Montag, 4. April 2011

beim Schamanen, 3.März








Peru sei das Zentrum der Welt, etwas in der Art sagt mir der Schamane heute Morgen. Denn hier habe jede einzelne Pflanze ihre medizinische Nützlichkeit. Mein Denken ist auch jetzt noch verlangsamt, umständlich, die Nachwirkungen des Ayahuasca-Genusses.

Ich habe keine Ahnung gehabt, dass Schamanen und Ayahuasca, eine Droge, mit der sie arbeiten, offensichtlich viele Touristen anlocken. Eine Malerin aus Holland komme regelmässig zu ihm, auf der Suche nach Inspirationen, meint Senor Orlando, der Schamane, auch Italiener und andere Europäer. Und erzählt mir später, er habe nun vier Jahre zusätzlich für die Regierung gearbeitet. Als Ordnungsaufsicht im Quartier Belem. Doch nun habe die Regierung kein Geld mehr für das, neue Wahlen, die 400 Soles seien sowieso wenig gewesen, mit seiner Heilkunde könne er mehr verdienen. Ganz abgesehen davon, dass die Arbeit als Wachtmann in diesem Quartier mit hoher Kriminalität auch gefährlich sei. Wenn man jemanden zur Polizei bringe, dann wisse man nie, ob der sich nicht später rächen werde an einem. - Da wären ihm ein paar Gringo-Kunden sicherlich recht, ich nehme nicht an, dass die Frauen mit Kindern, die im Laufe der Nacht auftauchen und behandelt werden, viel bezahlen können.

Walter und ich haben mit Orlando oben im Markt von Belem um halb sechs Uhr abgemacht, doch um sechs Uhr, es wird bereits dunkel, ist er noch nicht da, erst gerade, als wir gehen wollen, taucht er plötzlich auf. Genau wie gestern. Wir kreuzten ihn auf dem Weg zu seinem Haus, er komme gleich, wir sollten auf ihn warten. Wir warten lange, die Dämmerung, in der Nacht ist es hier für Nichteingesessene zu gefährlich, wir müssen vorher verschwinden. Gerade in diesem Augenblick taucht er auf.

Ayahuasca-Trips werden in Iquitos als Touristenattraktion angeboten. In einer Zeitung lese ich eine Beschreibung davon. Ein Haufen Touristen geht in ein Center, meist im Urwald gelegen, viele scheinen sich einfach einmal auf eine neue Art berauschen zu wollen. Einer dieser Schamanen ist ein Amerikaner. Da gibt es wenigstens keine Sprachschwierigkeiten.
Senor Orlando spricht nur Spanisch, mit einer bedächtigen, ruhigen Stimme, ich bin die einzige Person, die für einen Drogenkonsum zu ihm kommt. Kleinkinder, die zu viel schreien, behandelt er. Auch solche, die Magenprobleme hätten, das schmutzige Wasser. Hier setzt Orlando keine Drogen ein. Murmelt etwas vor sich hin, manchmal auch einen Singsang, von Gott, der helfen soll ist immer die Rede, das Christentum hätte ich hier nicht erwartet. Dann zündete er eine Zigarette an, zieht den Rauch ein und bläst ihn mit einem knallenden Geräusch aus. Über das Kind, von allen Seiten. Die Kinder schauen fasziniert zu, kein einziges beginnt zu weinen. Die meisten Mütter verschwinden dann mit ihrem Boot - das Haus steht mitten im Wasser von Belem - ein paar übernachten auf dem Fussboden des Wohnraumes und werden am Morgen nochmals behandelt.


Wir durchqueren den Markt von Belem, der noch auf festem Boden steht. Wahrscheinlich der verrückteste Markt, den ich je auf der Welt angetroffen habe. Riesig, eine Vielfalt von Früchten und Gemüsen, Wildtiere leider, Essstände, verschiedenste Medizinfläschchen, auch sonst kann man hier praktisch alles kaufen. Von den häufigen Platzregen sind die Böden durchweicht, alles sieht furchtbar schmutzig aus, doch am Abend sehe ich, wie ein Mann mit Schubkarre den Abfall einsammelt. Auch der Geruch auf dem Markt ist weit weniger beissend als ich mir das von Zanzibar her gewohnt bin.

Unser Mototaxi hält dort, wo die Strasse von Wasser überschwemmt wird. Das ändert immer etwas, je nach der Höhe des Wasserstandes. Im Moment ist das Wasser immer noch am Steigen. Rund 2 Monate pro Jahr, werde Belem zu Venedig, die Strassen zu Kanälen, im Rest des Jahres liege der grösste Teil der Häuser trocken, da sei der Geruch am unerträglichsten. All die Holzhäuser auf Stelzen oder Flossen gebaut, entlassen ihre Abwässer direkt in das Wasser. Die Latrinen sind kleine Flosse, die am Haus festgemacht sind . Ein Paar Bretter, in der Mitte fehlt eines, ringsherum eine etwa schulterhohe Plastikplane, der Kopf bleibt sichtbar, wenn man seine Geschäfte verrichtet, ich habe diese Toiletten auch ausprobiert. Und vermeide auf der Bootsfahrt zum Schamanen auf der anderen Seite des Flusses - wobei im Moment alles zu einem See angeschwollen ist – jeglichen Kontakt mit dem Wasser peinlichst. Vor allem hier am Rande, wo das Wasser wenig tief und stagnierend ist, riecht die braune Brühe wie Abwässer. Doch am Abend nehmen die Leute ihr Bad darin, die Frauen waschen ihre Kleider und ich wäre nicht erstaunt, wenn sie selbst das Geschirr dort reinigen würden. Die Kinder plantschen mit Wonne in der Brühe herum, auf Pflöcken reitend, es gibt so viele Spiele im Wasser, kein Wunder, dass zwischendurch eines einen zu grossen Schluck daraus erwischt. Die seien sich das eben gewohnt, meint Walter. Ein Kind, das nicht von hier komme, das würde den Schmutz kaum überleben.

Es ist bereits finster, als wir mit dem Boot durch die Häuser fahren. Schiffe kreuzen uns, alle ohne Licht, ich sehe sie spät, der Bootsmann scheint mehr zu sehen als ich. Erstaunt bin ich über die vielen Fernseher in den Häusern. Das Quartier ist ans Stromnetz angeschlossen. Sogar ans Wassernetz, und das Telefonieren ist kein Problem. Einzig beim Abwasser hapert es. Obwohl: Auch der Rest der Abwässer von Iquitos geht ungereinigt in die Flüsse. Wird allerdings erst gesammelt und in einen entfernten Fluss entleert. – Nein, Belem sei nicht eine ungeordnet gewachsener Stadtteil. Ein Grundstück hier koste etwa 50 Soles (17 SFR), das könne man auf der Gemeindeverwaltung kaufen. Die Leute seien häufig vom Land, sie hätten dort ein zweites Zuhause. Die Häuser seien für die Kinder, die in Iquitos in die Schule oder an die Universität gingen. Und die Eltern, wenn sie ihre Waren in die Stadt zum Verkauf brächten. - Auch Senor Orlando hat noch ein Grundstück auf dem Land, wo er seine Drogen, darunter Coca, Ayahuasca und Marihuana, alles potente Heilmittel, versichert er mir, anpflanzt. Und häufig auch Rituale durchführt. Dort sei es ruhig.


Das kann man von den Häusern am Fluss nicht behaupten. Bis um 1 Uhr morgens dröhnt laute Musik aus einer Bar. Und um vier Uhr morgens kehrt der Nachbar, ein Fischer, von seinem Fang zurück und dreht sein Radio auf volle Lautstärke. Feierabend. Für ihn. Dass da auch alle übrigen zuhören dürfen, die Häuser sind sehr eng ineinander gebaut und bestehen nur aus Bretterbuden auf einer Plattform, daran scheint hier niemand zu denken. Ich sage dem Orlando, dass mich dieser Lärm störe, so viele interessante Geräusche wären zu hören, ich stelle das fest in der kurzen Zeit der Nacht, wo es ruhig ist. Frösche, Zikaden, das Vibrieren und Knarren des Holzbodens, sobald sich jemand im Haus bewegt, der merkwürdige Singsang Orlandos zwischendurch, das Aufleuchten seiner Zigarettenspitze, das explosionsartige Geräusch, wenn er die Luft plötzlich ausstösst, alle Sinne sind ja geschärft beim Genuss dieser Droge. Ähnlich wie bei Shitcookies finde ich, aber eher eine schwache Dosis, extreme visuelle Erfahrungen habe ich nicht, doch Zeit und Raum verbiegen sich, ein Gefühl in etwas Grossem geborgen zu sein. Einen Moment sehe ich auch einen Haufen Fäkalien, überall, das muss die Gegend sein, die mir das eingibt. Doch ist das nicht gruslig, sondern merkwürdigerweise wie ein Popartbild. In einem gewissen Moment habe ich das Gefühl, ich könne jetzt aus meinem Körper hinaussteigen. Bekomme dann aber Angst, kehre zurück, ich will den nicht alleine lassen, stachelige Pflanzen sehe ich ebenfalls. – Sehr lang sind die Visionen nicht, doch die ganze Nacht über bin ich halb wach. Wie viel die Droge, wie viel bereits der Ort ausgelöst hat ist schwer zu sagen. Mit dem Rücken auf dieser schwingenden Holzplattform, vor den Augen schwache Lichtpunkte und Streifen, dort wo Licht in das halboffene Gebäude dringt, ein reflektierender Spiegel irgendwo, um das Hell Regenbogenfarben. Doch vielleicht sehe ich das nur, weil ich weiss, dass man das sehen kann mit Ayahuasca.

Ich fühle mich während des kurzen Rituales wohl, ein Schälchen mit dem Saft steht vor dem Schamanen, er singt, rezitiert, bläst Rauch hinein, gibt zwischendurch aber auch ganz konkrete Anweisungen an Bewohner des Hauses, wirkt nicht wirklich abgehoben. Der Ayahuasca-Saft, ist ganz fürchterlich, bitter-salzig, mein Körper erkennt das sofort als Gift, nicht einfach, die Schale fertig zu trinken. Die Wirkung tritt sanft ein, nichts Beängstigendes. Nach einer Weile krampft sich jedoch mein Magen zusammen, will sich umdrehen, ich muss erbrechen. Auch der Schamane tut dies. Nur scheint er das im Gegensatz zu mir positiv zu werten. Das Erbrechnen wird als Reinigung von körperlichen und seelischen Problemen angesehen. Ich habe Mühe damit. Mir scheint das ganze eher wie eine leichte Vergiftung und ob es gesund sei, zwei- bis dreimal pro Woche so etwas zu sich zu nehmen, davon bin ich nicht überzeugt. Man müsse das mehrfach machen, versichert der Schamane mir, erst dann setze die volle Wirkung ein. Mein Körper brauche das. - Genau davon bin ich allerdings nicht überzeugt. Bin ich doch weder wegen eines körperlichen noch eines geistigen Leidens hierher gekommen, sondern lediglich, weil ich ein Buch mit spannenden Gemälden gesehen habe, die unter dem Einfluss von Ayahuasca entstanden sind.

Auch Orlando stört übrigens der Lärm in Belem. Früher sei das nicht so gewesen, vielleicht am Samstag und Sonntag. Heute sei das jeden Tag. Auf einen weiteren Drogengenuss im Dschungel habe ich allerdings auch keine Lust, denn dort hat es, wie ich bereits erfahren musste, im Moment extrem viele Moskitos. Ich denke nicht, dass dies die Art von Begegnung ist, die man sich auf solch einer Reise wünscht.

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