellen, der Jaguar ist das Spektakulärste, ist wenig Erklärung notwendig, am spannendsten finde ich die Erläuterungen zu den Bräuchen der Indianer. Etwa, dass sich untreue Ehefrauen in Maultiere verwandelten. Und die Geschichte von einem Mann, der mit seinem Maultier Geschlechtsverkehr gehabt habe. Das habe dem Pfarrer nicht gefallen. Daraufhin habe der Sünder das Maultier geheiratet und damit die Situation legalisiert. - Oder dass er selber, ein spanischstämmiger, keine Indianerin zur Frau bekomme. Schöne stolze Frauen seien das, kräftig. Doch die heirateten keine Weissen oder Mestizen. Wenn eine Indianerin noch nicht verheiratet sei, dann schmücke sie sich mit bunten Bändern und Tüchern. Eine verheiratete Frau mache das nicht.

Der Geldautomat in Tarapoto gibt mir als Höchstbetrag 700.- Soles. Ist man hier derartig viel reicher als in Lima? Ich gehe in ein Restaurant auf dem Hauptplatz essen, das mir der Dreiradchauffeur empfohlen hat. Er selber esse zwar immer zu Hause, nie im Restaurant, meint er. Es ist ein gutes Restaurant, wohlhabende Leute, das merke ich sofort, Kokainbarone, meine Fantasie geht durch, ich bestelle einen Fisch mit gebratenen Kochbanenen, nicht billig, doch erstaunlich gut, mit fantastischen Saucen und Gemüse. Und wieder einmal fühle ich mich als Exotin. Von Leuten hinter dunklen Brillen neugierig betrachtet. Irgendetwas an mir scheint definitif nicht in die Gesellschaft der wohlhabenden Peruaner zu passen.
Gestern Abend dagegen bin ich mit einer jungen Australierin, die auch alleine unterwegs ist, in ein sehr billiges Restaurant essen gegangen. Ein Ort, in dem es auch andere Trampertouristen hatte, billig, nicht schlecht, meine Begleiterin wählte das Tagesmenu, Quinoabrei mit Reis, das billigste, sie muss auf ihr Budget schauen, ist bereits fast ein Jahr unterwegs. Auch hierhin passe ich nicht ganz, falle jedoch deutlich weniger auf als bei den Reichen.

Über die Peruaner. Natürlich kann man das nicht so vereinfachen, doch meine bisherigen Erfahrungen mit den Leuten hier sind sehr positiv. Unterhalten muss man sich zwar in Spanisch, anderes wird kaum gesprochen, doch wenn man das auch nur ein wenig spricht, dann finden sich sofort Gesprächspartner. Die Leute sind neugierig, wollen wissen. Aber im allgemeinen nicht aufdringlich und das finde ich sehr angenehm. Mein Dreiradchauffeur merkt beispielsweise sofort, dass ich lieber alleine bin beim Zeichnen. Das muss ich ihm nicht sagen. Selbst die Typen in den Strassen, die versuchen, einen Touristentrip zu verkaufen oder Geld zu wechseln, fragen zwar, doch werden sie nicht aufdringlich und verfolgen einen. Das ist in Afrika anders. Die geben nicht gerne auf.